GEO.de: Die Wochenzeitung DIE ZEIT erklärte jüngst "Wer grüne Elektrizität kauft, erhält den gleichen grauen Strom wie alle anderen." Der Umweltnutzen sei "nahe null". Stimmt das?
Veit Bürger: Das hängt vom jeweiligen Angebot ab. "Guter" Ökostrom hat eine Ausbauwirkung. Das bedeutet, die Nachfrage nach diesem Strom sorgt dafür, dass neue Ökostrom-Anlagen gebaut werden: Wasser- und Windkraft-, Solaranlagen und Biomasse-Kraftwerke - auch über die Wirkung der staatlichen Förderung hinaus. "Schlechte" Produkte dagegen machen nichts anderes, als den schon vorhandenen Ökostrom explizit als ökologisch zu vermarkten, ohne dass dabei eine zusätzliche Kilowattstunde Ökostrom erzeugt wird.
Was ist daran schlecht?
Sie müssen bedenken, dass wir in Europa ohnehin große Mengen Strom aus erneuerbaren Energien haben, insbesondere aus Wasserkraft. Allein damit könnte man den gesamten Jahresstromverbrauch in Deutschland decken. Nur ein Teil dieses Stroms wird bisher explizit als Strom aus erneuerbaren Energien vermarktet. Das bedeutet: Es gibt noch ein großes Potenzial für "schlechte" Produkte, die keine Ausbauwirkung haben, die also nicht gewährleisten, dass neue Anlagen gebaut werden. Denn nur solche neuen Anlagen können langfristig Atommeiler und Kohlekraftwerke verdrängen.
Wie kann ich als Kunde "guten" von "schlechtem" Ökostrom unterscheiden?
Um "guten" Ökostrom kenntlich zu machen, haben wir mit dem WWF und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen das ok-power-Label ins Leben gerufen. Produkte, die damit zertifiziert sind, müssen zu mindestens einem Drittel aus Anlagen stammen, die nicht älter als sechs Jahre sind.
Nun behaupten Kritiker aber, durch die Nachfrage nach grüner Energie seien kaum neue Anlagen gebaut worden, die nicht sowieso gebaut worden wären.
Es ist in der Tat schwierig, diesen Vorwurf eindeutig zu entkräften. Es wäre unlauter zu behaupten, die Anlage X ist nur deswegen gebaut worden, weil es die Kunden des Produkts Y gibt. Aber es gibt Marktmechanismen, die so einen Zusammenhang klar belegen: Strom aus Neuanlagen wird teurer gehandelt als Strom aus Altanlagen. Das heißt: Wir senden mit unserem Ein-Drittel-Kriterium ein Preissignal aus - das letzten Endes wieder Investitionsanreize für neue Anlagen bietet.
Anders gesagt: Wenn sie ok-power-zertifizierten Strom beziehen, dann werden Sie in sechs Jahren mit Strom aus Anlagen versorgt, die heute noch nicht existieren. Es ist also nicht richtig zu behaupten, dass Ökostrom überhaupt keine Ausbauwirkung habe.
Oft wird mit "Null-Emissions"-Strom geworben. Können Sie pauschal sagen, wie groß die CO2-Einsparungen bei Ökostrom wirklich sind?
Wir sind davon abgekommen, solche Bilanzen aufzustellen. Natürlich kann ich als Kunde sagen, ich habe Null-Emissions-Strom gekauft. Aber das bedeutet nicht, dass sich objektiv etwas daran geändert hat, wie sich in Europa die Stromerzeugung zusammensetzt. Denn dafür haben andere in Europa ein bisschen mehr Emissionen, weil ich ihnen sozusagen ein bisschen Wasserkraft weggenommen habe. Und die Skandinavier haben ebenfalls mehr Atom- und Kohlestrom, wenn wir in Deutschland ihre Wasserkraft nutzen und ihnen im Gegenzug unseren Graustrom liefern.
Auch RECS (Renewable Energy Certificate System) steht in der Kritik, ein System zur Zertifizierung von Strom aus erneuerbaren Energien. Solche Zertifikate werden an Ökostrom-Erzeuger herausgegeben und dann von Stromkonzernen gekauft, die damit entsprechende Mengen von ihrem konventionellen Strommix umetikettieren. Ist das nicht Verbraucher-Täuschung?
