Nobelpreis-Stifter Alfred Nobel träumte von der Poesie – und erfand das Dynamit

Alfred Nobel in Anzug
Sein Dynamit machte Alfred Nobel (1833–1896) zu einem der reichsten Männer seiner Zeit. Mit seinem Vermögen stiftete er die Nobelpreise
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Mit der Erfindung des Dynamits veränderte Alfred Nobel das Gesicht der Erde. Sein Leben lang hantierte der Schwede mit explosiven Materialien – dabei war seine wahre Leidenschaft die Literatur

Die Detonation ist ohrenbetäubend. Fensterscheiben zerspringen, erst steigt ein rot-gelber Feuerball über dem Haus der Familie Nobel in Stockholm auf, dann eine dunkle Rauchsäule. Die Explosion am 3. September 1864 um kurz nach elf Uhr ist das jüngste Ergebnis gefährlicher Experimente im Hause Nobel – mit tödlichen Folgen. Fünf Personen sterben. 

Doch das Unglück bringt die Unternehmerfamilie nicht vom Sprengstoff ab, im Gegenteil. Wie besessen experimentiert Alfred Nobel, der begabteste der Nobel-Sprösslinge in Chemie, weiter, um der Welt einen Stoff zu bescheren, mit dem der Mensch seine Umwelt verändern kann wie nie zuvor. Und der ungeahnte Zerstörungskräfte freisetzt: Dynamit. 

Schon Alfred Nobels Vater bastelte Seeminen mit Schwarzpulver

Alfred Nobel, 1833 als dritter von vier Brüdern geboren, wuchs quasi mit Sprengstoff auf. Sein Vater Immanuel machte Rüstungsgeschäfte, entwickelte in St. Petersburg Seeminen für das russische Zarenreich, die mit Schwarzpulver gefüllt waren. Im Alter von 21 lernte der junge Nobel jenen öligen Stoff kennen, der ihn sein ganzes Leben begleiten sollte: Nitroglyzerin. Im Rahmen eines Experiments strich ein Chemieprofessor das Öl auf einen Amboss und schlug heftig mit einem Hammer darauf. Die Flüssigkeit explodierte – allerdings nur jener Teil, der von dem Schlag getroffen worden war. 

Wenige Jahre zuvor hatte der Italiener Ascanio Sobrero Nitroglyzerin erstmals hergestellt – und dann freiwillig von weiteren Forschungen abgesehen, weil er sein Produkt zu gefährlich fand. Zu unvorhersehbar galt ihm sein Sprengöl, das mal explodierte und mal nicht. Genau jenen launischen Stoff zu zähmen, machte sich Alfred Nobel zur Lebensaufgabe. 

Dabei war die Chemie nicht einmal seine wahre Leidenschaft. Insgeheim träumte der Unternehmersohn von einer Schriftstellerkarriere, schwelgte in Poesie, schrieb heimlich Liebesgedichte. Seine Familie allerdings hatte nur Spott für Nobels Passion übrig. Auch Geldsorgen trieben den jungen Mann schließlich an, sich dem Geschäft zu widmen statt der Literatur, stand die Firma doch mehrfach vor dem Konkurs.

So hantierte Nobel mit Nitroglyzerin und Schwarzpulver. Zunächst entwickelte er einen zuverlässigen Anzünder: Er füllte Schwarzpulver in ein Glasröhrchen und legte es in Nitroglyzerinöl. Über eine Zündschnur entfachte er das Pulver. Das Glasrohr zersprang mit einem derartigen Knall, dass auf einen Schlag das gesamte Nitroglyzerin explodierte. Auf diese Weise könnten weit größere Sprengungen als bisher möglich werden – etwa beim Gruben- und Tunnelbau.

Schweden wurde Nobel schnell zu klein. 1865 reiste er nach Hamburg, damals eine der größten Handelsstädte Europas. Welche, wenn nicht diese Stadt mit ihrem schnell wachsenden Hafen könnte die Basis für eine globale Expansion sein? 

Im nahen Krümmel baute Nobel eine Sprengstofffabrik auf und produzierte Nitroglyzerin im großen Stil. Die Kraft seines Sprengstoffs demonstrierte er etwa bei der Probesprengung einer Kupfergrube in Sachsen: Zufrieden beobachtete der Erfinder das "fassungslose Erstaunen der Herren Deutschen, welche zunächst steif wie Soldaten und dann weich wie Wachs" gewesen seien. 

Stangen von Alfred Nobels Dynamit
"Nobels Extradynamit": Alfred Nobel presste seinen Sprengstoff in Stangen und wickelte sie in Pergamentrollen – so konnte das explosive Material sicher transportiert werden
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Allein: Nobel blieb auf seinem Sprengstoff sitzen. Immer wieder kam es zu tödlichen Unfällen. Zahlreiche Staaten verboten Zugtransporte mit dem hochexplosiven Material. Als 1866 in San Francisco in einem Lagerhaus eine Kiste mit Nobels Sprengöl explodierte und 17 Menschen starben, brach eine regelrechte "Nitroglyzerin-Panik" aus. 

