Konsum Vom Glück des Verzichts: Wer bewusster einkauft, lebt zufriedener

Von Xenia El Mourabit
Ein Zuviel der Dinge – in Szene gesetzt vom amerikanischen Künstler-Duo Mary Magsamen und Stephen Hillerbrand
Ein Zuviel der Dinge – in Szene gesetzt vom amerikanischen Künstler-Duo Mary Magsamen und Stephen Hillerbrand
© Hillerbrand+Magsamen
Unser Drang, immer mehr Dinge zu einem immer günstigeren Preis anzuhäufen, ist für einen Großteil aller CO₂-Emissionen verantwortlich. Warum hat der Konsum solch eine Macht über uns? Und was können wir ihm entgegensetzen?

Es erscheint geradezu paradox: Ausgerechnet jene Menschen, die ein hohes Umweltbewusstsein haben, die sich für ökologische Werte interessieren und die bereit sind, die grüne Wende mitzugestalten – ausgerechnet sie tragen nicht selten besonders viel zu Ressourcenverbrauch und Klimawandel bei. Der simple Grund: Unter ihnen finden sich auffällig viele akademisch gebildete Gutverdiener. Und wer über ein höheres Einkommen verfügt, der – so einfach ist das in der Regel – verbraucht auch überdurchschnittlich viel. Der bezieht oft ein größeres Haus, fährt ein Auto, das vielleicht mit Hybridantrieb über die Straßen rollt, aber dennoch voluminös und schwer ist, reist häufiger in entfernte Regionen, füllt seine Zimmer mit mehr Möbeln, benötigt mehr Energie, um zu heizen, zu streamen, zu beleuchten.

Konsum: Vom Glück des Verzichts: Wer bewusster einkauft, lebt zufriedener

Kurz: Wer mehr Geld zur Verfügung hat, der konsumiert auch mehr. Dass jene Menschen überdurchschnittlich oft Biolebensmittel kaufen und womöglich sehr sorgfältig ihren Müll trennen, vermag ihren ökologischen Fußabdruck in anderen Bereichen kaum aufzuwiegen.

Kaum verwunderlich, dass die Emissionen von klimaschädlichen Gasen stetig steigen. Denn: Das Emissionsproblem ist in erster Linie ein Konsumproblem. Weltweit gelangen jährlich etwa 50 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre, über 70 Prozent davon hängen mit dem Konsum privater Haushalte zusammen.

Absurd, aber wahr: Vieles, das wir kaufen, landet schon nach kurzer Zeit im Müll
Absurd, aber wahr: Vieles, das wir kaufen, landet schon nach kurzer Zeit im Müll
© Hillerbrand+Magsamen

Unzählige Beispiele illustrieren, welche fatalen Folgen das hat – für die Menschen und die Umwelt: Der Hype um das Superfood Avocado verursacht Wasserknappheit in Chile und teils tödliche Konflikte um Land in Mexiko; unsere ungestillte Nachfrage nach Fleisch und Milch schadet dem Tierwohl und führt zu ausbeuterischen Geschäftspraktiken bei Landwirten und in Schlachthöfen; das in Smartphones und Computern verbaute Coltan oder Kobalt wird unter lebensgefährlichen Bedingungen – oft von Kindern – in Konfliktregionen wie dem Kongo abgebaut.

Wir müssen mehr teilen, tauschen und reparieren

Und was geschieht mit all den Dingen, die wir nicht mehr benötigen, etwa den jährlich mehr als 50 Millionen Tonnen Elektroschrott? Zu großen Teilen wird dieser Müll nicht recycelt, sondern landet über kurz oder lang auf Deponien in aller Welt oder wird verbrannt. Hinzu kommen: etwa 75 Kilogramm Lebensmittel, die jeder Bundesbürger jährlich entsorgt; fast 200 Millionen alte Handys und Smartphones, die ungenutzt in Schubladen liegen; zahllose Kleidungsstücke, die ungetragen auf Bügeln hängen – oder nach kurzer Zeit im Müll landen. 60 Prozent der Deutschen sagen von sich selbst, dass sie zu viel Kleidung besitzen; etwa die Hälfte aller Fast-Fashion-Teile hat nach weniger als einem Jahr ausgedient.

