Auf manchen Landgütern und Bauernhöfen merkt man es noch deutlich: Wo sich viele Fledermäuse und Schwalben tummeln, gibt es weitaus weniger Mücken und Fliegen. In den USA ließ das krankheitsbedingte Verschwinden von Fledermäusen den Einsatz von Insektenvernichtungsmittel deutlich steigen, berichtet ein Forschungsteam im Fachjournal "Science".
Experten gehen schon lange davon aus, dass der Rückgang der biologischen Vielfalt und die zunehmende Beeinträchtigung von Ökosystemen erhebliche Negativ-Folgen für den Menschen hat. Solche Effekte sind mangels begrenzt verfügbarer Messwerte aber kaum in Zahlen zu fassen.
Wahre Fressmaschinen
Insektenfressende Fledermäuse vertilgen große Mengen: 40 Prozent und mehr ihres Körpergewichts pro Nacht, darunter viele Pflanzenschädlinge. Zudem leben sie oft in sehr großen Gruppen, entsprechend hoch ist die Gesamtzahl vertilgter Insekten. Mehrere Studien zeigten bereits, dass Fledermäuse Insektenpopulationen in Wäldern und auf landwirtschaftlichen Flächen klein halten.
Eyal Frank von der University of Chicago wählte nun ein sogenanntes natürliches Experiment für seine Analyse: das Kollabieren etlicher Fledermausbestände in den USA nach Einschleppung des sogenannten Weißnasen-Syndroms (WNS). Anhand von Datenreihen auf Bezirksebene prüfte er einen Zusammenhang mit Insektizid-Einsatz und Säuglingssterblichkeit.
Kostenlose Hilfe für Landwirte
Schätzungen zufolge sparte die natürliche Schädlingsbekämpfung durch
Fledermäuse allein in den USA mehrere Milliarden Dollar Kosten jährlich, wie Frank erläutert. Im Jahr 2006 wurde jedoch erstmals das Weißnasen-Syndrom, eine tödliche Pilzerkrankung, in Nordamerika nachgewiesen. Eingeschleppt wurde sie nach derzeitigem Kenntnisstand aus Europa, wo der Pilz mit dem Fachnamen Pseudogymnoascus destructans wohl schon lange verbreitet ist.
Europäische Fledermäuse sind daher bereits immun gegen den Erreger, in den USA aber sterben im Mittel mehr als 70 Prozent der infizierten Tiere, wie Frank erläutert. Viele Bestände seien seit der Einschleppung stark geschrumpft oder ganz verschwunden.
Der Pilz befällt die Fledermäuse in den Höhlen, in denen sie die Tage und den Winter verbringen. Er wächst in weißlichen Büscheln im Nasenbereich - daher der Name Weißnasen-Syndrom. Befallene Tiere erwachen oft vorzeitig aus dem Winterschlaf, verbrauchen wichtige Ressourcen und überstehen die Hungerphase bis zum Frühjahr dann nicht.
Überall wieder: Weniger Fledermäuse - mehr Insektizide
Binnen fünf bis sechs Jahren könne es so zum lokalen Aussterben von Arten kommen, so Frank. Seine Stichprobe umfasste insgesamt 1.185 US-Regionen (Counties) in 27 Bundesstaaten, von denen 245 zwischen 2006 und 2014 von WNS getroffen wurden. Parallel zum Kollabieren von Fledermausbeständen stieg dort demnach der Einsatz von Pestiziden. Einen Einfluss anderer Faktoren wie variierende Wetterbedingungen schloss Frank aus.
Nach einer WNS-Einschleppung lag der Insektizid-Einsatz demnach etwa ein Kilogramm pro Quadratkilometer höher als in Nicht-WNS-Bezirken, rund fünf Jahre danach mehr als zwei Kilogramm pro Quadratkilometer höher. Insgesamt steigerten Landwirte in Bezirken, deren Fledermauspopulationen zurückgingen, ihren Pestizideinsatz im Mittel um etwa 31 Prozent.
Frank sieht in den Daten noch einen möglichen Zusammenhang: Mit steigendem Pestizideinsatz sei die Säuglingssterblichkeitsrate gestiegen, berichtet er in "Science". Todesfälle mit externen Ursachen wie Unfälle oder Tötungsdelikte bezog er dabei nicht mit ein - betrachtete ihre Entwicklung zur Kontrolle aber auch. Für sie zeigte sich kein Unterschied bei den Sterberaten.
Höhere Sterberate bei Babys?
