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Naturerlebnis Wald Warum uns ein Waldspaziergang so guttut

Nest
Naturbegegnungen im Wald
© Tytia Habing
Warum empfinden wir einen Waldspaziergang als wohltuend? Was haben Fichten, Lärchen und Eichen mit unserem Lebensglück zu tun? Und welche Entdeckungen können wir abseits ausgetretener Pfade machen? Umweltpädagogin Bettina Bartlick-Kustak über das Naturerlebnis Wald

Frau Bartlick-Kustak, was empfinden Sie, wenn Sie einen Wald betreten?

Aufenthalte im Wald haben für mich ganz viel mit Genuss zu tun. Ich spüre, wie gut es mir tut, einfach da zu sein, Bäume und Sträucher anzuschauen, Zeit und Ruhe zu haben, mich selber zu erleben. Immer, wenn ich für längere Zeit in der Stadt war oder mich in geschlossenen Räumen aufgehalten habe, merke ich, dass mir etwas fehlt. Dann muss ich hinaus in die Natur. Das kann eine offene Landschaft oder auch ein Hügel sein – aber der Wald ist etwas Besonderes. Selbst wenn ich morgens auf dem Weg zur Bahn bin und noch eine Viertelstunde Zeit habe, bemühe ich mich, einen kleinen Abstecher durch ein Waldstück zu nehmen. Da duftet der Boden, bricht sich das Licht in grünen Kronen, der Blick geht mal in die Weite, mal verweilt er auf der intensivfiligranen Struktur eines Spinnennetzes. Alles lebt, und alles hat seinen Sinn. Im Wald, finde ich, kann man der Natur besonders nahe sein.

Was bedeutet Ihnen die Naturbegegnung ganz konkret?

Ich bekomme Kontakt zu dem, was die Erde ausmacht, was lebendig ist, was unser aller Dasein ermöglicht, was uns nährt, was unsere eigentliche Heimat ist. Und damit auch einen anderen Kontakt zu mir selber. Diese Begegnung hat immer auch etwas Körperliches, hat mit Bewegung zu tun: weil ich auf eine Anhöhe steige, einer Tierspur folge oder eine bestimmte Pflanze suche. Ich bewege mich in natürlicher Landschaft und lande dadurch auch bei mir – beginne womöglich, über mich und mein Leben nachzudenken, belastende Erfahrungen aus dem Alltag zu verarbeiten. Körper und Geist werden rege.

Lebewesen
Kontakt: Wer bewusst anderen Lebewesen begegnet, findet auch einen anderen Zugang zu sich selber
© Tytia Habing

Arbeiten unsere Sinne im Wald schärfer als sonst?

Ja, weil sie auf vielfältige Weise angesprochen werden: Ich betrete eine Welt, in der ich unglaublich viel entdecken kann, in der ich vielleicht ein Knacken im Geäst höre, in der es nach Maiglöckchen oder Humus riecht, in der die Luft frischer schmeckt, meine Füße unebenen Boden spüren. Diese facettenreiche Wahrnehmung im Wald läuft bei Menschen mal bewusst, mal weniger bewusst ab, aber stets führt sie dazu, dass wir uns vitaler fühlen. Vielleicht verspüren wir plötzlich und spontan Lust, durch das Unterholz hindurchzukriechen, an eine Stelle zu gelangen, die schwierig zu erreichen scheint. Interessanterweise empfinden wir aber all diese Vielfalt und all das Lebendige in einem Wald immer auch als Beruhigung.

Warum ist das so?

US-Forscher haben dazu eine Hypothese entwickelt, die sie „Attention Restoration Theory“ nennen. Ihre Annahme lautet, dass wir unsere Aufmerksamkeit im Alltag oft auf einen ganz speziellen Fokus richten, eine E-Mail, ein Gespräch, Straßenlärm. Und dadurch geistig relativ schnell erschöpfen. In einer Umgebung wie dem Wald ist unsere Aufmerksamkeit zwar auch außerordentlich aktiv, allerdings sind die dortigen Reize weniger penetrant und gezielt. Dadurch können sich unsere Aufmerksamkeit, unser Arbeitsgedächtnis, auch unsere Selbstbeherrschung regenerieren. Inzwischen bestätigen viele Untersuchungen diese These – schon ein kleiner Spaziergang im Grünen vermag uns innerlich zu beruhigen.

Verlassen Sie persönlich auch gelegentlich die Waldwege?

Sehr gern sogar. Wenn es irgendwie geht, gehe ich abseits der üblichen Pfade in den Wald hinein, gezielt weg vom Weg. Dann erleben Beine und Füße schon einmal etwas anderes, man schaut auch noch viel bewusster hin, entdeckt die Natur ungleich intensiver.

