Als der Hobbyarchäologe Basil Brownin seinen Spaten in den matschigen Boden der Grafschaft Suffolk rammte, konnte er nicht ahnen, dass er bald die wohl bedeutendste Ausgrabung der englischen Geschichte machen sollte. Unter ihm ruhte ein angelsächsischer Herrscher, begraben unter Reichtümern und auf seinem Schiff. Ein Fund, der heute unter dem Namen Sutton Hoo bekannt ist - und der ohne eine reiche Landbesitzerin niemals möglich gewesen wäre.
Edith Pretty wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf, konnte schon in ihrer Jugend um die Welt reisen. Immer wieder verfolgte sie Ausgrabungen vor Ort - und entfachte ihre Leidenschaft für die Archäologie. So beschreibt es zumindest die British National Trust for Places of Historic Interest or Natural Beauty, der heute die historische Stätte Sutton Hoo verwaltet.
1926 heiratete die geborene Edith May Dempster ihren Mann Franklin Pretty und zog auf das gemeinsame Anwesen an den Hochufern des Flusses Deben im Osten Englands. Franklin starb wenige Jahre nach der Hochzeit, so verwaltete Edith Pretty das Anwesen allein. Darauf standen seit jeher mehrere Erdhügel, aufgeschüttet in einer solchen Regelmäßigkeit, dass sie nicht von der Natur geschaffen sein konnten. Waren es Gräber aus längst vergangenen Zeiten? 1937 wollte Pretty endlich Gewissheit: Sie informierte das Museum in Ipswich über ihren Fund.
Basil Brown brachte sich die Archäologie selbst bei - und macht im Sommer 1938 den Fund seines Lebens
Auch im Leben des Basil Brown spielte die Archäologie schon immer eine große Rolle. Als Sohn eines Farmers in Suffolk kannte er Ostenglands Bodenverhältnisse in- und auswendig. Sein Wissen über die Ausgrabungstechniken und die Geschichte seiner Heimat eignete er sich selbst an. So arbeitete er in den 1930er Jahren für eben jenes Museum in Ipswich - und wurde im Sommer 1938 auf Edith Prettys Anwesen geschickt, um sich die vermeintlichen Grabhügel genauer anzusehen.
Innerhalb weniger Monate hoben Basil und sein Team vier Grabhügel aus: Unter einem Hügel fanden sie die Asche eines Begrabenen, den gut erhaltenen Kopf einer Axt, Keramiktöpfe und eine verzierte Kalksteinplatte. In anderen Gräbern legten sie eine Schwertspitze, Eisenmesser, aber auch Bronzeschmuck und menschliche Knochen frei.
Edith Pretty übergab die Objekte an das Museum in Ipswich, Artikel über die Funde wurden veröffentlicht, das Britische Nationalmuseum bekundete Interesse.
Archäologen finden die Überreste eines 27 Meter langen Schiffs
Im Mai des Folgejahres, als der nasskalte britische Winter den Boden wieder an den lauen Sommer abtrat, quartierte sich Basil Brown erneut auf dem Anwesen Prettys ein. Akribisch plante er die Ausgrabungen, tastete sich vorsichtig an die Schätze in den Gräbern heran, um keine der etlichen Geschichten zu gefährden, das jedes einzelne Fundstück zu erzählen hat. Nach nur drei Tagen fanden Basil und sein Team Eisenstücke, die sie für alte Schiffsnägel hielten.
Und tatsächlich, bald legte Basil den Abdruck eines 27 Meter langen Schiffswracks frei. In dessen Zentrum thronte eine pompöse Grabkammer - eine Nachricht, die auch den erfahrenen Cambridge-Archäologen Charles Phillips auf den Plan rief.
Allein die Größe des Schiffes könnte auf ein königliches Begräbnis hindeuten, vermutete dieser schon bei seinem ersten Besuch. Ab dem 10. Juli 1939 leitete Phillips die Ausgrabung, Basil Brown assistierte. Trotz der augenscheinlichen Degradierung Browns vom Entdecker zum Assistenten pflegten die beiden ein respektvolles Verhältnis. Dem National Trust zufolge hatte Phillips große Achtung vor Browns penibel-akkurater Arbeitsweise.
