Das Bild zeigt zwei Frauen: Während die vordere am Fotografen vorbeischaut, legt ihr die hintere mit besorgtem oder gedankenverlorem Blick die Hände auf die Schultern. Eine rätselhafte Szene – die so nie stattgefunden hat. Beide Frauen haben nie existiert.
Das intensive Bild, das an Schwarz-Weiß-Fotografien aus den 1940ern erinnert, wurde nicht von einem Fotografen im 20. Jahrhundert geschossen – sondern mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz (KI) erstellt. Der deutsche Fotokünstler Boris Eldagsen hat es mit KI-Deep-Learning-Generatoren konstruieren lassen. Er gilt als einer der führenden KI-Experten in der deutschen Fotoszene.
Das Bild hat die Jury der Sony World Photography Awards 2023 (SWPA) überzeugt. Aus mehr als 200.000 Einsendungen wurden gerade die besten Einzelbilder des Jahres 2022 prämiert. Eldagsen hat mit seinem Bild in der Kategorie "Kreativ" gewonnen.
Die Bild wurde mit einer KI synthetisch generiert – es ist keine Fotografie
Das Bild stammt aus Eldagsen Serie PSEUDOMNESIE. "Jeder soll selbst entscheiden, wie er das Bild interpretiert", sagt Eldagsen gegenüber GEO.de. Als Künstler wolle er Impulse geben. "Was löst das Bild beim Betrachter aus, welche Gedanken, Gefühle, Erinnerungen?"
Seine Bilder seien keine Fotografien, obwohl sie so aussehen würden. "Ich nenne sie Bilder." Das Fotografische werde nur als visuelle Sprache verwendet.
Wie Eldagsen seine Bilder herstellt? "Es gibt derzeit drei große Bildgeneratoren, mit denen ich arbeite", sagt Eldagsen. Von jeder KI nutze er die jeweiligen Stärken aus. Das Spannende sei, ein Bild nur aus der eigenen Vorstellung heraus zu erschaffen. Diese gibt Eldagsen dann als so genannte Prompts ein – gemeint sind damit Arbeitsanweisungen in Sprachform an ein KI-System. "Ich habe 30 Jahre fotografiert. Je mehr ich über die Technik des Fotografierens weiß, desto mehr kann ich steuern, dass ein KI-Bild aussieht wie eine wirkliche Fotografie."
An so einem Bild arbeite Eldagsen zwei bis drei Tage, sagt er. "Das ist für mich Arbeit." Man könne auch nicht sagen, nur die KI könne das Bild erschaffen. "Mein kreativer Anteil an so einem Bild ist 50 bis 80 Prozent."
Mit KI erstellte Bilder: Faszinierend – und gefährlich?
Eldagsens Bilder sind faszinierend und verstörend zugleich. Es wird darauf eine Vergangenheit inszeniert, Menschen erschaffen, die es nie gegeben hat. Wenn solche Bilder möglich sind – dann lässt sich optisch auch unsere historische Vergangenheit so inszenieren, dass schwer zu erkennen ist, ob ein Bild real oder programmiert ist.
Ein ganz neues Reich an Möglichkeiten und Gefahren eröffnet sich gerade mit der Einführung von künstlichen Intelligenzen wie Chat-GPT. Denn natürlich kann man KIs nicht nur kreativ verwenden, um Bilder für einen Fotowettbewerb einzusenden. Man kann sie auch kriminell und zur Meinungssteuerung nutzen.
Auch Eldagsen, der auch Vorträge und Workshops zu dem Thema hält, sieht diese Gefahr. "Man kann jetzt sehr schnell gefälschte Dokumentarbilder erstellen." Deepfakes nennt man solche irreführenden oder potentiell schädlichen Inhalte. Er selbst habe bei einem Vortrag Szenen aus dem Ukrainekrieg erzeugen lassen, um zu zeigen, wie gefährlich Fake-Bilder sein können. Hinzu komme, dass jeder so ein Bild erstellen könne – "von acht bis 88 Jahren."
Zwar sind auf vielen von einer KI erstellten Bilder bei genauem Hinsehen noch Fehler zu sehen. Wer bei dem Doppelportrait der beiden Frauen auf die Hände achtet, erkennt noch Unstimmigkeiten. Doch die KIs werden immer weiter optimiert. Wird man irgendwann wirklich nicht mehr unterscheiden können, ob ein Foto echt oder gefälscht ist?
Wer ist der Urheber – die KI oder der Künstler?
Mit seinem ersten Platz bei dem Fotowettbewerb wolle Eldagsen auch die Diskussion darüber anstoßen, welche Struktur Fotowettbewerbe in Zukunft haben sollten, sagt er. Der Fotokünstler spricht sich für separate Wettbewerbe und Kategorien für KI-generierte Bilder aus. "Ich bin dafür, dass man echte Fotografien und KI-Bilder klar trennt."
Wie das Portal "Profifoto" berichtet, ließen die Teilnahmebedingungen der SWPA dazu Interpretationsspielraum: "Im Falle von KI-generierten Bildern ist diese Frage aktuell Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen, deren Klärung aussteht."
Eldagsen hat bei dem Fotowettbewerb drei KI-generierte Bilder eingereicht. Dabei habe er auf seine Webseite verwiesen, wie er sagt. Auf dieser sei klar ersichtlich: Die Bilder sind mit einer KI generiert. "Ich habe es bewusst offen gelassen, um zu testen, wie Awards damit umgehen." Als er gewann, habe er nochmals mit den Organisatoren der SWPA gesprochen. Diese hätten sich beraten und schließlich ihr O.k. gegeben. Er habe sogar angeboten, dass der Preis an einen Fotografen verliehen werden könne, sagt Eldagsen. "Am Ende sehe ich meine Aufgabe darin, einen Stresstest für solche Ausschreibungen zu machen."
KI gewinnt Fotografie-Wettbewerb in Sydney
Offenbar bewegt sich Eldagsen mit der Teilnahme seiner Kreation an dem Wettbewerb in einem Graubereich. In einem ähnlichen Fall gewann bei einem Wettbewerb ein als "Fotografie" eingereichtes KI-Bild. In Australien verlieh der Fotografie-Fachhandel Digidirect bei seinem Fotowettbewerb einem gewissen Jan van Eyck, Einsender des Bildes, den ersten Platz. Sein Bild zeigt Surfer im Meer. Doch es stellte sich heraus: Das Bild stammte von Absolutely AI, einem KI-Studio aus Sydney.
"Die Surfer in unserem Bild hat es nie gegeben", lautet das Statement von Absolutely AI. Das Bild bestehe aus "einer unendlichen Anzahl von Pixeln aus unzähligen Fotos, die im Laufe der Jahre von allen und jedem online hochgeladen wurden". "Die Maschine ist im Vergleich zum Menschen jetzt der überlegene Künstler", heißt es in der Erklärung.