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Interview Wie dieses Paar das Mathelernen revolutionieren will

Stefanie Stalf und Roland Ressemann
Stefanie Stalf und Roland Ressemann
© Fotografin: Andrea Seifert
Stefanie Stalf, Mitgründerin des vielfach ausgezeichneten Animationsstudios ScanlineVFX und ihr Mann, Schulpsychologe und Lehrer Roland Ressemann, kämpfen für eine rechtzeitige Förderung mathematischer und logischer Kompetenzen von Kindern. Sie sehen hier große Chancen in digitalem Lernen. Wir haben mit dem Paar über seine Ideen gesprochen

GEO: Waren Sie in der Schule gut in Mathematik?

Stefanie Stalf: Naja. Rechnen und Einmaleins – da war ich nie wirklich gut. Aber Logik lag mir immer. Zahlengrößen abschätzen, Zusammenhänge verstehen, Statistiken lesen, das braucht man als Unternehmerin und Psychologin einfach. Genau ausrechnen kann ich das alles mit Excel dann immer noch.

Roland Ressemann: Mir hat Mathe immer Spaß gemacht, so dass ich sogar begonnen habe Mathe zu studieren... Aber dann habe ich gemerkt, dass es mir noch wichtiger ist, Kindern Spaß an Logik und Denken zu vermitteln. Und so ist das bis heute!

Laut der IQB Studie haben 40 Prozent aller Grundschüler in Deutschland irgendwann mal Probleme in Mathematik. Sie sind selbst Lehrer, Herr Ressemann - Können Sie sich eine solch hohe Zahl erklären?

Roland Ressemann: Dafür gibt es bestimmt mehrere Gründe. Ich denke, bei uns Erwachsenen liegt das auch zu einem wesentlichen Teil an unserer Angst, unsere Kinder zu früh und zu stark zu fördern. Hier sollten wir dringend lernen zu differenzieren.

Sicherlich ist es nicht sinnvoll im Kindergarten pures Faktenwissen anzusammeln. Hingegen ist es sehr wichtig, Kindern eine altersgemäße kognitive Entwicklung zu ermöglichen. Neben den mathematischen Kompetenzen ist besonders die Entwicklung der nicht-numerischen Basiskompetenzen ausgesprochen wichtig.

Zu den nicht-numerischen Basiskompetenzen zählen grundlegende Fähigkeiten, wie etwa das Gedächtnis, die akkustische und visuelle Wahrnehmung, das Konzentrationsvermögen und die Raumorientierung. Doch um diese entwickeln zu können, brauchen Kinder entsprechende altersgerechte Anreize.

Studien belegen, dass die nicht-numerischen Basiskompetenzen eng mit den grundsätzlichen mathematischen Fähigkeiten zusammenhängen. Denn das Üben der mathematischen Basiskompetenzen allein hilft wenig, wenn nicht gleichzeitig auch Übungen zur Raumorientierung mit den Kindern gemacht werden.

Da es in der Grundschule leider oft nicht möglich ist alle Kinder individuell zu fördern, verlieren Kinder, denen die Grundlagen fehlen, oft mit der Zeit den Anschluss und leider dadurch die Freude an der Mathematik. Und das ist so schade, weil sie die Fähigkeit logisch, mathematisch und abstrakt denken zu können gerade in unserer Gesellschaft für so viele Bereiche so dringend brauchen.

Es müsste also schon im Kindergartenalter mit der Förderung der Basiskompetenzen begonnen werden?

Roland Ressemann: Ja, unbedingt. Alle Experten sind sich einig, dass alle Kinder – egal, wie talentiert sie sind – davon profitieren, wenn sie im Bereich abstraktes Denken und Mathematik frühzeitig gefördert werden.

Wenn ein Kind sich in bestimmten Bereichen schwer tut, so sollte auf jeden Fall vor Schulbeginn und möglichst früh anfangen werden, es an dieser Stelle zu unterstützen.

Man muss sich die mathematischen Fähigkeiten analog zu den motorischen vorstellen. Wenn unsere Kinder nicht auf Spielplätzen und Klettergerüsten toben können, wird sich ihre Motorik nicht gut entwickeln. Sie lernen dann zum Beispiel nicht zu balancieren.

So ist das auch im Bereich der kognitiven Fähigkeiten. Wenn wir unsere Kinder nicht mit Mengen, Formen und Zahlen hantieren lassen, dann fällt es ihnen schwer ein Verständnis für Logik, Geometrie und abstraktes, mathematisches Denken zu entwickeln.