All das ist längst bekannt, und doch konsumieren wir (abgesehen von einem kleinen pandemiebedingten Rückgang im Jahr 2020) seit Jahren immer weiter – und immer mehr. So haben sich die Konsumausgaben hierzulande zwischen 1991 und 2019 von 867 auf 1755 Milliarden Euro verdoppelt!

Keine Frage: Ein Teil dieser Ausgaben fließt inzwischen in Waren und Dienstleistungen, die deutlich nachhaltiger sind als noch vor 30 Jahren. Schließlich gibt es mittlerweile zu nahezu jedem herkömmlichen Produkt mehr oder weniger bessere Alternativen: fair produzierte Jeans und Smartphones, Biofleisch und ökologisch angebaute Avocados, Bambuszahnbürsten und wiederverwendbare Wattepads, Elektroautos und Ökostrom. Die meisten Alltagsprodukte lassen sich durch eine umwelt- und sozialverträglichere Variante ersetzen.

Doch was wissenschaftliche Studien klar zeigen, ahnt auch der Verbraucher: Es wird nicht ausreichen, etwas öfter in den Bioladen zu gehen oder gelegentlich eine nachhaltig produzierte Jeans zu kaufen. Was sich ändern muss (wenn wir die grüne Wende schaffen wollen), ist unser Konsumverhalten insgesamt. Die Art und Weise, wie, wann, zu welchem Zweck wir Waren erwerben oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Wie wir mit den Dingen umgehen, die wir unser Eigen nennen. Das bedeutet: Wir sind angehalten, deutlich weniger zu konsumieren, dafür mehr zu teilen und zu tauschen, mehr zu reparieren.

Viele umweltfreundliche Verhaltensweisen sind unsichtbar

Allein: Ausgerechnet den Konsum einzuschränken, fällt vielen von uns ungemein schwer. Die Gründe dafür sind vielfältig – vor allem sind sie psychologischer und gesellschaftlicher Natur. Schließlich leben wir heute in einer Welt, in der Kaufkraft ein wichtiger Teil unserer Existenz darstellt. Noch in früheren Jahrhunderten geißelten Philosophen Konsum als etwas, dass uns von "wahrer" geistiger Entfaltung und unseren sozialen Pflichten ablenkt. Spätestens seit dem Zeitalter der Aufklärung setzte sich eine fundamental andere Sicht durch: In einer zivilisierten, pluralistischen Gesellschaft – so seither die Losung – formt sich der Mensch als Individuum. Und benötigt dazu Kaufkraft.

"Dies bedingt ständige Erneuerung – von Produkten, Wünschen und Lebensweisen", sagt der Konsumforscher Frank Trentmann. "Der moderne Mensch erwirbt Kleidungsstücke, die ihm besonders wichtig sind. Er gestaltet seine Wohnräume neu, sodass sie seine Persönlichkeit unterstreichen. Trägt Souvenirs aus Ländern zusammen, um zu zeigen: All diese Facetten gehören zu meinem Ich."

Status, Identität, Nachahmung: All das befeuert unseren Konsum etwa von Kleidung – selbst, wenn er uns zuweilen erdrückt
Status, Identität, Nachahmung: All das befeuert unseren Konsum etwa von Kleidung – selbst, wenn er uns zuweilen erdrückt
© Hillerbrand+Magsamen

