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Wandern Unterwegs auf dem malerischen Romediusweg

Der Romediusweg in Südtirol
Tierische Begleitung ist auf dem Romediusweg nicht obligatorisch. Dennoch hat Autor Titus Arnu seinen Labrador Bruno dabei, der mit ihm das Faltschnaljöchl erklimmt, einen der Höhepunkte der Tour
© Moritz Attenberger für GEO Special
Einst soll ein Heiliger auf einem Bären durch Südtirol geritten sein. Wahrheit oder fromme Legende: Auf dem Romediusweg vom Schneeberg im Ridnauntal bis Meran erleben auch Wanderer ohne Heiligenschein drei Tage voller Naturwunder

Inhaltsverzeichnis

Tag 1: Maiern - St. Martin am Schneeberg

  • Strecke: 12 Kilometer
  • 1300 Höhenmeter

Der Schneeberg ist gar nicht weiß. Die Wiesen sind dunkelgrün, gesprenkelt mit blauen Alpenastern. Der Himmel war anfangs blau, nun ziehen graue Wolken über den Gipfeln auf. Obwohl es Ende Juli ist, bläst uns kühler Wind entgegen – und riecht es nicht doch etwas nach Schnee? Hoffentlich hält das Wetter.

Nach zweieinhalb Stunden Aufstieg von Maiern im Ridnauntal über gemütliche Forstwege und grasige Pfade macht sich Hunger bemerkbar. Also legen Fotograf Moritz Attenberger und ich an der "Moarerbergalm" eine Rast ein und bestellen Kaspressknödelsuppe und Holunderschorle. Der Imbiss gibt uns die nötige Energie für die restlichen 700 Höhenmeter bis zur Schneebergscharte, dem geografischen Höhepunkt des Tages.

Vorbei an einem Bergsee geht es auf den Steig Nr. 28, das Gelände wird steiler und steiniger. Das Gestein schimmert metallisch, überall im Gelände liegen alte Schienen und verrostete
Geräte herum – der Schneeberg war früher ein Abbaugebiet für verschiedene Metalle. Beim Aufstieg über die Serpentinen beginnt es zu tröpfeln, doch die Sonne bricht immer wieder durch die Wolken.

Plötzlich schimmert der Berg wie eine Discokugel: Ein Regenbogen spannt sich über den Talkessel. Da, wo er auf die östliche Flanke des Schneebergs trifft, ist der halb verfallene Eingang zu einem Stollen zu erkennen. Steht dort, am Ende des Regenbogens, vielleicht ein Topf mit Gold?

Blick von der Schneebergsscharte auf Moarbergalm im Lazzachertal und Ridnauntal, Südtirol, Italien.
Für den Aufstieg zur Schneebergscharte braucht man Geschick auf schmalen Brücken und Kondition. Doch der Blick von der Schneebergsscharte auf die Moarbergalm im Lazzachertal entschädigt für den harten Aufstieg
© Moritz Attenberger für GEO Special

Der Romediusweg und die Bären-Story

Die Zeit reicht nicht, das zu erforschen. Es dämmert und es nieselt, lieber wollen wir an der "Schutzhütte Schneeberg" ankommen. Dort wartet wahrscheinlich kein Topf voller Gold, aber immerhin ein Topf heißer Suppe auf uns. Wir sind unterwegs auf dem Romediusweg, einem Fernwanderweg, der von Hall in Tirol bis nach San Romedio im Trentino führt. Insgesamt braucht man für 180 Kilometer zehn bis zwölf Tage.

Wir haben uns drei Etappen in der Mitte herausgesucht: von Maiern im Ridnauntal über den Schneeberg nach St. Martin, weiter nach Pfelders im Passeiertal und dann an den Spronser Seen vorbei nach Dorf Tirol bei Meran. Eine abwechslungsreiche Tour, die über zwei Joche führt, über grüne Almen und karge Geröllfelder, durch Zirbenwälder und Weinberge, vorbei an Schneefeldern bis hinunter zu Palmen und Apfelplantagen.

Im Vergleich zu stark frequentierten Alpenüberquerungsrouten wie dem E5 (Oberstdorf – Meran) ist der Romediusweg noch ziemlich unbekannt. Der Fernwanderweg ist benannt nach dem Heiligen Romedius, einem aus Bayern stammenden Adeligen, der seinen Besitz verschenkt haben soll, um nach Rom zu pilgern. Ob der Mann im 4., im 8. oder im 11. Jahrhundert lebte, ist nicht gewiss. Was zählt, ist die Bären-Story.