Die Debatte um die RECS-Zertifikate geht am eigentlichen Thema vorbei. Die Zertifikate sind nicht mehr und nicht weniger als ein Nachweis, dass eine bestimmte Menge Strom wirklich in einer Erneuerbare-Energien-Anlage erzeugt wurde - egal wie alt diese ist, ob sie gefördert wurde oder nicht. Die entscheidende Frage ist: Wie unterscheiden wir Ökostrom mit Ausbauwirkung von Ökostrom ohne Ausbauwirkung? Den Anspruch, das zu leisten, erhebt das RECS-System gar nicht. Diese Rolle übernehmen unabhängige Ökostromlabel wie das ok-power-Label.
Ist es von Vorteil, wenn Ökostrom-Anbieter den Strom direkt bei Ökostrom-Erzeugern einkaufen?
Ökologisch macht es aus unserer Sicht überhaupt keinen Unterschied. Denn die Marktmechanismen sind dieselben. Der Effekt der Verdrängung alter Anlagen durch neue ist unabhängig davon, ob der Strombezug über Lieferverträge läuft oder sich ein Anbieter den Umweltnutzen in Form von Zertifikaten besorgt. In beiden Fällen ist das zentrale Kriterium, dass Anlagen involviert sind, die neu sind und außerhalb der staatlichen Fördersysteme betrieben werden.
Jüngst geriet der größte Ökostrom-Anbieter, LichtBlick, in die Kritik, weil er seinen Kunden ungefähr ein Prozent Graustrom verkauft, also konventionellen Strom aus allen Erzeugungsarten, vor allem Atom und Kohle. Das Unternehmen rechtfertigte sich damit, dass es sich um Regel- oder Ausgleichsenergie handle, also Strom, mit dem die Abweichung zwischen prognostiziertem und tatsächlichem Verbrauch ausgeglichen wird.
In der Diskussion werden zwei Dinge vermischt: Mit der Problematik der Regel- und Ausgleichs-Energie haben alle zu tun, auch die Ökostromanbieter. Diese kleinen Energiemengen stellt der Netzbetreiber bereit. Und da es keinen Markt für grüne Regel- oder Ausgleichsenergie gibt, handelt es sich in der Regel um "grauen" Strom. Das Problem bei LichtBlick scheint aber ein anderes zu sein. LichtBlick hat große Industriekunden, die kurzfristig Mehr- oder Minderbedarf anmelden. Da mag es schwer sein, rechtzeitig die entsprechenden Mengen auf dem Markt zu besorgen. Also wurden diese Kurzfristprognoseabweichungen über die Energiebörse ausgeglichen - mit Graustrom. Diese Problematik haben viele andere Ökostromanbieter nicht - weil sie keine großen Industriekunden haben. Ein großes ökologisches Problem sehe ich dann nicht, wenn diese Fehlmengen im Folgejahr in Form einer entsprechenden Mehrbeschaffung an Ökostrom ausgeglichen werden. Im Fall von LichtBlick handelt es sich eher um ein PR- oder Kommunikationsproblem - allerdings mit schwerwiegenden Folgen für die generelle Reputation des Ökostrommarkts.
Sind die "grünen" Produkte der großen Stromkonzerne eine gute Wahl?
Wenn diese Produkte gewisse Mindestkriterien erfüllen, besonders die Ausbauwirkung, dann ist aus ökologischer Sicht daran nichts auszusetzen.
Aber nehme ich damit nicht in Kauf, dass das Geld, das ich dem Konzern zahle, wieder in Kohle- und Atomstrom investiert wird?
Ich kann jeden Verbraucher sehr gut verstehen, der mit der etablierten Energiewirtschaft nichts mehr zu tun haben will und darum zu einem unabhängigen Anbieter wechseln möchte. Aus der ökologischen Perspektive macht es jedoch keinen Unterschied, ob ein Ökostromprodukt von einem unabhängigen oder etablierten Anbieter angeboten wird, vorausgesetzt, es erfüllt eine Ausbauwirkung. Wir haben wir uns deswegen vor Jahren bewusst dafür entschieden, Produkte zu zertifizieren, nicht deren Anbieter.
Haben Sie einen Tipp für die Wahl des richtigen Anbieters?
Konkrete Produktempfehlungen geben wir nicht. Ohnehin ist immer der erste und wichtigste Schritt: Strom sparen! Den verbleibenden Energiebedarf sollten Sie dann mit "gutem" Ökostrom decken.
Interview: Peter Carstens