Evolution Warum unser Gehirn auf Schimpansenstimmen besonders reagiert

Männlicher sprechender Schimpanse
Auf Stimmen von Schimpansen (Pan troglodytes) reagiert das menschliche Gehirn mit erhöhter Aktivität
© Andyworks / Getty Images
Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten im Tierreich. Jetzt haben Forschende entdeckt, dass eine bestimmte Region unseres Gehirns beim Hören ihrer Lautäußerungen besonders aktiv ist

Stimmen anderer Menschen gehören wohl zu den wichtigsten ersten Eindrücken des menschlichen Embryos im Mutterleib. Und deren Wahrnehmung und Bewertung bleibt auch im späteren Leben wichtig – weit über das rein Inhaltliche hinaus. Ist die Stimme vertraut? Was verrät sie über die Stimmung, die Gefühlslage der Sprecherin oder des Sprechers?

Doch offenbar reicht unsere Fähigkeit, Stimmen zu erkennen und zu bewerten, noch viel weiter in die Vergangenheit: Eine Studie von Forschenden der Universität Genf zeigt, dass die Stimmenverarbeitung im Gehirn etwas sehr Archaisches ist. Und uns möglicherweise mit den Schimpansen und unseren gemeinsamen Vorfahren verbindet.

Um ihre Hypothese zu testen, spielten die Forschenden 23 menschlichen Probanden Stimmen von Primaten vor. Neben menschlichen – als Kontrollgröße – waren es die Stimmen von Schimpansen, Bonobos und Makaken. Die Schimpansen gelten als unsere nächsten Verwandten mit einer Übereinstimmung von 99 Prozent des Genoms. Auch Bonobos sind Homo sapiens nah verwandt, haben aber stark abweichende Lautäußerungen: Ihre Stimmen klingen für menschliche Ohren eher wie Vogelgezwitscher. Die Makaken schließlich sind sowohl in genetischer Hinsicht als auch stimmlich weiter von uns Menschen entfernt.

Auffällige Hirnaktivität bei den Stimmen von Schimpansen

Die Reaktionen der Freiwilligen auf die Stimmen ihrer Verwandtschaft visualisierten die Forschenden mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT). "Wir wollten überprüfen, ob es eine Subregion (des auditorischen Kortex, der die Verarbeitung von Stimmen übernimmt, d. Red.) gibt, die speziell auf die Lautäußerungen von Primaten reagiert", erklärt der Erstautor der im Fachmagazin "eLife" veröffentlichten Studie, Leonardo Ceravolo, in einer Pressemitteilung der Universität.

Tatsächlich registrierten die Forschenden auffällige Hirnaktivitäten im Gyrus temporalis superior. Das Gehirnareal liegt an der Außenseite des Gehirns, knapp über der äußeren Ohrmuschel. Es ist an der Verarbeitung von Geräuschen, Sprache, Musik und Emotionen beteiligt. 

"Als die Teilnehmer die Lautäußerungen von Schimpansen hörten, unterschied sich diese Reaktion deutlich von der, die durch Bonobos oder Makaken ausgelöst wurde", sagt Ceravolo. Die Reaktion des Gehirns, so schlussfolgern die Forschenden, weise auf eine doppelte Nähe zu den Schimpansen hin: sowohl in evolutionärer Hinsicht als auch in Bezug auf die Ähnlichkeit der Stimmen.

Die Entdeckung wirft laut dem Forschungsteam ein neues Licht auf die Evolution unserer Spezies, aber auch auf die individuelle Entwicklung des Menschen: Dass der vordere obere Temporalkreis auch für Lautäußerungen nichtmenschlicher Tiere empfindlich ist, stütze die These, dass es bestimmte Fähigkeiten der Sprachverarbeitung schon gab, als noch keine artikulierte – also menschliche – Sprache existierte.

Andererseits könnten die Erkenntnisse erklären, warum schon Embryonen im Mutterleib Stimmen erkennen können: Offenbar ist die Fähigkeit nicht nur entwicklungsgeschichtlich sehr alt – sondern auch individuell sehr früh ausgeprägt.