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Spiralkampagne Zwangsverhütung auf Grönland: Das dunkle Vermächtnis der dänischen Herrschaft

  • von Charlotte Köhler
Ab den 1950er-Jahren steigen die Geburtenraten in Grönland und damit auch die dänischen Subventionen. Die Regierung reagiert und lässt Mädchen Spiralen einsetzen – meist ohne Einverständnis, fast immer mit schrecklichen Folgen 
Gynäkologenstuhl
Eine gynäkologische Praxis in Maniitsoq: Schulklassenweise mussten Mädchen auf der gleichnamigen Insel an Grönlands Westküste
auf solchen Stühlen Platz nehmen – ohne Betäubung und ohne dass sie wussten, was ihnen geschah
© Juliette Pavy

Sie weiß nicht, was hinter der weißen Tür passiert, vor der sie mit den anderen Mädchen wartet. Naja Lyberth ist 14 Jahre alt, es ist das Jahr 1976. Auf Maniitsoq, einer Insel an der Westküste Grönlands, geht sie zur Schule. Sie und ihre Mitschülerinnen aus indigenen Familien sind eben aus dem Klassenzimmer geholt und in ein Krankenhaus gebracht worden. Nun stehen die Mädchen vor einem Untersuchungsraum, und sie haben Angst.

Dann ist Naja an der Reihe. Ein dänischer Arzt weist sie an, ihre Hose auszuziehen, sich auf den gynäkologischen Stuhl zu setzen, ihre Beine zu öffnen. Mit kaltem Besteck führt er einen Ge­genstand in sie ein, berührt sie, wo sie noch niemals zuvor berührt worden ist. Der Arzt setzt Naja eine Spirale in den Uterus. Die soll verhindern, dass sie schwanger wird.

Naja Lyberth
Naja Lyberth 1976 als Teenager in der Nationaltracht ihrer Heimat (l.) und als 60-jährige Frau (r.) Sie arbeitet als Psychologin in der Hauptstadt Nuuk und war eine der Ersten, die öffentlich über das Unrecht sprachen. Als sie 2021 auf Facebook nach anderen Opfern suchte, meldeten sich sofort 200 Frauen
© Juliette Pavy

Doch das Instrument ist zu groß für ihren jugendlichen Körper. Es drückt in ihr Gewebe, sie blutet. Die Schmerzen wird sie später als "Messerstiche" in ihrem Unterleib beschreiben. Naja weint und schweigt, wie die anderen Mädchen, die aus der weißen Tür treten. Gemeinsam gehen sie zurück in die Schule. 36 Jahre lang wird sie niemandem davon erzählen, mit der Zeit wird sie verdrängen, dass es geschehen ist. 

In den Jahren danach fragt sich Naja Lyberth immer wieder, was mit ihr los ist. Wenn ihr Becken sich so verspannt, dass der Rücken schmerzt, wenn sie ihre Fäuste scheinbar grundlos ballt, wenn sie wochenlang blutet. Oder wenn sie das Schwimmbad meidet, weil sie es nicht ertragen kann, ihre nackten Beine zu sehen. Eine Antwort findet sie nicht, also lernt sie mit den Schmerzen und starken Blutungen zu leben.

Erscheint in GEO 02/2025