Doch leider sind bei einigen Kindern, die in die Schule kommen, diese Fähigkeiten eben nicht ausreichend entwickelt und gefördert. Daraus resultiert dann schnell Enttäuschung und Demotivation. Die Einstellung „Ich kann das eh nicht“ stellt sich dann oft bei dem Kind in der Schule ein.

Wie gelingt das Lernen bei Kindern denn am besten?

Roland Ressemann: Der Arzt und Philosoph John Locke hat mal gesagt: "Die größte Kunst ist es, den Kleinen alles, was sie tun oder lernen sollen, zum Spiel und Zeitvertreib zu machen." Da steckt alles drin. Lernen muss Spaß machen!

Haben Sie deshalb beschlossen, eine Lern-App für Kinder zu entwickeln? Oder wie kamen Sie auf die Idee, Frau Stalf?

Da kam einiges zusammen. Angefangen hat es mit meinem Bandscheibenvorfall vor ein paar Jahren. Ich konnte mich nicht bewegen, hatte aber unsere fünfjährigen Zwillinge zu Hause. Die beiden waren gerade in der Vorschule und ich wollte mit ihnen ein paar Leselern- und Mathe-Apps spielen.

Aber das war alles ziemlich schrecklich. Schnell langweilig, lieblos animiert, nervige Musik, fantasielose Designs. Und das für kleine Kinder, in einem Alter, in dem ihre Wahrnehmungsgewohnheiten geprägt werden. Hier wäre die Chance den Kindern auch auf der visuellen und akustischen Ebene viel zu bieten.

Hinzu kam, dass mein Mann Roland in seiner Arbeit als Schulpsychologe immer wieder das Leid vieler Kinder erlebte, die mit Schwierigkeiten in Mathe bei ihm saßen. Und das meist nur, weil ihnen wesentliche Grundlagen fehlten!

Jedenfalls kam eins zum anderen. Ich habe mich dann zunehmend aus dem Tagesgeschäft meines Animationsstudios ScanlineVFX zurückgezogen und meinem Herzensprojekt Lazuli zugewandt. Nach vier Jahren Entwicklungszeit ist dann schließlich die Lern-App entstanden.

Die App: Lazuli

Lazuli ist ein digitales Lernsystem, das für Kinder im Kindergarten- und frühen Grundschulalter konzipiert wurde. Vier Apps begleiten Kinder zwischen 4 und 8 Jahren und fördern sie spielerisch vom ersten Zählen an bis hin zum Unterscheiden von Mengen, Zahlenlesen und Rechnen.

Die Lern-App "Lazuli" gibt es aktuell für Tablet und Smartphone (iOS ab 10.0) - ab Mitte März auch für Mac OS und Windows.

Nun möchten sich vermutlich die wenigsten Kinder aber in ihrer Freizeit mit Lernen beschäftigen. Wie kann die App sie trotzdem dazu motivieren?

Stefanie Stalf: Indem die Lerninhalte so spannend, unterhaltsam und lustig aufbereitet sind, dass Lernen kein ödes monotones Üben mehr ist, sondern Knobeln, Spielen und Spaß! Ein kleiner Junge, der Lazuli getestet hat, wurde später von seiner Mutter gefragt, ob er das Mathespiel mal wieder spielen möchte. Und er sagte nur: „Nein. Ich will das Spiel mit dem blauen Hund!“

Dem Jungen war also gar nicht bewusst, dass er mit dem Spielen der App Lazuli gleichzeitig auch wichtige mathematische Kompetenzen erlernte. Genau so soll es funktionieren!

Hinzu kommt, dass Lazuli als Charakter etwas Besonderes ist. Er reagiert anders als andere Spielfiguren, ist auch mal eigensinnig oder er versteckt sich. Seine Reaktionen wirken sehr lebendig und realistisch - was technisch ziemlich aufwendig war. Das macht ihn so interessant für Kinder. Und da sie weiter mit ihm spielen und ihn füttern wollen, sind sie motiviert, immer wieder die vielen verschiedenen Variationen der Lernaufgaben zu spielen.

Was unterscheidet Lazuli damit von anderen Lern-Softwares?

Stefanie Stalf: Puh, wo soll ich anfangen? Außer, dass Lazuli sehr aufwendig animiert und gestaltet ist, so ist jeder der Lernlevel ein kleine Welt für sich, und die Musik individuell komponiert, setzt Lazuli zum Beispiel nicht auf Belohnungssysteme wie Punkte, Münzen oder Level. Alles, was die Spieler tun, tun sie für sich und den Hund. Außerdem sind alle Aufgaben von Kindern gesprochen, so wird das Sprachverständnis gefördert.

