Der Mensch ist ein Energiesparer. So wie alle Lebewesen versucht er in der Regel, Aufwand zu vermeiden – sei es physischer, sei es geistiger Natur. Warum lange Umwege gehen, wenn es auch eine Abkürzung gibt? Warum sich plagen, wenn das Ziel ebenso gut mit weniger Einsatz zu erreichen ist?
Tatsächlich zeigen zahllose Studien, dass Menschen – ebenso wie Tiere – dem Prinzip des geringsten Aufwands folgen. Wir wählen den Aufzug statt die Treppe, greifen zur Fertigsoße statt zum Kochlöffel, nutzen den Taschenrechner, obwohl wir im Kopf rechnen könnten. Die Psychologinnen Susan Fiske und Shelley Taylor sprachen schon in den 1980er-Jahren vom Menschen als "kognitivem Geizkragen", einem Wesen, das Denkleistung nur dann aufbringt, wenn es wirklich nötig ist.
Das doppelte Gesicht der Anstrengung
Und doch verhalten wir uns gelegentlich völlig konträr. Wir schnüren die Laufschuhe für einen Marathon, obwohl niemand uns zwingt. Wir lösen freiwillig Kreuzworträtsel, bauen komplizierte Möbel selbst auf, stemmen Gewichte im Fitnessstudio, lernen Sprachen, entwerfen Modelleisenbahnen, schreiben Romane, besteigen Berge.
Warum nur tun wir uns das an?
Psychologinnen und Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang vom "Effort Paradox" – dem Anstrengungsparadox. Es beschreibt das verblüffende Phänomen, dass Menschen sich freiwillig anstrengen, Anstrengung manchmal sogar suchen, obwohl sie unter anderen Umständen als unangenehm und belastend empfunden wird. Worin liegt der Reiz der Mühe? Was macht Aufwand plötzlich attraktiv, ja sinnstiftend?
Genau dieser Frage widmet sich ein Team um den Psychologen Michael Inzlicht von der Universität Toronto. In einem aktuellen Übersichtsartikel, erschienen im Fachjournal "Advances in Experimental Social Psychology", analysieren die Fachleute die widersprüchliche Rolle der Anstrengung im menschlichen Verhalten – und bieten eine Reihe überraschender Erklärungsansätze.
Aufwand veredelt das Ergebnis
Ein zentraler Gedanke lautet: Anstrengung verändert die Bewertung dessen, was wir erreichen. Sie "veredelt" gewissermaßen das Resultat. Wer sich plagt, empfindet die Belohnung am Ende als wertvoller – ganz gleich, ob es sich um einen sportlichen Triumph, ein selbstgebautes Regal oder den Abschluss eines Studiums handelt. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang vom "Ikea-Effekt": Dinge, in die wir persönliche Mühe investiert haben, erscheinen uns bedeutsamer, schöner, besser. Weil sie uns etwas gekostet haben: Zeit, Schweiß, Nerven.
Hinzu kommt ein moralischer Aspekt. Wer Gutes tut und dabei Mühe auf sich nimmt, wirkt glaubwürdiger, tugendhafter. Eine großzügige Spende nach einem Spendenlauf erscheint selbstloser als dieselbe Summe vom bequemen Sofa aus. Aufwand erzeugt Eindruck – nicht nur nach außen, sondern auch gegenüber dem eigenen Gewissen.
Interessanterweise funktioniert der Zusammenhang auch in umgekehrter Richtung: Wenn Menschen mit einer besonders hohen Belohnung konfrontiert werden – sei es Ruhm, Reichtum oder Anerkennung –, schließen sie rückwirkend darauf, dass der Weg dorthin mühsam gewesen sein muss. Große Leistung wird mit großem Aufwand assoziiert, selbst wenn dieser im Einzelfall gar nicht belegbar ist.
Anstrengung als Sinnquelle
Doch es geht nicht nur um Belohnung. In vielen Fällen liegt der Reiz der Anstrengung tiefer. "Menschen erleben Anstrengung als Quelle von Sinn, Meisterschaft und Selbstfindung", schreiben Inzlicht und Kollegen. Wer sich fordernden Aufgaben stellt, spürt sich selbst: in der Überwindung von Grenzen, im Fortschritt, im Ringen um Lösungen. Anstrengung wird so zum Resonanzraum der Selbstwirksamkeit.
Entscheidend ist dabei das richtige Maß: Eine Tätigkeit darf nicht überfordern, aber auch nicht unterfordern. In der Psychologie spricht man vom "Sweet Spot" der Anstrengung – jenem Bereich, in dem die Herausforderung groß genug ist, um Engagement zu wecken, aber nicht so groß, dass sie zur Überforderung wird. Wann dieser Punkt erreicht ist, hängt stark von der Persönlichkeit ab: Was dem einen als beflügelnde Herausforderung gilt, erscheint dem anderen als unzumutbare Last.
Die Kraft der Rückschau
Oft zeigt sich der Wert der Anstrengung erst im Nachhinein. Während des Marathons schwört man sich, nie wieder zu laufen. Während der Dissertation träumt man von einem Job im Gartencenter. Doch sobald das Ziel erreicht ist, ändert sich die Perspektive: Die Mühe wird rückblickend verklärt, das Erlebte aufgewertet. Es ist ein klassischer Fall kognitiver Dissonanz: Wenn wir viel investiert haben, möchten wir glauben, dass es sich gelohnt hat. Alles andere wäre psychisch schwer zu ertragen.
Auch kulturelle Erzählungen tragen zu dieser Uminterpretation bei. In vielen Gesellschaften gilt Fleiß als Tugend. Wer sich plagt, ist ein guter Mensch. Wer alles leicht erreicht, dem wird mit Skepsis begegnet. Erfolg ohne sichtbare Anstrengung wirkt verdächtig. So prägt Kultur, wie wir Aufwand deuten – und wie sehr wir bereit sind, ihn in Kauf zu nehmen.
Das Paradox als menschliches Prinzip
Das Anstrengungsparadox zeigt: Menschliches Verhalten folgt nicht immer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnungen. Wir sind keine rein rationalen Ökonomen unserer Energie, sondern komplexe Wesen mit einem Sinn für Bedeutung, Stolz und Selbstüberwindung. In der bewussten Anstrengung liegt nicht nur Mühe, sondern auch ein Funken Würde. Sie macht Ziele wertvoll, Erfolge tief und uns selbst spürbar lebendig.
Vielleicht also ist es gar kein Paradox, sondern eine Form von Lebenskunst: das Richtige zu suchen, das uns fordert – und gerade deshalb belohnt.