Die Reise beider Teams wurde in dem Film "Crossing the ice" dokumentiert. Mit drei Auszeichnungen ist die Dokumentation der Hauptgewinner des diesjährigen Banff Mountain Film Festivals, das momentan durch Deutschland, Österreich und die Schweiz tourt!
100 Jahre lag die legendäre Antarktis-Durchquerung des Norwegers Roald Amundsen zurück. Da wollte ein anderer Norweger dasselbe versuchen. Und so machte sich Extremsportler Aleksander Gamme im vergangenen Jahr auf den Weg: von der Küste der Antarktis bis zum Südpol und zurück. Allein, auf Skiern und ohne jegliche Unterstützung. Das hatte vor ihm noch keiner gewagt. Doch mit dieser Idee ist er nicht allein: Am anderen Ende der Welt machen sich die Australier James Castrission und Justin Jones zur selben Zeit auf die Reise ins ewige Eis. Ein großer Zufall? Schon. Aber: Der Zeitraum, in dem eine solche Antarktis-Durchquerung metrologisch überhaupt möglich ist, beschränkt sich auf nur 90 Tage im Jahr. Schnell wird klar: Die Durchquerung wird ungeplant zu einem Wettrennen.
Im Interview mit GEO.de erzählt Aleksander Gamme, was er in der Antarktis erlebt hat und wer am Ende das Rennen machte.
GEO.de: Wann entstand die Idee zur Antarktis-Durchquerung?
Aleksander Gamme: Wenn man aus Norwegen kommt, hat man eine Verbindung zu polaren Gebieten, und so ist es für Norweger auch keine große Sache, den Südpol zu besuchen. Das 100-jährige Jubiläum von Amundsen erschien mir als ein guter Anlass für eine Antarktisexpedition. Ich buchte also den ersten Flug der Saison in die Antarktis und den letztmöglichen Rückflug. Dazwischen lagen 90 Tage, das ewige Eis und ich. Ich dachte, dass es möglich sein müsste, in dieser Zeit auf Skiern von der Küste der Antarktis bis zum Südpol und zurück zu laufen. Das sind 2.200 Kilometer. Ich wollte das Ganze ohne fremde Hilfe bewerkstelligen, also fuhr ich mit einem Schlitten los: 180 Kilogramm Ausrüstung und Essensrationen für die nächsten drei Monate.
Wie und wo haben Sie dafür trainiert?
Ich habe die Entscheidung zu diesem Rekordversuch erst acht Monate vor Abflug getroffen, es blieb also gar nicht so viel Zeit zu trainieren. Ich mache jedes Jahr eine Grönlanddurchquerung, das war eine gute Trainingseinheit. Ich denke aber, sehr viel wichtiger war, dass mein Körper es seit Jahren gewohnt ist, über einen längeren Zeitraum in kalten Temperaturen unterwegs zu sein. Umso bemerkenswerter ist es, dass die beiden Jungs aus Australien es geschafft haben, die Strecke zu bewältigen. Sie haben das wirklich fantastisch gemacht.
Wann haben Sie erfahren, dass die beiden Australier den gleichen Plan hatten wie Sie?
Von der Organisationsleitung in der Antarktis wusste ich, dass mehrere Teams etwas Ähnliches planten. Aber erst als ich in Chile auf meinen Abflug nach Hercules Inlet wartete, habe ich Cas [James] und Jonesy [Justin] getroffen. Wir waren uns von Anfang an sehr sympathisch und haben ganz offen darüber gesprochen, dass der Wettkampfgedanke nun durchaus aufkommt - zumal es dieselbe Situation schon vor 100 Jahren gegeben hatte. Während Amundsen unterwegs zum Südpol war, versuchte es auch der Brite Scott, der allerdings den Wettlauf und auch sein Leben verloren hat.
Ist man heute noch genauso auf sich gestellt wie Amundsen vor 100 Jahren? Was passiert, wenn man krank wird oder es sich anders überlegt?
Man handelt schon eigenverantwortlich - wie bei einer normalen Reise: Man bucht sich seine Flüge und macht zwischendurch, was man möchte. Aufgrund der extremen Bedingungen und der hohen Wahrscheinlichkeit, dass Menschen ihre Kräfte überschätzen und Hilfe benötigen, bekommt jeder Reisende aber ein Satellitentelefon und ein GPS-Gerät. Damit muss man täglich die eigene Position an die koordinierende Zentrale in Union Glacier durchgeben. Über das Telefon kann man sich also jederzeit bemerkbar machen.
Die elektronischen Geräte lädt man über Solarenergie auf: Die Sonne geht hier nicht unter, und auch wenn sie von Wolken verdeckt ist, reicht das Licht meist aus.
Wie haben Sie die Tage erlebt? Wie sind Sie mit der Einsamkeit klargekommen?