Roland Ressemann: Außerdem ist uns das Thema Prävention ausgesprochen wichtig. Darum haben wir vor der Veröffentlichung mit vielen Kindern unter kontrollierten Bedingungen Lazuli getestet. Mit den Werten und Ergebnissen dieser Kinder lassen sich die eigenen Ergebnisse vergleichen.

So ist es mit der App möglich zu erkennen, ob ein Kind ernstzunehmende Schwierigkeiten in einem bestimmten Bereich hat. Eltern und Pädagogen können in einem Erwachsenenbereich nachsehen, ob ein Kind mehr Versuche für eine Aufgabe gebraucht hat als der hinterlegte Durchschnitt gleichaltriger Kinder. So können die Kinder, falls nötig, schon früh und gezielt gefördert werden.

Stefanie Stalf: Und dazu können die Kinder völlig eigenständig entscheiden, wie sie die App spielen möchten. Denn die einzelnen Aufgaben und Schwierigkeitsgrade sind frei auswählbar. In jeder der vier Apps gibt es neue Knobelaufgaben – insgesamt sind das 60 Aufgaben mit mehr als 1.300 Variationen. Und wir zeigen, dass Fehler nichts Schlimmes sind - sondern etwas Überraschendes, manchmal sogar Lustiges.

Fehler werden bei Lazuli also nicht mit dem Rotstift markiert, sondern dürfen auch lustig sein?

Roland Ressemann: Ja, klar! Das klingt erst mal ungewohnt, ist aber pädagogisch sinnvoll. Die Rätsel machen Spaß, weil die Figuren bei der richtigen Lösung immer neue, verrückte Sachen machen – eben auch bei Fehlern.

Zwar ist bei der falschen Lösung klar gekennzeichnet, dass das jetzt nicht so war wie gedacht. Aber es tut dem Kind nicht weh. Es wird nicht beschämt oder von riesigen, blinkenden Kreuzen getadelt, sondern ermuntert es noch einmal zu versuchen. So kann man die lähmende Angst vor Fehlern vermeiden und zum Lernen motivieren.

Sehen Sie in dieser Art des interaktiven Lernens mit digitalen Medien einen Vorteil gegenüber dem traditionellen Lernen aus Büchern?

Roland Ressemann: Absolut. Vieles können Bücher so nicht leisten - insbesondere das direkte Feedback, ob etwas richtig oder falsch gelöst wurde. Außerdem kann man bei Übungen mit dem Tablet oder mit dem Computer jedes Kind genau dort abholen, wo es gerade steht. Beim Üben mit Büchern ist das in einer vollen Klasse ausgesprochen schwierig.

In unseren Köpfen sitzt oft noch die Erfahrung, dass Lernen trist und anstrengend sein muss. Nun können wir es mit Hilfe interaktiver digitaler Medien - sofern diese gut und sinnvoll eingesetzt sind - für unsere Kinder anders gestalten! Dennoch ist es kein "entweder - oder", sondern ein "sowohl als auch". Bücher wird es immer geben.

Heute verfügen 71 Prozent aller gemeinbildenden Schulen in Deutschland über Videorekorder, doch nur 4 Prozent nutzen regelmäßig den Tablet-Computer im Unterricht. Wo sehen Sie das digitale Lernen in fünf Jahren?

Stefanie Stalf: Zwar kommt jetzt gerade Bewegung in die Politik, aber wir wollen lieber vorsichtig optimistisch sein. Denn in den vergangenen Jahren ist nicht viel passiert in den Schulen. Und das, was passiert ist, war eher mau. Ein Schulbuch zu scannen und mit ein paar kleine Animationen zu versehen, das kann es doch nicht sein. Hier hilft ein Blick ins Ausland: in Estland und Finnland sind Tablets und Computer im Unterricht integriert und weit verbreitet - und was genauso wichtig ist, die Lerninhalte sind entsprechend interaktiv aufbereitet.

Roland Ressemann: Jedes Medium hat seine Schattenseiten. Diese führen in Deutschland zu einer weitverbreiteten Unsicherheit, Angst und Ablehnung gegenüber digitalen Technologien oder sie werden eher unreflektiert genutzt. Beides ist nicht hilfreich. Wir sollten uns einen mündigen Umgang mit diesen Medien zutrauen und sie aktiv und reflektiert als ein effektives Instrument einsetzen, um unsere Ziele zu erreichen - auch im Bereich des digitalen Lernens. Dazu wird es noch ein gesellschaftliches Umdenken brauchen.

Vielen Dank für das Interview.

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