Nach der Wintersonnenwende des Jahres 1205 setzt heftiger Schneefall ein. Irgendwo zwischen den Orten Lillehammer und Trondheim kämpfen sich Männer durch das Treiben. Sie sind auf der Flucht. Ihre Feinde haben es auf das Kind in ihrer Mitte abgesehen: Haakon, einen Jungen von gerade einmal anderthalb Jahren, den Sohn eines Königs.
Es herrscht Bürgerkrieg in Norwegen. Mehrere Fraktionen erheben Anspruch auf den Thron. Und so droht dem Königskind Unheil. Es sei denn, die Rettung durch seine Leute, die Birkebeiner, gelingt.
Schon zu Zeiten der Wikinger ist die Macht in Norwegen umkämpft. Ab etwa 900 unterwerfen einzelne Anführer zeitweilig weite Teile des Landes. Viele von ihnen sind auf Raubzügen zu Besitz und Ansehen gelangt; mancher hat als Söldner im fernen Byzanz Schätze erworben.
Als die Ära der Plünder- und Handelsfahrten um 1050 zu Ende geht und weite Teile der Bevölkerung verarmen, haben Anführer, die ihrer Gefolgschaft Beute in Aussicht stellen, umso leichteres Spiel. Doch ein Erbrecht, das dem ältesten Sohn eines Königs die Nachfolge sichert, gibt es nicht. Daher teilen sich die männlichen Nachkommen die Herrschaft immer wieder auf. Oft regieren sie friedlich nebeneinander, aber ab 1130 folgen Kämpfe, in denen ständig mehrere Könige und Prätendenten um die Macht ringen. Zudem ergreift nun auch die Geistlichkeit Partei; seit dem 11. Jahrhundert gibt es in Norwegen erste Bistümer und Kirchen.
Der erste Monarch Norwegens
Mit Hilfe des Klerus erheben 1161 einige Adelige Magnus Erlingsson zum König und lassen ihn 1164 als ersten Monarchen Norwegens mit kirchlichen Weihen krönen. Sofort fordern zahlreiche Prätendenten den Herrscher heraus.
Einer dieser Männer schart im Westen des Landes eine Truppe mittelloser Krieger um sich, mit der er raubend umherzieht. "Birkebeiner" nennen die Bauern sie, weil sie zunächst so arm sind, dass sie Beinkleider aus Birkenrinde tragen.
Bald schon aber rüstet die Gruppe Schiffe aus, nimmt 1176 Trondheim ein. Nur mit Glück kann König Magnus sie zurückschlagen. Die Birkebeiner fliehen gen Osten – nach Telemark und in die Wälder an der Grenze zu Schweden. Dort aber gelingt es einem anderen Rebellen, die Birkebeiner für sich zu gewinnen. Sverre Sigurdsson verheißt ihnen Ruhm und Reichtum. Er erbeutet mit ihnen Schiffe, Waffen und Geld, schmiedet aus den wilden Gesellen eine professionelle Truppe und lässt sich zum Herrscher ausrufen.
König Magnus stirbt
Als Magnus Erlingsson ihm 1184 mit seiner Flotte entgegenzieht, kommt es im Sognefjord zur Schlacht. Die Birkebeiner siegen; König Magnus findet den Tod.
Sverre, der die Macht der Kirche einschränken will, überwirft sich mit hohen Klerikern. Die Geistlichen formen daraufhin aus der Gefolgschaft des getöteten Magnus eine eigene Fraktion (die sogenannten Bagler, abgeleitet – über altnordisch bagall – vom lateinischen Wort baculus für Bischofsstab), die auch einen eigenen König wählt. Schließlich belegt sogar der Papst im fernen Rom Sverre mit dem Kirchenbann. Aber die Getreuen halten zu ihrem König. Und nach Sverres Tod 1202 auch zu dessen Sohn.
Als die Bagler im Winter 1205 versuchen, Sverres Enkel Haakon in ihre Gewalt zu bringen, überlebt dieser nur dank einiger Birkebeiner, die den Knaben mit sich nehmen.
In den Jahren seines Heranwachsens aber verlieren beide Seiten die Lust am Kampf, vor allem die Bagler büßen an Schlagkraft ein. 1217 sind sie schließlich bereit, einen gemeinsamen König aus den Reihen der Birkebeiner anzuerkennen: Haakon, der bald darauf als erster Monarch unangefochten über ganz Norwegen herrscht.
Legendäre Rettung
In den folgenden Jahrzehnten blüht das Reich auf, dehnt seine Macht auf die Färöer, Hebriden, Island und bis nach Grönland aus. Als 1319 der letzte Monarch aus den Reihen der Birkebeiner stirbt, gründet Norwegen mit Schweden eine Union. Wenige Jahrzehnte später jedoch schwächt die Pest, die ab 1347 ganz Europa verheert, auch Norwegen nachhaltig, und um 1390 übernehmen schließlich die Dänen die Kontrolle über das Königreich – das nun auf Jahrhunderte in politischer Bedeutungslosigkeit versinkt.
Der Birkebeiner aber wird noch heute gedacht: Seit 1932 erinnert ein Skirennen zwischen Rena und Lillehammer an ihre legendäre Rettung des Königskindes im Wintersturm – und Norwegens frühe Blüte.