Überall auf der Erde wird es wärmer, doch nirgendwo so schnell wie an ihren kältesten Orten: in den Polargebieten, in den Hochgebirgen. Sie erwärmen sich zwei- bis dreimal rascher als andere Regionen. In den Alpen schmelzen in der Folge fast alle Gletscher zurück, Permafrostböden tauen. Das gefrorene Wasser hat die Hänge in der Vergangenheit wie Zement zusammengebacken. Jetzt schlittern Felsen wie auf Wasserrutschen von den Bergflanken, Schlammlawinen gehen ab, Steine rumpeln zu Tal. Ausgerechnet dort, wo man die Welt besonders heil wähnt, fängt sie als Erstes an, brüchig zu werden. Und noch etwas ändert sich: Tiere und Pflanzen im Alpenraum haben zu wandern begonnen. Die einen, um steigenden Temperaturen zu entfliehen. Die anderen, um neues Terrain zu erobern.
Insgesamt sind die Temperaturen seit Mitte des 19. Jahrhunderts im globalen Mittel um 0,8 Grad Celsius, im österreichischen Alpenraum um exakt das Doppelte, 1,6 Grad Celsius, gestiegen. Hat sich die Vegetation in den Versuchsflächen bereits verändert? Im ersten Moment verblüfft die Antwort von Harald Pauli, der für das Gebirgsforschungsinstitut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften arbeitet. Die Artenzahl auf fast allen Gipfeln habe zugenommen, in Mittel- und Nordeuropa um rund zehn Prozent. Das liege daran, dass die ersten Nachrücker sich bereits angesiedelt hätten, während die etablierten Pflanzen noch ausharrten. "Die gute Nachricht lautet", sagt Pauli, "das Aussterben dauert lange."
Und die schlechte? "Hochgebirgspflanzen sind extrem lichtbedürftig, sie vertragen keinen Schatten. Sobald hohe Gräser, Zwergsträucher, der erste Baum aufschießen, ist es vorbei mit ihnen. Flucht? Unmöglich. Sie sitzen ja schon auf den obersten Metern." Und Pauli spricht von einer "Extinction Debt": Die Spezialisten hielten zwar durch, aber sie vermehrten sich nicht mehr. "Der Aussterbeprozess hat bereits eingesetzt."
Lesen Sie mehr über den GEO-Tag der Artenvielfalt Nationalpark Hohe Tauern im Magazin Nr. 9/2013.