Zooanthropie Bizarrer Wahn: Wenn Menschen überzeugt sind, ein Tier zu sein

Illustration eines verstimmten Mannes, der sich in ein Insekt verwandelt
Ein Mann, halb Mensch, halb Insekt – eine Illustration, die an Kafkas Verwandlung erinnert. In der Psychiatrie heißt dieses seltene Phänomen, sich für ein Tier zu halten, Zooanthropie
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Eine Frau aus München schlängelt sich über den Boden, sie wähnt sich in eine Kaulquappe verwandelt. Dahinter steht eine seltene Störung, bei der das Ich seine Grenzen verliert

Eines Morgens, so erzählt Franz Kafka in seiner berühmten Verwandlung, erwacht Gregor Samsa und bemerkt, dass er sich "in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt" hat. Die Beine zucken hilflos, der Panzer ist gewölbt und hart, die Stimme nur noch ein undeutliches Krächzen. Seine Familie schreit auf, meidet ihn, schließt ihn ein – bis er schließlich verhungert.

Kafkas Erzählung, 1915 veröffentlicht, gilt als literarische Allegorie auf Entfremdung und Identitätsverlust. Sie gehört zu jenen Texten, die tief ins kulturelle Gedächtnis eingesunken sind, nicht zuletzt, weil sie eine Urangst berühren: die Angst, eines Tages nicht mehr man selbst zu sein.

Doch was Kafka als Symbol beschrieb, erleben manche Menschen als Realität. Es gibt Patientinnen und Patienten, die überzeugt sind, sich tatsächlich verwandelt zu haben – nicht metaphorisch, sondern leibhaftig. Sie spüren es im Körper, im Denken, im Fühlen. In der Psychiatrie wird dieses seltene Phänomen als Zooanthropie bezeichnet.

"Ich bin eine Kaulquappe"

Genau darunter litt eine 45-jährige Altenpflegerin aus München, deren Fall Ärztinnen und Ärzte 2018 beschrieben. Sie glaubte, keine Frau mehr zu sein, sondern eine Kaulquappe. Zunächst hatte sie über Wochen unter Stimmungsschwankungen und Antriebslosigkeit gelitten, ehe sie in einem Zustand zunehmender Verwirrung in eine Münchner Klinik eingewiesen wurde. Dort begann sie, sich in wellenförmigen Bewegungen über den Boden zu schlängeln, als ahme sie das Schwimmen einer Kaulquappe nach. Später erklärte sie sinngemäß, sie gehöre ins Wasser, nicht an Land. Ihre Überzeugung war unerschütterlich: Sie war eine Kaulquappe geworden.

Die behandelnden Psychiater diagnostizierten eine akute psychotische Störung mit einem bizarren Wahninhalt – der Überzeugung, ein Tier zu sein. Körperliche und neurologische Untersuchungen ergaben keine Auffälligkeiten; auch ein Drogenscreening blieb negativ. Die Frau erhielt täglich vier Milligramm eines Antipsychotikums. Nach etwa einer Woche sagte sie, sie sei "jetzt keine Kaulquappe mehr", glaube aber noch, als solche geboren worden zu sein. Nach drei Wochen war der Wahn vollständig abgeklungen.

Wenn das Ich zerfließt

Die Zooanthropie gilt als eine der seltensten Wahnformen überhaupt. Beschrieben sind Einzelfälle, in denen sich Menschen für Wölfe, Katzen, Pferde, Vögel oder Frösche hielten, teils begleitet von entsprechenden Lauten und Bewegungen. Im angelsächsischen Raum wird das Phänomen meist als lycanthropy bezeichnet, abgeleitet vom altgriechischen lykos, "Wolf". Schon in mittelalterlichen Chroniken finden sich Berichte über Menschen, die sich für Werwölfe hielten – frühe Zeugnisse einer psychotischen Fehldeutung des eigenen Körpers.

Der Schweizer Psychiater Christian Scharfetter interpretierte Zooanthropie als eine extreme Form der Ich-Identitätsstörung: eine Auflösung der Grenze zwischen Selbst und Vorstellung. Der Mensch erlebt sich nicht mehr als handelndes Subjekt, sondern als verwandeltes Wesen. Ein Symptom, das bei Schizophrenien, schweren Depressionen oder akuten Vergiftungen auftreten kann.

Andere Fachleute sehen in der Zooanthropie eine Form der autopsychischen Missidentifikation: eine Identitätsverwechslung, die sich nicht auf andere, sondern auf das eigene Selbst richtet.

Ein Spiegel der Angst vor Selbstverlust

Und warum gerade Tiere? Vermutlich, so die Deutung einiger Psychiater, symbolisieren sie unbewusst jene Triebe und Instinkte, die im normalen Bewusstsein verdrängt werden. In der psychotischen Krise kann das Ich-Erleben so weit zersplittern, dass sich der Mensch selbst in eine fremde, tierische Form "hineinverlegt". Die Wahnidee wird zur Versuchsanordnung des Bewusstseins: Der Körper folgt der Vorstellung, bis Medikament und Therapie die Grenze wieder herstellen.

Vielleicht berührt uns Kafka deshalb so sehr: Weil seine groteske Erzählung etwas ahnt, das in der Psychiatrie real werden kann – den Moment, in dem der Mensch sich selbst nicht mehr als Mensch erkennt.