Nutzlose Heilkunst Samuel Hahnemann: Die Erfindung der Homöopathie

Samuel Hahnemann
Samuel Hahnemann (1755-1843) begründete um 1797 die Homöopathie
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Samuel Hahnemann gilt manchen als Idealist und Vorkämpfer einer sanften Medizin. An seiner Methode scheiden sich die Geister bis heute; medizinisch gesehen ist sie im besten Falle wertlos, im Ernstfall aber sogar lebensgefährlich. Über die Erfindung der Homöopathie

Um 1790 hat Samuel Hahnemann wieder einmal Geldprobleme. Der völlig verarmte Mediziner muss sich mit Fachübersetzungen durchschlagen. Er bearbeitet gerade ein Buch des Schotten William Cullen, eines Medizin-Stars seiner Zeit. Dabei stolpert er über einen Satz, der sein Leben verändern wird: Chinarinde helfe gegen Malaria, wegen ihrer magenstärkenden Wirkung.

Das erscheint ihm so unplausibel, so absurd, dass er sich zu einem Selbstversuch entschließt. In den kommenden Tagen nimmt er große Mengen Chinarinde ein, will dessen Wirkung auf den gesunden Körper testen. Das Resultat: Schüttelfrost, Herzrasen, Angstzustände – es sind die Symptome einer Malaria.

Hahnemann (1755–1843) zieht aus diesem Selbstversuch einen radikalen Schluss: Die Medizin irrt, seit Jahrtausenden! Man dürfe nicht gegen das Leiden arbeiten, man müsse mit ihm arbeiten. Denn was beim Gesunden eine Scheinkrankheit hervorrufe, das kuriere die echte Krankheit. „Ähnliches mit Ähnlichem heilen“, mit diesem sogenannten Simile-Prinzip überschreibt Hahnemann seine Idee und schafft die Grundlage eines neuen Gedankenexperiments: der Homöopathie (aus den griechischen Wörtern für „gleich“ und „Leiden“).

Der Blick auf sein medizinisches Vermächtnis ist zwiespältig: Seinen Anhängerinnen und Anhängern gilt er als Rebell der Medizingeschichte, in der medizinischen Forschung als Scharlatan.

Samuel Hahnemann ist ein Querdenker ohne Anhänger

Hahnemann absolviert in Leipzig sein Medizinstudium, schon mit 24 Jahren ist er Doktor und verheiratet. Doch wo immer er sich auch in den kommenden Jahren niederlässt, als praktizierender Arzt kann er seine Familie nirgendwo durchbringen. Er beginnt, die konventionelle Medizin zu hassen. Hahnemann hofft, mit der Homöopathie Heilkunst mit aufklärerischen Idealen zu verknüpfen. Er will den Patienten einen sanften Weg aus ihrer Unmündigkeit weisen, fern einer Medizin, die ihre Patienten schröpft, sie mit Blutegeln quält, zum Aderlass nötigt. Allerdings folgt ihm kaum jemand auf diesem Weg. Die Patient*innen bleiben aus. Er schreibt Pamphlete, wirft Kollegen vor, sie erfänden griechische Namen für das Übel der Kranken, nur um ihre eigene Unfähigkeit zu kaschieren.

Nutzlose Heilkunst: Reproduktion aus der Sammlung Edwin Redslob: Büste und Utensilien von Samuel Hahnemann
Reproduktion aus der Sammlung Edwin Redslob: Büste und Utensilien von Samuel Hahnemann
© mauritius images / mauritius images Zeitgeschichte exklusiv / Hansmann

Erst als er Jahre später sein Chinarinden-Experiment in einem Aufsatz verarbeitet, strömen die Kranken zu ihm. Ermutigt veröffentlicht er 1810 sein „Organon der Heilkunst“, bis heute das Standardwerk der Homöopathen. In Leipzig erhält er eine Professur, plant eine eigene homöopathische Klinik. Doch seine Vorlesungen sind so schlecht besucht, dass er sie zu Hause hält. Dennoch treibt die Vision der sanften Medizin ihn bis zu seinem Tod an. Hahnemann sucht bis zuletzt immer neue Naturstoffe, die sich zur Heilung eignen.

Wirkt Homöopathie über Placeboeffekt hinaus? Nein, zeigt die Forschung

An seiner Methode der sogenannten Potenzierung scheiden sich bis auf den heutigen Tag die Geister: Wirkstoffe sollen in einer Wasser-Alkohol-Mischung verdünnt werden. Je stärker die Verdünnung, desto besser. Günstigstenfalls, so eine nachgereichte Erklärung, solle lediglich die „Information“ des Wirkstoffs übertragen werden, um das Immunsystem zu aktivieren. Von diesem Wirkmechanismus sind Homöopath*innen bis heute überzeugt.

Sie „potenzieren“ inzwischen so stark, dass sich kein Molekül des Wirkstoffs mehr im Medikament nachweisen lässt. 2005 werten Forschende 110 Studien zur Wirksamkeit von homöopathischen Mitteln aus. Und gelangen zu dem Schluss, dass deren Wirkung nichts anderes sei als ein Placeboeffekt. Besonders in der Kritik: wenn homöopathische Mittel bei Notfällen oder lebensbedrohlichen Erkrankungen eingesetzt werden. Dann kann Homöopathie lebensgefährlich werden, weil die Patientinnen oder Patienten auf tatsächlich lebensrettende Behandlung verzichten. 

Die Kontroverse reicht zurück bis zu Hahnemanns Experiment vor mehr als 220 Jahren. Eine denkbare Erklärung für die vermeintlich malariaähnliche Reaktion: Die damals nach Einnahme der Chinarinde aufgetretenen Symptome könnten möglicherweise lediglich die Folgen eines allergischen Schocks gewesen sein.