Die Säuglingssterblichkeit ist ein gängiger Indikator zur Untersuchung gesundheitlicher Auswirkungen von Umweltverschmutzung. Franks Analyse ergab, dass es im Durchschnitt 0,54 Todesfälle mehr pro 1000 Lebendgeburten in einem Bezirk gab, fast 8 Prozent mehr, nachdem das Weißnasen-Syndrom dort aufgetaucht war.
Ein Anstieg des Insektizid-Einsatzes um jeweils ein Prozent war mit einem Anstieg der Säuglingssterblichkeitsrate (ohne externe Todesursachen) um jeweils 0,25 Prozent verbunden. Dass es sich um einen kausalen Zusammenhang und nicht etwa ein zufälliges zeitliches Zusammenfallen zweier Entwicklungen handelt, werde durch die gestaffelte Ausbreitung der Wildtierkrankheit gestützt, die sich auch in den anderen Datenreihen wiederfinde, ist Frank überzeugt.
"In zusätzlichen Analysen zeige ich, dass die beobachteten Ergebnisse nicht anders erklären werden können, wie durch Veränderungen in der Pflanzenzusammensetzung, durch andere Arten der Sterblichkeit oder die wirtschaftlichen Bedingungen", betont der Forscher auch.
Landwirte sollten Fledermäuse lieben
Aus den Daten lasse sich auch ableiten, dass Pestizide nicht so gut gegen Schädlinge wirkten wie Fledermäuse: Im Zuge kollabierender Bestände seien die Einnahmen der Landwirte aus dem Verkauf der Ernte in den berücksichtigten Bezirken um fast 29 Prozent gesunken. Kombiniert mit den zusätzlichen Kosten bedeute das einen Verlust von 26,9 Milliarden Dollar allein in den Jahren 2006 bis 2017.

Die Studie belege, wie wertvoll die bei vielen Menschen wenig beliebten Fledermäuse für die Gesellschaft sein könnten - und wie schädlich ihr Verschwinden, so das Fazit Franks.
Lob und Kritik für das Studiendesign
Die verwendete Methodik erscheine sehr plausibel, lobte Martin Huber von der Universität Freiburg (Schweiz), der selbst nicht an der Analyse beteiligt war, das Studiendesign. Dank der ausgiebigen Prüfung anderer möglicher Faktoren sei die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse hoch.
Auch Julia Mink von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn bewertet die Studie "äußerst positiv". Generell gebe es nur wenige Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Pestizidbelastung in der Allgemeinbevölkerung. "Die Studie bestätigt die Ergebnisse einiger der wenigen Studien über eine höhere Kindersterblichkeit." Auch sie betont, dass die Ergebnisse aufgrund der umfangreichen Robustheitsüberprüfungen sehr überzeugend seien.
"Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Deutschland ist schwer einzuschätzen, da es an Daten zur Pestizidbelastung der Bevölkerung mangelt", erklärte Mink. "Für eine ähnliche Exposition sind sehr wohl ähnliche Effekte in Deutschland zu erwarten."
Rita Triebskorn von der Eberhard Karls Universität Tübingen hingegen sieht methodische Schwächen bei Franks Analyse: Die verwendeten statistischen Tests seien zu einfach, um solche komplexen Zusammenhänge zu analysieren. Aussagen zu kausalen Zusammenhängen seien damit nicht möglich, ist sie überzeugt.
Schwieriger Nachweis
So allgegenwärtig der Rückgang der biologischen Vielfalt sei - ihre Auswirkungen auf Ökosysteme oder die Dienstleistungen, die sie für den Menschen erbringen, seien kaum bekannt, erklären Ashley Larsen von der University of California in Santa Barbara (USA) sowie Dennis Engist und Frederik Noack von der University of British Columbia in Vancouver (Kanada), die ebenfalls selbst nicht an der Studie beteiligt waren. Das liege vor allem daran, dass solche Effekte im Zusammenhang aller Faktoren kaum sauber einzeln zu erfassen seien.
Dieses beschränkte Verständnis der Auswirkungen erschwere aber die politische Bekämpfung der Ursachen, erläutern sie in einem begleitenden Kommentar in "Science". Umso wichtiger sei es, natürliche Experimente wie das in der Studie beschriebene zu nutzen. Auch die Wiederansiedlung von Raubtieren könne eine Möglichkeit für solche Studien sein. So lasse sich zum Beispiel zeigen, dass in den USA dort, wo wieder Wölfe lebten, unter anderem die Zahl der Zusammenstöße von Rehen mit Autos sank.
Larsen, Engist und Noack betonen: "Die Eindämmung der Krise der biologischen Vielfalt ist von entscheidender Bedeutung für die Erhaltung der zahlreichen Vorteile, die Ökosysteme bieten, und die durch technologische Lösungen nicht ohne weiteres oder vielleicht nie ersetzt werden können."