Der Legende nach wollte Romedius zum Bischof von Trient reiten, doch vor der Abreise zerfleischte ein Bär sein Pferd. Romedius sattelte daraufhin den Bären – und ritt so über die Alpen. Der Heilige gilt als Schutzpatron der Wanderer, er wird meistens mit Pilgerstab und einem Bären an der Leine dargestellt.

Abendessen in 2355 Metern Höhe

Trotz aller Bemühungen konnte die Redaktion leider keinen geeigneten Reisebären organisieren. Aus Gründen des Tierschutzes und wegen der Versicherung wäre das auch kaum durchsetzbar gewesen. Als Bärendarsteller kommt deshalb Bruno zum Einsatz, ein schokoladenbrauner Labrador, der nach dem legendären Problembären Bruno benannt ist. Er hat eine bärige Kondition, liebt einsame Gebirgsregionen und ist ein begnadeter Allesfresser – wie ein Braunbär eben, nur ein bisschen kleiner.

Leider kann man nicht auf ihm reiten, sodass wir den ganzen Weg zu Fuß gehen müssen. Bruno weigert sich auch, Satteltaschen zu tragen, also muss das Herrchen mehrere Kilogramm Futter im Rucksack mitschleppen. Oben an der Scharte blicken wir in eine Nebelwand, man hört Kuhglocken bimmeln und Schafe blöken. Auf 2700 Metern hat sich der Schnee nordseitig bis in den Spätsommer gehalten.

Beim Abstieg tauchen vor unseren Augen rote und blaue Punkte auf, die auf dunkelweißen Wolken durch den hellweißen Nebel zu schweben scheinen. Eine Halluzination? Ein Zeichen vom Heiligen Romedius? Viel profaner: Es sind Farbkleckse auf Fell. Die Bauern haben ihre Schafe markiert. Die Umrisse der weißen Tiere verschwimmen mit der Nebelsuppe, nur die bunten Punkte stechen ins Auge.

Die "Schutzhütte Schneeberg" liegt auf 2355 Metern, sie sieht eher aus wie ein Gasthaus als wie eine Almhütte. Heinz Widmann, der Wirt, führt die Unterkunft seit 21 Jahren, er zeigt den nassen Gästen den Weg zum Trockenraum, wo sie die matschigen Schuhe in ein Regal stellen und die triefende Jacke auf die Leine hängen können. Dann weist er uns das Lager unter dem Dach zu.

Zum Abendessen gibt es Suppe, Salat und Knappennudeln, ein nahrhaftes Pastagericht mit Fleischragout, Sahne, Pilzen und Kräutern. Die erste Etappe war gleich die schwerste, also erscheint uns dieser Kalorienberg auf dem Schneeberg hochverdient. Wir hatten ja nicht mal einen Tragebären.

Schneeberghuette in St. Martin am Schneeberg, rechts die Guertelwand, Suedtirol, Italien.
Die Schneeberghütte in St. Martin am Schneeberg, ist das Ziel der zweiten Tagesetappe
© Moritz Attenberger für GEO Special

Tag 2: St. Martin am Schneeberg - Moos - Pfelders

  • Strecke: 21 Kilometer
  • 800 Höhenmeter

Als am Morgen die Sonne aufgeht und sich der Nebel lüftet, wird klar, dass die Hütte mitten in einem ehemaligen Dorf steht. Es gibt eine Kapelle, verfallene Wohnhäuser, Schuppen, früher standen hier auch eine Schule, eine Bäckerei, eine Metzgerei, später sogar ein kleines Kino. St. Martin am Schneeberg war mehrere Jahrhunderte lang ein wichtiges Bergbauzentrum, von 1237 bis 1967 wurden Silber, Erz und Blei abgebaut. In den Glanzzeiten, als Meran die Hauptstadt Tirols war und dort Silbermünzen geprägt wurden, lebten und arbeiteten bis zu 1000 Menschen am Schneeberg, zuletzt waren es noch 200.

