Natur verstehen Effizienter als jede Solarzelle: Wie Riesenmuscheln aus Sonne Energie gewinnen

große blaue Muschel im Wasser
Iridozyten bringen die Mantellippen der Riesenmuschel zum Strahlen. Der schillernde Effekt dieser Zellschicht ist nicht nur schön anzusehen, sondern schützt auch die darunter lebenden Algen. 
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Ihr Schutzreflex machte sie zum Schrecken der Tauchszene und verschaffte ihr den Spitznamen "Mördermuschel". Aber zusammen mit einer Alge bildet die Riesenmuschel das Dreamteam der Solarenergie

1924 veröffentlichte das "Popular Mechanics Magazine" den Artikel "Riesenmuscheln halten Taucher zwischen ihren Schalen gefangen". Demnach lauerten die Muscheln in den Korallenriffen des Indopazifiks wie Bärenfallen auf nichtsahnende Tauchende. Wer aus Versehen hineintappte, wurde mit einer gewaltigen Kraft festgehalten und ertrank. 

Tatsächlich schließen die Weichtiere ihre bis zu 140 Zentimeter großen Schalen, wenn sie sich bedroht fühlen – allerdings so langsam, dass Menschen problemlos davonschwimmen können. Gefährlich werden die Muscheln nur den mikroskopisch kleinen Pflanzen und Tieren, die sie aus dem Wasser filtern. Doch die Winzlinge allein liefern ihnen nicht genug Energie, um so groß zu werden. Deshalb nutzt die Riesenmuschel auch die Kraft der Sonne – und zwar mithilfe ganz besonderer Algen, die das Licht für sie in Nährstoffe umwandeln.

Diese Zooxanthellen sind Einzeller, die mit verschiedenen Lebewesen in Symbiose leben. Bei der Riesenmuschel gedeihen sie in den Mantellippen. Dort türmen sich die Algen zu Strängen, die senkrecht stehen wie Bäume im Wald. Darüber liegt, wie ein schützendes Blätterdach, eine Schicht aus Iridozyten. Im Gegensatz zur Laubkrone halten diese Muschelzellen die Sonnenstrahlen nicht einfach ab, sondern reflektieren nur Wellenlängen, die den Einzellern nicht genehm sind. Das restliche Licht streuen sie so, dass der Algenwald darunter bis zur untersten Zelle beleuchtet wird.

Womöglich nutzt die Riesenmuschel noch einen weiteren Trick, um ihre mikroskopisch kleinen Mitbewohner bei Lichtschwankungen möglichst vorteilhaft zu positionieren. Steigt ihr Blutdruck, etwa als Reaktion auf eine Berührung, schwillt ihr Gewebe an. Die Algentürmchen im Innern bewegen sich mit und stehen je nach Volumen mal näher, mal ferner zueinander. Simulationen haben gezeigt, dass die Algen dadurch das Optimum an Sonnenlicht bekämen. 67 Prozent der Sonnenenergie könnten sie durch Fotosynthese in chemische Energie umwandeln – fast dreimal so viel wie die Solarzellen einer Photovoltaikanlage. Doch mit der Hilfe der Riesenmuschel und der Alge könnte nicht nur die Solarenergie effizienter werden, sondern auch die Produktion von Biokraftstoffen aus Algen. Bei optimaler Sonneneinstrahlung könnte ein Hektar Algen 60.000 Liter Brennstoff liefern.