Ich hatte einen kleinen Rucksack, mit dem ich mich unterhalten habe – "Wilson" war sein Name. Für die langen Skitage hatte ich drei iPods mit Musik, Hörbüchern und Sprachkursen dabei. Jeden Tag ging ich in die Schule. Vormittags lernte ich Französisch, Russisch oder Italienisch, zur Mittagszeit machte ich Pause und hörte Musik, und am Nachmittag habe ich mich dann Hörbüchern gewidmet. Diese Routine war für mich wichtig. Auf meinem Tablet schaute ich abends ein paar Filme, und mit dem Satellitentelefon habe ich öfters mit Cas und Jonesy gesprochen. Obwohl wir uns erst seit Kurzem kannten, haben wir alle Sorgen und Gedanken miteinander geteilt, denn keiner hätte mich besser verstanden als die beiden einzigen Personen, die gerade in der gleichen Situation waren wie ich.
Wie darf man sich alltägliche Dinge wie Wäsche waschen oder Kochen in der Antarktis vorstellen?
Ich hatte zwei Töpfe, einen zum Waschen und einen zum Kochen. Mit einem Campingkocher habe ich Schnee erwärmt, um darin meine Wäsche zu waschen oder die eingeschweißten Mahlzeiten zu erhitzen. Für die Körperhygiene gab es ebenfalls warmes Wasser und Waschlappen.
Hatten Sie abgezählte Mahlzeiten dabei?
Jein. Es gab ganze Mahlzeiten, aber auch einzelne Komponenten, die man bei Bedarf und nach Belieben kombinieren konnte sowie einige Packungen Chips und Kekse. Ich habe auf dem Weg zum Südpol ein paar Rationen im Schnee vergraben, um das Gewicht meines Schlittens zu reduzieren. Auf dem Rückweg habe ich sie nach und nach wieder eingesammelt. In der Zwischenzeit musste ich natürlich nehmen, was ich noch hatte.
Das Video, wie Sie sich mitten im Eis über eine Tüte Chips freuen, ging um die Welt. Wie kam es dazu?
Das war auf dem Rückweg vom Südpol an einem dieser Essensposten. Ich hatte vergessen, was ich wo vergraben hatte, und aß seit Tagen nur noch dasselbe. Als ich dann plötzlich die Chips entdeckte, ist die Freude einfach so über mich gekommen. Es war unerwartet und unsagbar lecker nach so vielen nicht wirklich schmackhaften eingeschweißten Mahlzeiten.
Konnten Sie sich die Freude an den kleinen Dingen des Lebens für Ihren Alltag bewahren?
Ja, auf jeden Fall. Wenn ich nicht unterwegs bin, lebe ich in Oslo ein ziemlich urbanes Leben. Dennoch freue ich mich jeden Abend, in einem warmen Bett zu liegen oder essen zu können, was und wann ich möchte. Wir sind so daran gewöhnt, dass diese Dinge immer zur Verfügung stehen, dass wir sie nicht mehr wertschätzen. Jede meiner Reisen trägt dazu bei, dass mir bewusst wird, wie wichtig es ist, auf die kleinen alltäglichen Dinge zu achten.
Sie haben die Strecke als Erster gemeistert, nach 87 Tagen waren Sie fast am Ziel - und dann haben Sie auf die beiden Australier gewartet. Warum?
Die Idee hatte ich eigentlich schon ziemlich früh. Bereits als ich die beiden das erste Mal traf, habe ich vorgeschlagen, dass wir zusammen die Zielgrade fahren. Doch keiner von uns hat so richtig daran geglaubt, dass beide Teams überhaupt die gesamte Strecke schaffen würden und dann noch zur selben Zeit. Als ich wusste, dass ich kurz vorm Ziel war, rief ich die beiden über Satellitentelefon an und fragte, wie lange sie noch brauchen würden. Sie hatten noch rund 100 Kilometer vor sich, je nach Wetterlage eine Tour von zwei bis fünf Tagen. Ich schlug also mein Zelt auf und wartete. Nach drei Tagen sah ich sie am Horizont. Sie konnten es nicht glauben, dass ich tatsächlich gewartet hatte! Es war ein unbeschreibliches Gefühl, gemeinsam die letzten Kilometer zurückzulegen. Es gibt also keinen Gewinner dieses Rennens, wenn man so will.
Und wer geht jetzt als Rekordhalter in die Geschichtsbücher ein?
Alle drei.
Was machen Sie, wenn Sie nicht unterwegs sind?
Ich unterhalte einen Online-Shop für Outdoor-Equipment und arbeite als Guide für Reisegruppen in Norwegen und Grönland. Wenn man so möchte, bin ich inzwischen zu einem Berufs-Abenteurer geworden.
Aleksander Gamme und das Banff Festival
Wer mit Aleksander Gamme eine Expedition machen möchte, kann sich auf seiner Outdoor-Seite umsehen.