Hirschgeweih
Geweihknochen für ein Rollenspiel? Die wilde Natur stimuliert unsere Fantasie besonders intensivfiligranen
© Tytia Habing

Was lässt sich alles aufspüren?

Mit ein wenig Erfahrung erkennt man zahlreiche Tierspuren: In einer Senke mag ein Wildschwein gewühlt haben, im feuchten Lehm entdeckt man vielleicht die Fährte eines Hirsches, einer Maus oder eines Dachses. An den Knospen einer jungen Buche finden sich Verbissspuren: Vielleicht hat ein Reh an der Pflanze geknabbert. Immer wieder erlebe ich auf Lehrgängen, wie erstaunt Menschen darüber sind, was sich alles allein unter einem abgebrochenen Stück Rinde tut: Da krabbeln mitunter Dutzende Asseln herum, kriechen Raupen und Maden durchs Holz, hasten Hundertfüßer davon. Mit etwas Glück entdeckt man schillernde Käfer oder bunte Wanzen. Viele Menschen denken, sie dürften die Waldpfade nicht verlassen. Doch es ist in Deutschland jedem erlaubt, in den Wald zu gehen, auch in einen Privatwald, sofern man nichts zerstört, Respekt zeigt und sich nicht in einem Naturschutzgebiet befindet. Für mich gehört es dazu, einen Baum anzufassen, seine schartige Borke zu spüren, an einem Blatt zu riechen, mit der Hand in den Boden zu gehen oder ein Stück Rinde zu heben – und zu erkennen: Im Verborgenen spielt sich unglaublich viel ab.

Wasser
Kraftquelle: Woraus schöpfe ich Lebenssinn? Der Wald lädt ein, existenzielle Fragen zu beantworten
© Tytia Habing

Was geschieht da mit einem?

Wir lernen mit dem Kopf, wir lernen mit den Händen, und wir lernen mit dem Herzen. Und wenn alle drei Dimensionen involviert sind, profitieren wir am ehesten. Wir Menschen sind nun mal von Geburt an wissbegierige Wesen. Und wenn es uns gelingt, dieser kindlichen Neugier Raum zu geben, dann kommen wir ganz von selbst auf die Idee, aktiv zu werden – zum Beispiel ein kleines Wasserbassin in einer Astgabel genauer zu untersuchen, eine Vogelfeder in die Hand zu nehmen oder einen Stein hochzuheben. Man muss sich nur trauen, aus der passiven Beobachterrolle auszubrechen und vom Hauptweg abzugehen. Manche verlieren sich auch darin, stundenlang nach Vögeln Ausschau zu halten. Bird-Watcher müssen in der Regel die eingetretenen Pfade verlassen und sich dann gut verstecken, etwa am Rande einer Lichtung. Mit etwas Glück erspähen sie dann einen Habicht oder einen Sperber im Anflug. Oder sie harren an einem Waldteich oder mit Blick auf einen alten Baumriesen aus – und erblicken womöglich einen Reiher oder eine Eule.

In unserem Video zeigen wir Ihnen, wie Waldbaden unsere Gesundheit fördert:

Waldbaden

Wie lässt sich das Erlebnis Wald für einen noch vertiefen?

Entscheidend ist, dass man sich einlässt auf den Moment. Auf das, was die Sinne gerade aufnehmen. Viele von uns sind gedanklich oft mit ihrer Vergangenheit beschäftigt – oder sorgen sich um die Zukunft. Doch die intensivsten Erlebnisse widerfahren uns stets dann, wenn wir uns auf die Gegenwart einlassen. Daher sollte man sich bewusst entscheiden: Ich nehme mir jetzt die Zeit, gehe hinein in den Wald und öffne gleichsam meine Sinne. Die Motive der Menschen, mal wieder in den Wald zu gehen, können letztlich ganz unterschiedlich sein.

Können Sie Beispiele nennen?

Für manche steht das Abenteuer im Vordergrund, andere wollen sich einfach nur auf einen Stamm setzen und ein Buch lesen oder in die Landschaft schauen, wieder andere streifen mit einem Bestimmungsbuch umher und identifizieren Pflanzenarten. Immer beliebter wird das Geocaching; dabei geht es darum, mithilfe von GPS einen bestimmten Punkt im Wald zu finden, an dem jemand etwas hinterlassen hat: zum Beispiel eine Kiste mit einem Logbuch, in das man sich eintragen kann. Wichtig ist nur, keinen Druck auf sich auszuüben, den Ausflug in den Wald nicht nach Effizienz und Leistung zu beurteilen. Dann, so ist meine Erfahrung, geschieht ganz viel von selbst.

Käfer
Neugier: Welche Käfer krabbeln hier? Die Wildnis ist perfekt geeignet, unserer angeborenen Wissbegier Raum zu geben
© Tytia Habing

Lesen Sie das gesamte Interview in GEOkompakt.

GEO Kompakt Nr. 52 - Unser Wald

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