In Deutschland erkranken jedes Jahr Zehntausende Menschen an Blutkrebs. Eine Stammzellenspende ist dann oft die letzte Rettung. Bisher galt dabei: Familie geht vor. Geschwister, die passende Immunprofile haben, werden häufig bevorzugt. Jetzt zeigt eine Studie der Deutschen Knochenmarksspenderdatei DKMS, die in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht wurde: Spenden von jüngeren Personen könnten bessere Überlebenschancen bieten – selbst wenn sie Fremde sind.
Die Forschenden werteten die Daten von 3460 Patientinnen und Patienten aus, die zwischen 2010 und 2020 eine allogene Stammzelltransplantation erhalten haben. Alle waren über 50 Jahre alt und litten an myeloischen Malignomen, also unterschiedlichen Formen von Blutkrebs, wie akuter myeloischer Leukämie oder dem myelodysplastischem Syndrom.
Die Betroffenen wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die einen bekamen junge, aber nicht verwandte Spender bis zu 35 Jahren. Die anderen erhielten eine Spende von ihren HLA-identischen Geschwistern.
HLA-identisch bedeutet, dass zwei Menschen in allen wichtigen Merkmalen ihrer HLAs übereinstimmen, also der Proteine auf der Zelloberfläche, die helfen, eigene von fremden Zellen zu unterscheiden. Je ähnlicher die HLA-Merkmale von Spender und Empfänger sind, desto geringer ist die Gefahr von Abstoßungsreaktionen oder Angriffen der Fremdzellen auf den Körper ("Graft-versus-Host-Erkrankungen", GVHD) .
Das Sterberisiko war mit jungen Fremdspendern 18 Prozent geringer
Die Forschenden beobachteten, welche Auswirkungen beide Spendertypen auf die Gesundheit der Teilnehmenden hatten. Dabei wurden deren Alter und Krankheitsstadium berücksichtigt.
Insgesamt bekamen 2225 Personen eine Fremdspende von Personen, die im Durchschnitt 27 Jahre alt waren, und 1235 Patienten eine Spende von ihren Geschwistern – im Durchschnitt 59 Jahre alt.
Ergebnis: Bessere Überlebenschancen erzielten die Stammzellen von jungen, HLA-kompatiblen, unverwandten Spenderinnen und Spendern als die von älteren, HLA-identischen Geschwistern. Erstere zeigten ein um 14 Prozent geringeres Risiko für Komplikationen und 16 Prozent weniger Rückfälle. Die Überlebenswahrscheinlichkeit im Beobachtungszeitraum verbesserte sich um 18 Prozent.
Auch Geschlecht und vorherige Infektionen können eine Rolle spielen
Allerdings nur, wenn sekundäre Merkmale wie Geschlecht und der CMV-Status, also das Vorhandenseins eines bestimmten Virus, günstig waren. Viele Menschen machen im Laufe ihres Lebens eine meist harmlose CMV-Infektion durch. Dabei bildet das Immunsystem Antikörper gegen das Virus. Für Patienten, die noch nicht mit dem Virus in Kontakt kamen und keine Antikörper haben, kann eine Neuinfektion lebensbedrohlich sein. Spender und Empfänger sollten denselben CMV-Status haben, um das Risiko zu minimieren. Auch das Geschlecht kann eine Rolle spielen. Die Studienautoren gaben an, dass es günstiger war, wenn Frauen nicht an Männer spendeten.
Die Forschenden schließen: Passen die sekundären Merkmale eines Fremdspenders, haben Menschen mit einem jungen Fremdspender einen Überlebensvorteil gegenüber denen mit einem verwandten Spender. Sind Geschlecht oder CMV-Kombination ungünstig, verschwinden die Vorteile, die Überlebenswahrscheinlichkeit ist vergleichbar. "Das bedeutet, dass unverwandte Spender ausgewählt werden können, ohne dass daraus Nachteile entstehen", schließt Studienleiter Johannes Schetelig.
In einer Meta-Analyse mit Daten von 9905 Patienten konnten die Forschenden ihre Ergebnisse bestätigen. Bei jungen Fremdspendern fand sich ein um 11 Prozent geringeres Risiko für Komplikationen und ein 22 Prozent geringeres Risiko für Rückfälle.
Junge Stammzellen sind meist leistungsfähiger
Das könnte verschiedene Ursachen haben. Größere immunologische Unterschiede zwischen Spender und Empfänger erhöhen zwar das Risiko für Graft-versus-Host-Erkrankungen – können aber gleichzeitig die krebsbekämpfende Wirkung der Spenderzellen verstärken. Die Studie deutet darauf hin, dass kleine Unterschiede sogar vorteilhaft sein könnten, wenn wirksame Strategien zur GVHD-Vorbeugung vorliegen, die das Rückfallrisiko senken.
Stammzellen jüngerer Spenderpersonen sind außerdem meist biologisch fitter und können das Blut- und Immunsystem der Empfängerinnen und Empfänger effektiver wieder aufbauen. Sie halten die Belastung einer Transplantation besser aus und behalten ihre Vielfalt und Leistungsfähigkeit länger.
Hinzu kommt: Bei Nichtverwandten können die Mediziner gezielt einen Spender mit günstigen Merkmalen auswählen – bei Geschwistern ist die Auswahl oft auf eine Person beschränkt.
Die Ergebnisse sprechen für eine Änderung der bisherigen Praxis
Eine Einschränkung der Studie ist, dass die Empfänger unterschiedliche Prophylaxen erhalten hatten, um einen Angriff der Spenderzellen auf das eigene Immunsystem zu verhindern. Außerdem wurde das Experiment nicht unter standardisierten Bedingungen durchgeführt. Eine Untersuchung mit einer kleineren Kontrollgruppe und gleicher Vorbehandlung konnte das Muster jedoch bestätigen.
"Wenn ein junger unverwandter Spender (bis 35 Jahre) hinsichtlich Geschlecht und CMV-Status gleichwertig oder vorteilhaft im Vergleich zu einem älteren Geschwisterspender (ab 50 Jahren) ist, sollte der junge unverwandte Spender bevorzugt werden", sagt Schetelig. "Diese Ergebnisse sprechen für eine Änderung der bisherigen Praxis, bei der bislang Geschwisterspender unabhängig vom Alter bevorzugt wurden."
Häufig ist die Frage aber nicht, wer der optimale Spender ist, sondern wer zur Verfügung steht. Die Studie zeigt: Sich als junger Spender zu registrieren kann Leben retten – sogar besonders effektiv.