Alfred Nobel ging zunehmend das Geld aus. Fieberhaft arbeitete er daran, das Nitroglyzerin in eine festere Form zu bringen – die sich sicher transportieren ließ. Auf einem Kahn auf der Elbe vor seiner Fabrik in Krümmel mischte er das Öl mit Sägespänen, Schießbaumwolle, Holzkohle, Papier und schließlich mit einem grau-weißen Sand, der in der Gegend in rauen Mengen vorkam: Kieselgur. Dieses Material konnte anscheinend jede Flüssigkeit absorbieren. 

Ein Viertel Sand, drei Viertel Sprengöl: Das war die optimale Mischung, fand Nobel bald heraus. Er presste den Sprengstoff in Stangen und wickelte sie in eine Schicht aus Pergamentpapier. Jetzt war das Nitroglyzerin transportsicher. Auf der Suche nach einem Namen ließ er sich wohl von dem Erfinder Werner von Siemens inspirieren: Dieser präsentierte 1867 einen neuartigen elektrischen Generator und nannte ihn Dynamo, nach dem griechischen Wort für Kraft, dynamis. Kurz darauf meldete Nobel seine Erfindung als Patent unter dem Namen Dynamit an. 

Der Deutsch-Französische Krieg rettete Alfred Nobels Geschäft

Überzeugt, dass ihm der große Durchbruch gelungen sei, startete Nobel die Massenproduktion. Doch wieder drohte ein Fehlschlag: Das Dynamit stieß auf wenig Interesse, Unfälle überschatteten die Produktion: 1870 flog Nobels Fabrikgebäude in Krümmel in die Luft, fünf Angestellte starben.

Ausgerechnet der Deutsch-Französische Krieg rettete Nobels Geschäft: Der Fabrikant versorgte sowohl Deutschland als auch Frankreich gewinnbringend mit Dynamit, die Brücken und Eisenbahnlinien des jeweiligen Gegners sprengen wollten. Der Stoff sei "eines der erstaunlichsten und erschreckendsten Mittel der Zerstörung, dem das menschliche Hirn sein Geheimnis zu entreißen vermochte", befand die Zeitung "Le Petit Journal".

Nach dem Krieg war der Siegeszug des Dynamits nicht mehr aufzuhalten: In mehr als einem Dutzend Staaten eröffnete Nobel Sprengstofffabriken, so gewaltig war die Nachfrage. Straßentrassen, Ausschachtungen, Kanäle, Bergwerke und Tunnel konnten nun selbst durch härteste Felsen gesprengt werden – ab 1872 etwa der Gotthardtunnel mitten durch das Alpenmassiv, der bis dahin längste Eisenbahntunnel der Welt.

Aber natürlich machte der neue Stoff auch Granaten und Bomben mit bis dahin unbekannter Sprengkraft möglich. Mit selbstgebastelten kleinen Höllenmaschinen rissen Attentäter in aller Öffentlichkeit Menschen in den Tod, 1881 etwa Zar Alexander II. 

Arbeiter in Alfred Nobels Dynamitfabrik
Massenproduktion: Ende des 19. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Alfred Nobels Dynamit so stark an, dass der Erfinder und Fabrikant in zahlreichen Staaten mehrere Dutzend Fabriken eröffnete
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Während Nobel unermesslichen Reichtum anhäufte und an noch tödlicherem Schießpulver für Kanonen und Gewehre arbeitete, begann er, sich für die Friedensbewegung in Europa zu interessieren. Beeinflusst von der Schriftstellerin und Pazifistin Bertha von Suttner, spendete er großzügig an die "Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde" und beauftragte einen türkischen Diplomaten, Berichte über die Friedensarbeit anfertigen zu lassen. Nobel glaubte an das Prinzip der Abschreckung: "An dem Tag, da zwei Armeekorps sich gegenseitig in einer Sekunde werden vernichten können, werden wohl alle zivilisierten Nationen zurückschauern und ihre Truppen verabschieden."

Nobels Stück "Nemesis" wurde erst 2005 aufgeführt

1896 starb der Erfinder. Fast sein gesamtes Vermögen stiftete er, um Personen zu würdigen, die "im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben" – in den Bereichen Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur sowie Frieden. Seit 1901 werden die Nobelpreise verliehen. "Der Erfinder, der der Kriegskunst und leider auch den öffentlichen Morden so schreckliche Zerstörungswerkzeuge an die Hand gegeben hat, hat seinen Reichtum den friedlichen Künsten gewidmet", befand "Le Figaro".

Kurz vor seinem Tod erfüllte sich Nobel seinen eigentlichen Lebenstraum: Nachdem er mehrere Romane begonnen, keinen jedoch vollendet hatte, stellte er das Theaterstück "Nemesis" fertig – als sein einziges literarisches Projekt. 

Bereits im Sterben liegend, gab Nobel die Tragödie in Druck. Seine Verwandten jedoch, peinlich berührt, ließen die Auflage einstampfen. 2005 wurde "Nemesis" in Stockholm zum ersten und einzigen Mal auf die Bühne gebracht.