Franz Kofler ist 1954 in St. Martin am Schneeberg geboren, so wie seine vier Geschwister. Sein Vater war Schmied, seine Mutter lebte mit den Kindern die meiste Zeit oben am Berg.
Kofler kann sich erinnern, wie hart die Winter früher am Schneeberg waren: "Da lagen manchmal zwölf bis 14 Meter Schnee, wir haben uns in Tunneln von Haus zu Haus fortbewegt."

Jedes Gebäude hatte einen unterirdischen Zugang, der ganze Berg ist durchlöchert. "Die Buben mussten schon als Zwölfjährige arbeiten, die Männer haben unter Tage geschuftet, und die Frauen haben das Gestein sortiert", erzählt Kofler bei einem Rundgang durch den Untergrund. Der Weg führt durch einen feuchten Stollen unter St. Martin hindurch in die ehemalige Schmiede seines Vaters, die nun ein Bergbaumuseum ist.

Koflers Mutter ist 96 Jahre alt, und sie ist noch so fit, dass sie vergangenen Sommer aus Rabenstein bis nach St. Martin zu Fuß hochgestiegen ist, fast 1000 Höhenmeter. Wir wandern den umgekehrten Weg, steil bergab, vorbei an Bergbau-Ruinen und Schienen. Kurz vor Moos im Passeiertal führt der Weg durch einen Dschungel: drei Meter hohe Farne, Orchideen, Brennnesselwälder, umgestürzte Bäume, auf denen Pilze wachsen.

Unten in der Schlucht rauscht der Bach, und kurz vor einer abenteuerlichen Fußgängerbrücke wartet Romedius. Eine neu erbaute Gedenktafel mit der Darstellung des Heiligen als Bärendompteur, daneben ein Pilgerbuch, in das die Wanderer ihre Gedanken schreiben können. Die meisten Seiten sind noch leer, die Romediusroute existiert erst seit 2014.

Passeiertal, Suedtirol, Italien
Titus Arnu und sein Labrador Bruno oberhalb Saltnuss im Passeiertal
© Moritz Attenberger für GEO Special

Noch elf Kilometer bis Pfelders

Der Tiroler Pfarrer Martin Ferner und der Wanderführer Hans Staud sind dem Thaurer Ortsheiligen auf alten Pfaden über den Alpenhauptkamm gefolgt, von ihnen stammt die Idee für den Fernwanderweg. Ob Romedius tatsächlich diese Route gewählt hat, ob er bis Rom kam, ob der Heilige überhaupt existierte und warum sich Reitbären nie durchgesetzt haben, weiß kein Mensch – aber als Wanderanreiz taugt die Geschichte wunderbar.

Auch wenn die Motivation in Moos etwas nachlässt, denn nach dem langen Abstieg liegt ein langer Aufstieg vor uns. Pfelders, unser Tagesziel, ist noch elf Kilometer entfernt und 600 Höhenmeter weiter oben. Anstatt auf ein Wunder zu warten, kann man auch auf den Bus warten, der in Richtung Pfelders fährt. Oder tapfer weiterpilgern so wie wir, über Weiden und durch Wälder, entlang der wilden Passer bis zum Talschluss, der von mächtigen, vergletscherten Dreitausendern umgeben ist.

Am Abend ist unsere kleine Pilgergruppe zufrieden und müde. In Pfelders kehren wir in einem blumengeschmückten Haus ein, das "Hotel Pöhl" mitten im Ort. Wirtin Irmgard Pöhl serviert das Abendessen persönlich, es bleibt kein Fitzelchen übrig. Bruno schnarcht wohlig unter dem Tisch. Der Tag war lang, Zwei- und Vierbeiner sind fast 20 Kilometer gewandert. Wir sind uns einig: Das war eine bärenstarke Leistung, besonders für Nichtbären.

Liebenerspitze, Pfelderertal, Suedtirol, Italien.
Die Liebenerspitze beim Pfelderertal in Suedtirol
© Moritz Attenberger für GEO Special

Tag 3: Pfelders - Spronser Seen - Bockerhütte - Dorf Tirol

  • Strecke: 20 Kilometer
  • 1000 Höhenmeter

Der Frühstücksraum ist noch dunkel, als wir mit gepacktem Rucksack frühstücken. Irmgard Pöhl hat Tee in Thermoskannen bereitgestellt, dazu Semmeln, Wurst und Käse. Wir brechen zu einer unchristlichen Zeit auf, vor sieben Uhr morgens, denn die heutige Etappe ist lang. Wir überschreiten gleich zwei Joche, das Faltschnaljöchl (2417 Meter) und das Spronser Joch (2581 Meter).