Neben der großen Masse an Produkten des täglichen Bedarfs konsumieren wir also lauter Dinge, die vor allem dazu bestimmt sind, unser Selbst zum Ausdruck zu bringen, unseren Status zu unterstreichen, unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Und die Grenze dessen, was für unser Zufriedensein, für unsere Ich-Entfaltung nötig erscheint, hat sich im Laufe der Zeit immer weiter nach oben verschoben. "Wir leben in einer Konsumgesellschaft, die von uns erwartet, dass wir konsumieren", sagt Lucia Reisch, Professorin für Verhaltensökonomik und Nachhaltigkeit an der Universität Cambridge. Wer nun umsteuert und versucht, seinen Konsum einzuschränken oder ökologischer zu gestalten, schwimmt – zumindest bislang noch – gegen den großen Strom der Masse. "In den letzten 70 Jahren Konsumgesellschaft war Nachhaltigkeit nie die soziale Norm – und hatte entsprechend wenig Einfluss auf unser Kaufverhalten", erklärt die Professorin. Nur für eine kleine Gruppe mit starkem Wertegerüst sei Nachhaltigkeit ein Kaufmotiv. Oder Verzicht eine attraktive Option.

Denn das Manko vieler umweltfreundlicher Verhaltensweisen ist: Sie sind unsichtbar. Keine Fluggesellschaft, kein Nachbar registriert, wenn jemand aus Umweltschutzgründen aufs Fliegen verzichtet. Urlaubsbilder von Karibikstränden dagegen lassen sich gut in Social-Media-Kanälen oder im Freundeskreis präsentieren. Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Michael Bilharz erklärt das so: "Verzicht ist häufig nicht nur mit persönlichen Einschränkungen verbunden, sondern hat auch den Nachteil, dass niemand die damit verbundene Umweltbotschaft sieht."

Dabei ist ja gerade Sichtbarkeit für unseren Konsum essenziell: Schließlich zeigen wir mit dem, was wir essen, wie wir uns kleiden, wie wir wohnen, welche Bücher wir in unser Regal stellen, welche Zeitschriften wir lesen, wohin wir in den Urlaub fahren (oder fliegen), wer wir sind, oder wer wir sein wollen.

"Make the sustainable choice the easy choice"

Viele orientieren sich dabei an dem, was die anderen tun, was als Norm gilt. Hierzulande bedeutet das vielleicht ein Haus mit Garten, ein großes Hybridauto oder Urlaub mindestens an der Côte d’Azur. Mit unserem Nachahmungsverhalten prägen wir so den westlichen Lebensstandard – und dieser gilt global als Maßstab: Viele wollen genauso viel Urlaub machen, Fleisch essen, Kleidungsstücke besitzen oder Auto fahren wie wir. So wird die globale Konsumentenklasse immer größer.

Doch nicht nur weiche Bedingungen wie die mangelnde Sichtbarkeit ökologischen Verhaltens, auch Rahmenbedingungen im Umfeld erschweren bislang einen umwelt- und sozialverträglichen Konsum. Wer einmal einen Saisonkalender für Obst und Gemüse studiert hat und dann versucht, sich bei seinen Einkäufen ganz danach zu richten, kennt diesen Frust. Und das ist nur ein Beispiel von vielen: Bahnfahrten dauern oft länger und sind teils teurer als Inlandsflüge. Wer fair gehandelte Biokleidung kaufen will, kann nicht einfach in den erstbesten Laden der örtlichen Innenstadt gehen. Ein Smartphone zu reparieren ist teilweise genauso teuer, wie ein neues zu kaufen – und zudem für den Besitzer aufwendiger. Beim Umzug lohnt es manchmal eher, die Möbel wegzuwerfen, anstatt sie mitzunehmen.

Die Konsumforscherin Lucia Reisch fordert deshalb von Politik und Unternehmen: "Make the sustainable choice the easy choice – die nachhaltigere Variante muss das sein, was naheliegend ist, das was man sich leisten kann, das was bequem ist, das was andere machen, das was alle machen, das was zu meinem Status beiträgt." Bis dahin, so der Tenor der Wissenschaft, braucht es Vorbilder, die ein ökologisches Kaufverhalten attraktiver machen.

