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Gewöhnungseffekt Sich wiederholende Verbrechen erscheinen uns moralisch weniger schlimm

Zeitungsschlagzeile
Je öfter man von einem Verbrechen liest, desto weniger verwerflich erscheint es
© alexskopje - Adobe Stock
Raub, Steuerhinterziehung, Körperverletzung, Fahrerflucht – von Verbrechen und Vergehen wie diesen berichten Zeitungen und andere Medien jeden Tag. Doch je öfter wir davon lesen und erfahren, desto weniger verwerflich erscheinen sie uns. Zu diesem Schluss kommt eine britische Studie

"Steuerhinterziehung in Millionenhöhe", "Schwere Brandstiftung durch Mülltonnenbrand", "200 Kilogramm Drogen in Deutschland sichergestellt", "Gezielte Angriffe auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht" – Schlagzeilen wie diese begegnen uns beinahe jeden Tag. In Zeiten der Sozialen Netzwerke und des World Wide Web nimmt die Nachrichtenflut kein Ende, sogar nachts sorgen Push-Nachrichten auf den Smartphones dafür, dass wir ständig über alles informiert werden.

Manche Nachrichten gehen viral, verbreiten sich in Windeseile über verschiedene Mediendienste auf der ganzen Welt. Wenn sie das tun, hören und lesen viele mit hoher Wahrscheinlichkeit auf verschiedenen Nachrichtenkanälen mehrmals dieselbe Nachricht. Besonders häufig handeln Meldungen, die sich viral verbreiten, von moralischen Übertretungen, aufsehenerregenden Skandalen und Verbrechen.

"Moralischer Wiederholungseffekt" lässt uns abstumpfen

Daniel Effron, Professor für Organisatorisches Verhalten an der London Business School, kommt in Bezug auf solche Berichterstattungen zu einem interessanten Schluss: Je öfter wir von ein und demselben Vergehen lesen, desto weniger verwerflich erscheint es uns und desto weniger streng beurteilen wir dieses. Effron bezeichnet seine Beobachtung als "moral repetition effect", also als eine Art moralischen Wiederholungseffekt.

In einem Experiment, über das Daniel Effron im "Journal of Experimental Psychology" berichtet , legten er und sein Team rund 3300 Versuchpersonen unterschiedliche Schlagzeilen und Beschreibungen von unmoralischem Verhalten vor – manche von ihnen waren real, andere nur erfunden.

Im Anschluss daran sollten die Teilnehmenden ihre emotionalen Reaktionen und ethischen Beurteilungen in Bezug auf die zuvor gelesenen Schlagzeilen und Berichte einschätzen und beschreiben.

Wiederholungen verringern den negativen Affekt

Das Ergebnis der Studie: Bekamen die Probandinnen und Probanden ein und dasselbe Vergehen mehrmals vorgelegt, so fanden diese den Verstoß moralisch weniger verwerflich als jene, von denen sie nur ein einziges Mal erfuhren. Durch Wiederholungen wurde der negative Affekt auf die Übertretung verringert, welcher wiederum zu einem lascheren moralischen Urteil führte.

Im weiteren Verlauf des Experiments wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Emotionen beim Durchsehen der Schlagzeilen und Berichte aktiv zurückzustellen und ihre Werteurteile rein auf Basis der Vernunft zu fällen. Ergebnis: In diesen Fällen hob sich der moralische Wiederholungseffekt auf, die Probandinnen und Probanden bewerteten häufiger Gelesenes nicht als weniger schlimm.

Die Ergebnisse dieses Experiments erweitern das Verständnis darüber, wann und wie Wiederholungen das menschliche Urteil beeinflussen können. Daniel Effron fasst am Ende seiner Studie zusammen: "Je mehr Menschen von einer Übertretung erfahren, desto größer ist die moralische Empörung. Doch je öfter eine Person davon hört, desto weniger empört ist sie."

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