Es geht durch Kiefernwald, über Steinstufen und Wurzeln bis über die Baumgrenze. Die Wiesen sind kühl und feucht, der Hund wälzt sich im nassen Gras. Im Faltschnaltal sind außer
uns keine Menschen unterwegs. Dafür viele neugierige Tiere, die sich für Brunos Besuch interessieren. Murmeltiere pfeifen warnend, Haflinger umzingeln uns, Kühe trotten uns hinterher.
Dass Bruno kein Pferd zerfleischen kann, ist klar, aber wie sieht es umgekehrt aus? Die Haflinger knabbern an Rucksäcken und Jacken, der Hund zieht den Schwanz ein und flüchtet.

Am Spronser Joch steht eine Gedenksäule mit der Inschrift: "Der Urweg vom mittleren Etschtal bei Meran in das Hochtal von Pfelders stammt aus der Mittleren Steinzeit (um 5000 v. Chr.)." In der frühen Menschheitsgeschichte haben die Alpenübergänge in Südtirol sicher eine große Rolle gespielt, Jäger und Hirten kannten die Pfade vorbei an den Spronser Seen, einer hochalpinen Seenplatte, die irgendwie norwegisch wirkt. Fjordartige, dunkelblaue bis grünliche Wasserflächen zwischen grauem Fels, auch im Sommer berühren Schneezungen das Wasser.

Texelgruppe, Suedtirol, Italien.
Titus Arnu im Abstieg vom Spronserjoch, Blick auf Gruensee und Langsee (hinten), Texelgruppe, Suedtirol, Italien.
© Moritz Attenberger für GEO Special

Absteigen kann schweißtreibend sein

Die Route zur Bockerhütte führt an zehn Seen vorbei, über einen fast durchgängig mit Natursteinen gepflasterten Weg. Um die Hütte herum wimmelt es von Getier: Hasen, Hühner, Kühe, Schafe, Schweine, nur wieder mal kein Bär. Hüttenbetreiber Edmund Schnitzer produziert auf der Alm Milch, Käse, Joghurt, Käse und Speck, nebenbei bewirtet er Wanderer. Seine Frau steht in der Küche, und im Sommer helfen die drei Kinder mit. Edmund Schnitzer serviert einen Kaiserschmarrn, der aus den Eiern der Hühner gemacht ist, die um unsere Beine herumscharren. Bruno ist sogar zu müde zum Verjagen des Federviehs.

Da die "Bockerhütte" am eigentlichen Etappenziel ausgebucht ist, müssen wir weiterlaufen bis fast hinunter nach Meran. Auch Absteigen kann schweißtreibend sein. Oben am Spronser Joch trugen wir noch dicke Jacken und Mützen, im Dorf Tirol kurz vor Meran reichen kurze Hose und T-Shirt.

Wir laufen durch Plantagen mit seltsam lilafarbenen Äpfeln, auf 600 Meter Höhe wachsen Palmen. Oleanderhecken, Zypressen und Zitronenbäume vermitteln das Gefühl, in Italien angekommen zu sein. Vom Herz der Alpen ins mediterrane Klima in drei Tagen, das kann einen zufrieden machen. Die Beine sind schwer, Bruno ist platt, im Hotel sind wir für den Lift dankbar.

Terrasse mit Blick auf Park und Pool, mediterrane Temperaturen, erlesene Weine und dezente Klavierklänge beim Abendessen - das "Hotel Golserhof" fühlt sich nach der Fernwanderung
an wie ein sehr luxuriöses Sanatorium. Es liegt mitten in Weinbergen und Apfelplantagen in Dorf Tirol, das zehngängige Gourmetmenü hilft, die körperlichen Strapazen der vergangenen
Tage Schritt für Schritt zu überwinden. Es klappt gut, auch ohne Hilfe des Heiligen. Wahrscheinlich ist das kein Wunder, aber ein ziemlich bäriges Glücksgefühl ist es schon. Amen.

Die geografischen und kulinarischen Höhepunkte seiner Tour sowie Tipps zu Gasthöfen und Restaurants verrät Ihnen Autor Titus Arnu in GEO SPECIAL Nr. 03/2017 - "Südtirol".

GEO SPECIAL Nr. 03/2017 - Südtirol

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