"Nachhaltiger Konsum von Pionieren ist ein wichtiger Beitrag, um die Rahmenbedingungen zu schaffen, die letztlich allen einen umwelt- und sozialverträglichen Konsum ermöglichen.", sagt Michael Bilharz, der sich neben seiner Arbeit im Umweltbundesamt auch in Bürgerinitiativen und Vereinen wie "3 fürs Klima e. V." engagiert. Er selbst lebt klimapositiv, sorgt mit seinem Verhalten und seinen Entscheidungen dafür, dass sogar CO2 aus der Atmosphäre verschwindet.

Wie schafft man das? "Umweltfreundlichen Leben betrifft alle Bereiche unseres Alltags. Das kann schnell überfordern", so Bilharz. Viele überschätzen etwa die Bedeutung der eigenen Einkaufstasche (anstelle einer Plastiktüte), unterschätzen dagegen den Fleischkonsum in seiner Umweltwirkung. "Tausende von Möglichkeiten, und der Kampf um Aufmerksamkeit von Produkten, Medien, Influencern und Unternehmen führen dazu, dass gefühlt jede Zahnbürste zur Weltrettung wird."

Bilharz legt bei seinen Entscheidungen die höchste Priorität auf das Klima. Trotz einzelner Zielkonflikte – Windkraftanlagen vertragen sich nicht immer mit dem Vogelschutz, Elektroautos benötigen Batterien – gebe der Klimaschutz meist auch für andere Umweltherausforderungen die richtige Richtung an. Er fordert: "Wir müssen bei der Einsparung von Treibhausgasen einen Einheitensprung schaffen: Statt zu Kilogramm müssen wir zu Tonnen kommen." Die Zahnbürste hat dann nicht mehr unbedingt Priorität.

Minimalisten fühlen sich freier und erfüllter

Stattdessen empfiehlt Michael Bilharz drei Dinge: Zum einen den Klimafußabdruck soweit es subjektiv möglich ist zu reduzieren. Am einfachsten funktioniert das seiner Erfahrung nach, wenn man bei den Alltagsstrukturen ansetzt: die Umstellung auf Ökostrom zum Beispiel, eine kleinere Wohnung, ein grünes Bankkonto, eine wassersparende Duschbrause oder Dämmung fürs Haus. All dies sind einmalige Änderungen, die mit der Zeit vergleichsweise große Wirkung entfalten – ohne uns tagtäglich zu beschäftigen.

Die übrigen Treibhausgasemissionen empfiehlt Bilharz durch Spenden an Umweltschutzprojekte zu kompensieren. So kann es sogar gelingen, klimapositiv zu leben. Die dritte Maßnahme besteht darin, den eigenen "Handabdruck" zu vergrößern, also andere für Klimaschutz zu begeistern. "Obendrein kann man sich dann noch mit denjenigen Themen beschäftigen, die einem persönlich etwas bedeuten. Das ist dann womöglich das nachhaltige Zähneputzen, die Natur-Kosmetik, das Bio-Waschmittel oder die ökologisch und sozial fair produzierte Kleidung."

Wer sich auf diesen Weg macht – und das ist die vielleicht ermutigendste Botschaft –, der kann eine ungemein wertvolle Erfahrung machen. Forscher, die sich mit unserer Lebenszufriedenheit beschäftigen, kommen nämlich zu dem Schluss, dass freiwillige Einschränkung und Verzicht unser persönliches Glück mitnichten zwangsläufig schmälern. Im Gegenteil: Sie beobachten vielmehr, dass sich etwa Minimalisten durch ein Weniger an Gütern freier, erfüllter und weniger gestresst fühlen. Denn diese Menschen leben offenbar bewusster.

Sie scheinen ihr Bewusstsein für das Bedeutungsvolle zu schärfen, für das im Leben, was wirklich zählt. Und das sind – da ist sich die Forschung ziemlich einig – in erster Linie gelingende soziale Beziehungen. Die tragen zu unserer Zufriedenheit erheblich mehr bei als jede Weltreise und jeder Shoppingtrip, der unsere Stimmung allenfalls kurzfristig hebt. Man könnte also sagen: Wer nachhaltig lebt, hat unter Umständen auch die Chance auf nachhaltiges Glück.

Erschienen in GEO Wissen Nr.73 (2021)