Tierforschung Schimpansen erinnern sich an Freunde und Familie – jahrzehntelang

Zwei Schimpansen betreiben gegenseitige Fellpflege
Je besser die Freundschaft, desto intensiver erinnern sich Schimpansen an ehemalige Gruppenmitglieder. Vergessen sind aber schnell Ex-Sexpartner, flüchtige Bekanntschaften und fiese Feinde
© nature picture library / Anup Shah / mauritius images
Primaten erkennen auf Fotos Artgenossen wieder, selbst wenn sie seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr hatten. Womöglich ist ihr soziales Gedächtnis sogar besser als das von Menschen

Menschen sind extrem neugierig, vor allem, wenn es um andere Menschen geht. Wir sammeln Informationen über Familienstand und Freundschaften und beobachten gespannt jede Art von Beziehung. Selbst an die Gesichter von Menschen, die wir aus den Augen verloren haben, erinnern wir uns rund 15 Jahre. Danach nimmt diese Fähigkeit langsam ab.

Auch nichtmenschliche Tiere haben ein soziales Gedächtnis, zum Beispiel Raben, Schafe, Elefanten und Große Tümmler. Aber noch nie wurde ein so dauerhaftes Gedächtnis nachgewiesen wie jetzt bei Schimpansen und Bonobos. Sie erinnern sich auch nach Jahrzehnten an ehemalige Wegbegleiter – vielleicht sogar länger als Menschen.

Das zeigt die Studie einer internationalen Gruppe von Forschenden, deren Ergebnisse gerade in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurden. Die Forschenden haben dafür gut zwei Dutzend Schimpansen und Bonobos aus Zoos und Tierschutzeinrichtungen Fotos von Artgenossen gezeigt. Auf einem Bildschirm waren ehemalige Freunde, Familienmitglieder oder völlig fremde Tiere zu sehen. Dabei verfolgten Infrarotkameras ihre Augenbewegungen. Der Blick der Tiere blieb deutlich länger an den Artgenossen hängen, an die sie sich erinnerten. Etwa so, wie man sich auf der Straße nach jemandem umsieht, den man wiedererkennt.

Je positiver die Beziehung, desto länger die Erinnerung

Primaten sind hochsoziale Lebewesen und leben in Gruppen. Im Fall der Schimpansen und Bonobos aber waren die Bekannten und Verwandten aus dem Leben verschwunden, weil sie gestorben oder andernorts untergebracht worden waren. Und doch erinnerten sich die getesteten Tiere gut an sie, unabhängig davon, ob sie seit Monaten oder Jahren von ihnen getrennt waren. Das Bonobo-Weibchen Louise erkannte sogar ihre Schwester Loretta und ihren Neffen Erin wieder – nachdem sie ihnen 26 Jahre nicht mehr begegnet war.

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Philosophie Was unterscheidet den Menschen vom Tier?

Lange glaubten Forschende, die Vernunft ziehe die Grenze zwischen uns und den Tieren. Doch inzwischen ist klar: Auch sie haben Verstand und Gefühle. Gibt es überhaupt noch eine scharfe Trennlinie?

"Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis", sagte Frans de Waal gegenüber dem Magazin Sciene, er ist Primatologe an der Emory Universität in Atlanta und war an der Studie beteiligt . "Ich bin nicht mal sicher, ob sich die meisten Menschen an Leute erinnern, die sie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben."

Eine Sache aber beeinflusste die Erinnerungsfähigkeit: Wie gut oder schlecht die Beziehung zu den Artgenossen einst gewesen war. So erkannten die Primaten vor allem Artgenossen wieder, mit denen sie eng verbunden waren. Dabei war weniger entscheidend, ob das andere Tier mit ihnen verwandt war oder nicht – sondern ob sie einst miteinander gespielt oder sich gegenseitig das Fell gepflegt hatten. Weniger gut erinnerten sie sich dagegen an ehemalige Sexualpartner, entfernte Bekannte oder Gruppenmitglieder, die sie in der Vergangenheit erschreckt oder verletzt hatten.

Die Forschenden erhoffen sich von diesen Erkenntnissen Einblicke in unsere Evolutionsgeschichte. Denn unser soziales Gedächtnis bestimmt bis heute viele Aspekte menschlicher Kultur und Zivilisation. Woher es aber stammt, ist noch nicht klar – genauso wenig, ob es sich unabhängig in mehreren Tierklassen entwickelt hat oder von einem gemeinsamen Vorfahren vererbt wurde.