Geschichten wie diese sind keine Seltenheit: Vor dem Krankenhausaufenthalt ist der Vater rüstig, die Mutter führt ihren Haushalt selbst. Nach einem Sturz oder wegen einer schweren Krankheit wird dann eine Operation nötig, vielleicht sogar eine intensivstationäre Behandlung.
Wie äußert sich ein Delir?
Zunächst verläuft alles gut, doch dann baut der geliebte Mensch plötzlich immer weiter ab. Die Mutter irrt nachts orientierungslos durch die Gänge, oder der Vater schlägt nach der Schwester, macht ins Bett, redet wirr.
Besorgte Angehörige stehen dann oft vor einem Rätsel: Was ist passiert? Weshalb ist aus der alten, aber geistig klaren Mutter plötzlich eine senile Fremde geworden? Warum soll der Vater, der bisher allein leben konnte, nun ins Heim?
Warum kann der Krankenhausaufenthalt ein Delir auslösen?
Der Grund für solch plötzliche Verwirrtheit, etwa nach einer Operation, hat einen Namen: Delir. Betroffene verlieren das Zeitgefühl und wissen nicht mehr, wo sie sind. Bei sonst gesunden Menschen tritt es mitunter nach schweren Operationen auf und legt sich meist nach kurzer Zeit wieder.
Bei chronisch kranken und alten Personen oder bei jenen mit einer beginnenden Demenz gerät das Gehirn jedoch durch die Operation oder die Zeit auf der Intensivstation derart in Stress, dass es sogar lebenslangen Schaden erleiden kann.
Denn der Klinikaufenthalt ist gerade für geschwächte und alte Menschen ein Ausnahmezustand: Schmerzen und Angst, fremde Hände, unverständliche Wörter, eine ungewohnte Umgebung sind derart belastend, dass eine aufkeimende Demenz beschleunigt werden kann.
Unter den über 70-Jährigen erleidet nach einer orthopädischen oder allgemeinchirurgischen Operation eine von sechs operierten Personen ein Delir, nach Herz- oder Gefäßoperationen sogar jede dritte, bei Alzheimerkranken tritt es noch weitaus häufiger auf.
Welche Faktoren können das Risiko für ein Delir erhöhen?
Auch bestimmte Medikamente wie Schmerz- oder Beruhigungsmittel, die plötzlich abgesetzt oder neu eingenommen werden, sowie die Wechselwirkung unterschiedlicher Mittel erhöhen mitunter das Delirrisiko. Ebenso ein abrupter Alkoholentzug bei Abhängigen. Zudem wird diskutiert, ob auch die Vollnarkose an sich Gehirnzellen in Mitleidenschaft zieht.
Eine weitere Ursache sind Entzündungsprozesse (eine Reaktion des Immunsystems auf die Operation), die den Nervenzellen schaden. Auch wenn Betroffene nicht ausreichend essen und trinken oder unter Durchfall leiden, wirkt sich der resultierende Nährstoff- und Flüssigkeitsmangel mitunter negativ auf ihre Kognition aus.
Weitere Risikofaktoren sind eine bereits bestehende "Gebrechlichkeit" oder eine Eingriffsdauer von mehr als drei Stunden. Einige Menschen erholen sich nicht mehr davon, sind teils noch nach einem Jahr pflegebedürftig.
Wie lassen sich Orientierungslogkeit und Delir verhindern?
Medikamente lindern allenfalls die Symptome des Delir und haben oft selbst Nebenwirkungen. Eine auf die Betroffenen abgestimmte Versorgung aber könnte es verhindern. An der Universität Yale wurde ein Programm speziell für die Behandlung älterer Menschen in Krankenhäusern entwickelt, das Hospital Elder Life Program (HELP).
Es soll einem Delir und kognitiven sowie körperlichen Folgen vorbeugen. Ausgebildete Betreuende begleiten die Betreffenden während des Krankenhausaufenthalts, helfen ihnen bei der Orientierung und Kommunikation und machen mit ihnen körperliche Übungen. Sie unterstützen beim Essen und Trinken und organisieren den Übergang zurück nach Hause oder in ein Heim.
Auch in Deutschland setzen einige Krankenhäuser etwas Ähnliches um. Das Programm "ACTIVER" etwa wurde bereits in einer großen Studie in mehreren Krankenhäusern in Baden-Württemberg erprobt.
Auch hier begleiten speziell geschulte Pflegefachkräfte delirgefährdete Patientinnen und Patienten ab 65 Jahre vor und nach einer Operation. Zudem halten sie die Betreffenden zu speziellen Übungen an, die unter anderem Motorik und Gedächtnis trainieren.
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Die enge Betreuung scheint zu helfen: Laut der Studie waren kognitive Beeinträchtigungen nach fast allen Operationen signifikant reduziert. Daraufhin hat der Gemeinsame Bundesausschuss – ein Gremium, das bestimmt, welche Leistungen gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland beanspruchen können – die breite Umsetzung empfohlen.
Was können Angehörige tun, um ein Delir zu verhindern?
Wird solch eine Behandlung noch nicht angeboten, könnten auch Angehörige diese intensive Betreuung übernehmen. Sie sollten außerdem die Pflegekräfte schriftlich über die besonderen Bedürfnisse des Patienten oder der Patientin informieren und auch andere Menschen im selben Zimmer aufklären.
Nach der Operation sollten die Betreffenden zudem möglichst rasch wieder mobilisiert, Hörgeräte angelegt und Brillen wieder aufgesetzt werden. Auch solch einfache Maßnahmen lindern die Verwirrung.
Verhält sich die Mutter oder der Vater nicht wie gewohnt, sollten Angehörige sofort beim Pflegepersonal Bescheid geben. Je schneller nach Entstehen der Auffälligkeiten eingegriffen wird, desto besser kann die Verwirrung gelindert oder ganz beseitigt werden.