Jede Minute vernichten Menschen überall auf der Erde eine Fläche von 35 Fußballfeldern Wald. Unwiederbringlich. Wirklich unwiederbringlich? Der Film "Das Geheimnis der Bäume" des französischen Filmemachers Luc Jaquet ("Die Reise der Pinguine") wagt ein Experiment. Er fängt beim Kahlschlag an und lässt den Wald wieder wachsen. Ähnlich wie der amerikanische Bestseller-Autor Alan Weisman denkt Jaquet den großen Naturzerstörer, den Menschen, weg. Und den Wald wieder hin. Aber das dauert. Es ist ein jahrhundertelanger Prozess, der mit der Besiedelung der Brachflächen durch Baumsamen, die im Boden überdauert haben, beginnt. Sekundärwald entsteht. Ein immer komplexeres Netz von Lebewesen spinnt sich selbst: Tausende von Pflanzen- und Tierarten, deren Schicksale durch evolutionäre Prozesse eng miteinander verknüpft sind.
Da entwickeln sich fruchtbare Beziehungen über die Grenzen von Tier- und Pflanzenreich hinweg: Der Ameisenbaum etwa beherbergt und ernährt ganze Insektenstaaten. Als Gegenleistung wird er von ihnen gegen Fressfeinde wie Raupen verteidigt. Aber es gibt auch Geschichten von Kampf und Abwehr. Wie die Geschichte der Passionsblume und einer Schmetterlingsart, deren Raube von ihren Blättern lebt. Weil die Raupen den Pflanzen zusetzt, hat diese immer neue Arten mit immer neuen Schutzmechanismen gebildet. Darauf reagierte der Schmetterling, indem er seinerseits immer neue Arten bildete, die auf die pflanzlichen Finten immer neue Antworten fanden. Die Würgefeige fängt ihr Leben dort an, wohin andere jahrzehntelang wachsen müssen: im sonnigen Blätterdach der Regenwaldgiganten. Sie lässt ihre Samen von Tieren in deren Kronen tragen, keimt dort - und wächst fortan von oben nach unten. Bis ihr Wirt erstickt.
Francis Hallé: Ein stiller Botanik-Star
Es sind solche Geschichten, die Luc Jaquet dazu bewegt haben, ein leinwandfüllendes Plädoyer für den Regenwald und seine Photosynthese treibenden Bewohner zu komponieren. Inspiriert hatte ihn dazu Francis Hallé. Der emeritierte Botaniker spielt im Film sich selbst - als stummen Beobachter, als Zeichner der pflanzlichen Architektur. Bekannt wurde Hallé, der 40 Jahre lang in 45 Ländern den Regenwald erforschte, mit unkonventionellen Forschungsmethoden. So konstruierte er luftgefüllte Flöße, getragen von Heißluftballons, von denen Forscher das Kronendach des Regenwaldes bequem von oben erkunden konnten.
Gern würde man von Hallé etwas über seine Forschungen hören. Er hätte sicher viel zu erzählen. Aber Jaquet geht es nicht darum, die Waldzerstörung und ihre Folgen zu illustrieren. Ebensowenig liegt ihm daran, die Forschung eines Einzelnen zu würdigen. Jaquet will bei einem - vielleicht eher jungen - Publikum Begeisterung für einen Lebensraum wecken. Die Sinne der Menschen für das Geheimnis der Bäume schärfen.
Warum jedoch die Macher des Films Computeranimationen so inflationär einsetzen - das wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Denn die Aussagekraft der Animationen ist begrenzt, der Wissensgewinn für den Zuschauer eher gering. Der Film hat die künstliche Zeitraffer-Ästhetik auch gar nicht nötig. Die Kamerafahrten durch den Dschungel, aufgenommen in Gabun und Peru, die Bilder von jahrhundertealten Baumriesen sind eindrucksvoll genug. Geht es doch gerade um deren Bewegungslosigkeit. Um ihre Ruhe und Würde. Um ihr Beharren in der Zeit. Wenn man sie denn lässt.
Die Website zum Film: www.dasGeheimnisDerBaeume.de