Lag der legendäre König Rædwald im Bootsgrab von Sutton Hoo?
Schnell wurde klar: Wer auch immer mit diesem Schiff begraben wurde, seine Hinterbliebenen hatten ihn mit unermesslichen Reichtümern in die Nachwelt geschickt. So fanden sich Schilde und ein reich verziertes Schwert, eine Leier oder kleine Kunstfiguren aus Gold. Am eindrucksvollsten jedoch ist der Helm von Sutton Hoo, schnörkelvoll verziert erzählt er faszinierende Geschichten der angelsächsischen Dynastien. Die Archäologen konnten ihn nur völlig korrodiert und in mehr als hundert Einzelteilen bergen. Mitarbeiter des Britischen Nationalmuseums haben ihn rekonstruiert, dort ist er heute ausgestellt und zu so etwas wie dem Gesicht von Sutton Hoo geworden.
Wer aber so prachtvoll beerdigt wurde, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Jedoch war der Aufwand enorm: Das Schiff musste von nahegelegenen Fluss Deben auf die Anhöhe gezogen, dort mit dem Körper des Toten und seinen Grabschätzen beladen und schließlich mit Erdmassen bedeckt werden. Forscherinnen vermuten, dass es sich um Rædwald, König des Reiches Ostanglien und einen der bedeutendsten Herrscher seiner Zeit, gehandelt haben muss.
Die Überreste einer Leiche aber wurden bis heute nicht gefunden. Der Umriss eines menschlichen Körpers inmitten all der Schmuckstücke aus Gold sowie Phosphatrückstände im Boden beweisen jedoch, dass es sich nicht um ein leeres Grab gehandelt hat.
Die große Heldin von Sutton Hoo bleibt Edith Pretty
König Rædwald starb vermutlich zwischen 616 und 627 unserer Zeitrechnung. Mehr als 1300 Jahre nach seinem Tod stellten sich auf dem Anwesen von Edith Pretty die alles entscheidenden Fragen: Wem gehört all der Reichtum - und was passiert mit ihm?
Eine richterliche Untersuchung hörte die Vertreter der Museen, die Ausgräber sowie die Landbesitzerin an und kam zu dem Schluss: Was auf dem Grundstück der Witwe gefunden wurde - und sogar ursprünglich von ihr entdeckt wurde - gehöre Edith Pretty selbst.
Die jedoch hatte andere Pläne: Sie schenkte das Vermächtnis der Angelsachsen, das jahrhundertelang unter ein paar Hügeln auf ihrem Anwesen geschlummert hatte, dem britischen Staat und verzichtete auf jegliche Ansprüche.
1940 eröffnete das Britische Museum zum ersten Mal eine Ausstellung mit Exponaten aus Sutton Hoo, die kurz darauf in den Wirren des Zweiten Weltkriegs wieder geschlossen werden musste. Edith Pretty starb 1942 in einem Londoner Krankenhaus. Den Ritterorden, den Premierminister Winston Churchill ihr verleihen wollte, hatte sie dankend abgelehnt. Bis heute gilt vielen Sutton Hoo als der bedeutendste archäologischer Fund Großbritanniens.
Wurde Basil Brown um seinen Ruhm gebracht?
Basil Brown wurde mit einem längeren Leben beschenkt. Bis ins hohe Alter von 73 Jahren arbeitete er für das Museum in Ipswich - er starb im Frühjahr 1977. Die Netflix-Produktion suggeriert, Browns Name sei bewusst aus der Öffentlichkeit gedrängt worden.
Dem widerspricht die heutige Chefkuratorin der Sutton-Hoo-Sammlung Sue Brunning gegenüber der BBC: Bereits 1940, im ersten wissenschaftlichen Bericht von Charles Phillips sei Basil Brown mehrfach erwähnt worden. Spätestens seit 1985 sei sein Name auch auf den Ausstellungstafeln im Museum genannt worden.