Grüne Meeresschildkröten im Mittelmeer bleiben ihren Futtergründen über Jahrtausende treu. Seit mindestens 2700 Jahren ernährt sich diese Population, die hauptsächlich an Stränden der Türkei und Zyperns nistet, von Seegraswiesen vor der Küste Nordafrikas. Diese Lebensräume seien bedroht und müssten angesichts ihrer ökologischen Bedeutung besonders geschützt werden, folgert ein internationales Forschungsteam in der Fachzeitschrift "Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften.
Die Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas) lebt in tropischen und subtropischen Gewässern weltweit und wird von der Weltnaturschutzunion (IUCN) als "stark gefährdet" eingestuft. Die Tiere der Mittelmeer-Population legen ihre Nester im östlichen Teil des Meeres an, vor allem in der Türkei und auf Zypern. Nach dem Schlüpfen treiben die Jungtiere einige Jahre lang als Allesfresser durchs Meer. Danach werden sie Pflanzenfresser und ziehen zu ihren Futtergründen, wo sie den Großteil ihres Lebens verbringen.
Dass die Mittelmeer-Population an diesen Seegraswiesen schon seit Jahrtausenden weidet, wies das Forschungsteam um Willemien de Kock von der Universität Groningen mit einer Kombination verschiedener Verfahren nach. Zunächst analysierte die Gruppe Knochen, die bei archäologischen Grabungen in Kinet Höyük im äußersten Nordosten des Mittelmeers und in Tell Burak im heutigen Libanon gesammelt wurden. Die identifizierbaren Knochen an den beiden etwa 2700 Jahre alten Fundorten stammten überwiegend von Grünen Meeresschildkröten und Unechten Karettschildkröten (Caretta caretta). Schnittspuren belegen, dass die Tiere dort verspeist wurden.
Weitere Analysen von in die Knochen eingelagerten charakteristischen Isotopen von Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel belegen, dass die Grünen Meeresschildkröten damals vor den Küsten von Libyen und Ägypten grasten. Bei den Karettschildkröten, die ein größeres Nahrungsspektrum haben, ließen sich die Futtergründe – und damit die Aufenthaltsorte – dagegen nicht klar identifizieren.
Dass Grüne Meeresschildkröten auch heute noch vor den Küsten von Libyen und Ägypten grasen und dort den Großteil ihres Lebens verbringen, ergaben Analysen von Gewebeproben derzeit lebender Tiere. Bestätigt wird dies durch Beobachtungen der Wanderungen von Tieren, die mit Sendern ausgestattet sind. Dass die Schildkröten diesen Futtergründen lebenslang treu bleiben, war bereits bekannt. Neu ist nun die Erkenntnis, dass sie das generationsübergreifend seit mindestens 2700 Jahren tun.
Daraus leitet das Team Empfehlungen zum Schutz der bedrohten Art ab. "Derzeit wenden wir viel Mühe dafür auf, die Babys zu schützen, aber nicht jenen Ort, wo die Tiere die meiste Zeit verbringen", wird Erstautorin de Kock in einer Mitteilung ihrer Universität zitiert. Klimamodellen zufolge seien diese Seegraswiesen vor allem durch die Erderwärmung gefährdet.
"Angesichts der Abhängigkeit der mediterranen Chelonia mydas-Population von den Seegraswiesen entlang Nordafrikas Küsten während der letzten etwa 2700 Jahre, einer Phase relativer klimatischer Stabilität, ist das Schicksal dieser entscheidenden Meereshabitate Grund zu großer Sorge", schreibt die Forschungsgruppe. Der Verlust dieser Lebensräume hätte wahrscheinlich großen Einfluss auf das Schicksal dieser Art im Mittelmeer.