Verhaltensforschung Navi im Kopf: Wie Fledermäuse nachts nach Hause finden

Eine Weißrandfledermaus auf dem Weg durch die Finsternis, vorbei an einem Hindernis. Wie sich die gerade mal rund sechs Gramm schweren Tiere in der Landschaft bei Nacht orientieren, beginnen Forschende erst allmählich zu verstehen
Eine Weißrandfledermaus auf dem Weg durch die Finsternis, vorbei an einem Hindernis. Wie sich die gerade mal rund sechs Gramm schweren Tiere in der Landschaft bei Nacht orientieren, beginnen Forschende erst allmählich zu verstehen
© T. Doumax / blickwinkel / AGAMI / imago images
Dass sich Fledertiere im Dunklen per Echoortung orientieren, ist lange bekannt. Jetzt wird klar: Offenbar helfen ihnen dabei sogar mentale Landkarten, die sie sich selber aneignen

Fledermäuse sind bekannt für ihre Fähigkeit, sich in völliger Dunkelheit zu orientieren. Mithilfe ihrer Echoortung können sie etwa Hindernissen ausweichen und Insekten nachstellen. Eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie hat nun enthüllt, dass die Tiere damit noch weit mehr bewerkstelligen – nämlich die Navigation anhand einer mentalen Landkarte ihrer Heimat. Offenbar merken sie sich bei ihren nächtlichen Beutezügen Landmarken, die im Strahl ihrer Echoortung besonders markant sind. Aus diesen akustischen Merkmalen erstellen sie im Kopf eine Art "akustische Karte", ein internes Navigationssystem. Das ermöglicht ihnen, ihren Standort zu bestimmen und über mehrere Kilometer hinweg sicher den Weg zu finden.

Fledermausaugen in der Nacht: nutzlos?

Bei zusammen mit dem Exzellenzcluster "Kollektives Verhalten" der Universität Konstanz und der Universität Tel Aviv in Israel durchgeführten Experimenten wurden Weißrandfledermäuse für den Versuch mit einem ultraleichten GPS-Trackingsystem namens ATLAS ausgestattet. Das System ermöglicht eine hochauflösende Verfolgung der Tiere in Echtzeit. Die Forschenden setzten 76 Fledertiere dann im nordisraelischen Hula-Tal an verschiedenen Orten innerhalb eines drei Kilometer großen Radius von ihren Schlafplätzen aus.
 

Der virtuelle Flug der Fledermaus
© Jens Rydell
Der virtuelle Flug der Fledermaus
© Video: Xing Chen | Foto: Jens Rydell

Hier lässt sich der Kurs einer Fledermaus auf dem Weg zurück zum Schlafplatz verfolgen. Die Forschenden haben sie mit einem GPS-Sender versehen. Für das Video legten sie dessen Track in eine dreidimensionale virtuelle Landschaft, für die sie zuvor die Topographie des Testgebiets eingescannt hatten. Deutlich verändert sich der Einsatz des Ultraschall-Echolots unterwegs, mit dem das Fledertier die Umgebung abtastet. Intensiv und häufig dort, wo sich markante Strukturen erheben. Und seltener bis gar nicht, sobald der kleine Jäger die Freifläche des Ackers erreicht – wo kaum etwas den ausgestrahlten Ultraschall zurückwerfen würde.


Bemerkenswerterweise fanden 95 Prozent der nicht mal fünf Zentimeter großen Tiere allein durch Echoortung innerhalb weniger Minuten zurück zu ihrem Unterschlupf. Noch zielsicherer und schneller waren sie nur, wenn sie auch ihre Augen nutzen konnten – bei einem Teil der Tiere hatten die Forschenden die Sehorgane zeitweilig abgeschirmt, bei einigen nicht. Bisher hatten die winzigen Augen im Dunklen als eher wirkungslos gegolten. Jetzt aber stellte sich heraus, dass sich die Fledermäuse auch von optischen Merkmalen leiten lassen, möglicherweise anhand von Lichtern, beispielsweise von Straßenlaternen oder anhand der Silhouette einer nahen Bergkette.

Erstaunliche kognitive Fähigkeiten 

Gleich nach dem Aussetzen führten die kleinen Nachtjäger einen mäandernden Flug durch, der an einem bestimmten Punkt in einen geradlinigen Zielanflug überging. "Das deutet darauf hin, dass sie zunächst auskundschafteten, wo sie sich befanden, sagt die Max-Planck-Biologin Aya Goldshtein, die das Experiment leitete. "Um dann ausgehend von dieser Erkenntnis anhand ihrer mentalen Karte direkt nach Hause zu fliegen." Diese Erkenntnis erweitert das Verständnis über die Navigationsfähigkeiten von Fledermäusen: Sie zeigen laut den Forschenden, dass die Tiere komplexe Informationen verarbeiten können. Was die beeindruckende Anpassungsfähigkeit und die kognitiven Fähigkeiten von Fledermäusen unterstreicht. "Nun verstehen wir besser, wie sich die Tiere in ihrer bekannten Umgebung zurechtfinden", so Goldshtein, "aber es gibt noch viele offene Fragen." Zum Beispiel, auf welche Weise Fledermäuse bei ihren teils langen Wanderungen die beste Route bestimmen – denn einige Arten fliegen dabei in einer Höhe, die ihr wichtigstes Navigationsinstrument nutzlos werden lässt: Die Echoortung funktioniert nur auf eine Distanz von gut zehn Metern.

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