GEO.de: Lars, du kennst das Rossmeer von einer eigenen Recherchereise. Um was ging es damals?
Lars Abromeit: Ich war vor einigen Jahren mit dem amerikanischen Fotografen George Steinmetz in der Antarktis, um für zwei Reportagen zu recherchieren. Zum einen ging es um einen aktiven Vulkan, den Mount Erebus, zum anderen um ein eisfreies Gebiet im Landesinneren der Antarktis, die sogenannten Trockentäler. Zwischendurch haben wir aber auch viel Zeit am Rande des Rossmeers verbracht, weil dort unsere Ausgangsbasis lag, die amerikanische McMurdo-Forschungsstation.

Was hat dich am meisten beeindruckt?
Am faszinierendsten fand ich dieses endlose Weiß - und die Vorstellung, dass es einen Ort auf der Welt gibt, auf den der Mensch überhaupt keinen Zugriff hat. Die Landepiste befindet sich auf einer Eisscholle auf dem Meer, und beim Anflug sieht man weit und breit keine einzige Behausung, keine Spur von menschlichem Leben. Nur Eisschollen und Eisberge, hin und wieder Pinguin-Kolonien oder ein paar Weddellrobben.
Warum ist das Rossmeer so schützenswert?
Es ist ein einzigartiges Ökosystem, einer der ursprünglichsten Lebensräume der Erde. Für die Ausbeutung von Ressourcen war das Rossmeer bisher immer ein blinder Fleck - weil es so schwer ist, dort hinzukommen. Für viele Tierarten ist es ein unverzichtbares Refugium.
Ist dieser fast paradiesische Zustand in Gefahr?
Seit einigen Jahren hat sich eine Fischerei im Rossmeer entwickelt, die sich vor allem auf eine einzelne Fischart, den Antarctic Toothfish, einen engen Verwandten des Schwarzen Seehechts konzentriert. Das sind sehr wertvolle Fische, die vor allem in Feinschmecker-Restaurants auf den Teller kommen. Immer mehr Schiffe wagen sich dafür bis in das Rossmeer - weil es sich lohnt. Das ist ein großes Problem für das Ökosystem, denn noch ist kaum erforscht, welche Funktion dieser große Fisch im Artengefüge der antarktischen Gewässer hat. Man kann aber davon ausgehen, dass er eine zentrale Rolle spielt. Und leider wird er heute in einem Maße gefischt, dessen Auswirkungen man noch überhaupt nicht überblicken kann.
Was ist der aktuelle Schutzstatus des Rossmeers?
Für das Festland der Antarktis selbst gibt es ja den Antarktis-Vertrag, ein einzigartiges internationales Abkommen, das den gesamten Kontinent als ein Welterbe schützt. Für die Meeresgebiete rundherum ist die Sache komplizierter. Es gibt zwar eine Kommission für den Schutz der Meeresumwelt, doch sie lässt Fischerei zum Beispiel „in Maßen“ zu. Da stellt sich natürlich die Frage, was das eigentlich heißt, "in Maßen"? Insofern ist der Schutz noch sehr eingeschränkt.
Warum ist es so schwer, einen effektiven, umfassenden Schutz zu gewährleisten?
Es handelt sich um internationale Gewässer. Wenn man eine Schutzzone einrichten will, und das ist der Vorschlag einer Initiative von Forschern, dann muss man alle Staaten, die dieser Kommission angehören, mit ins Boot holen. Das ist in den vergangenen Jahren immer wieder missglückt. Auch 2013 sind zwei Versuche gescheitert, vor allem am Widerstand von Russland und China. Die sind sehr interessiert an der Fischerei. Darum ist es das Anliegen des neuen Dokumentarfilms "Last Ocean" und des gleichnamigen Buches von John Weller, das jetzt erschienen ist, die Öffentlichkeit auf die Einzigartigkeit und die Schutzbedürftigkeit dieses Ortes aufmerksam zu machen. Denn viele Menschen wissen ja nicht einmal, was das Rossmeer eigentlich ist.