Das Geschäft läuft glänzend, sagt der Bestatter. Dann räuspert er sich und fügt hinzu: glücklicherweise, oder unglücklicherweise. Wie man es nimmt. Molefi Kupane ist Juniorchef von Sowetos größtem Beerdigungsunternehmen "Kupane Funerals". Der Publikumsandrang vor seiner Firma ist so groß, dass Schalter eingerichtet werden mussten, um die Trauernden abzufertigen. Vorbei an der Tür zur Leichenhalle, an der das Schild "Bitte nicht ohne Handschuhe eintreten!" hängt, führt Kupane zu seinem Büro. Er schreitet durch das Sarglager wie ein König durch sein Reich, preist Teakholzsärge mit Messingbeschlägen: Darin wachen Sie nie wieder auf!, rühmt Stahlsärge: Der Rolls-Royce! Damit kommen Sie direkt in den Himmel!, und stellt am Ende vor Glück seufzend fest: ein wunderbarer Beruf! Tatsächlich gibt es keine andere Branche in Soweto, die in ähnlicher Blüte steht wie die der Beerdigungsinstitute.
Das AIDS-Virus mordet lautlos
Noch heute stirbt man in Soweto schneller als anderswo in Südafrika - auch wenn es keine Apartheid mehr gibt, keinen Krieg mehr von Schwarzen gegen Schwarze, keine Inkatha-Milizen und keine ANC-Banden, die mordend durch Sowetos Straßen ziehen. Das Aids-Virus mordet lautlos. Und in Massen. "Wissen Sie", sagt Molefi Kupane, wir arbeiten rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche, und wir schaffen es kaum. Über seinem Schreibtisch hängt ein Foto von Martin Luther King, unter dem steht: "Freedom has always been an expensive thing" - Freiheit war immer ein teures Gut. Weil der Bestatter im Grunde seines Herzens ein optimistischer Mensch ist, betont er, dass es nicht nur Aids in Soweto gebe. Sondern auch Fortschritt. Kupane schaut ernst und feierlich aus dem Fenster - und entdeckt auf der Straße ein Schulmädchen in Uniform, das eine Pizzaschachtel in der Hand trägt: Sehen Sie? Fortschritt besteht darin, jemanden abends mit einer Pizzaschachtel in der Hand durch Soweto laufen zu sehen und das nicht mehr eigenartig zu finden! Wir haben jetzt Straßen, wir haben Elektrizität, wir haben Einkaufspassagen.
Soweto ist Mythos, Legende und offizielle Heimat von 2,5 Millionen Menschen. Vermutlich leben hier vier Millionen - in Disneybunten Sozialwohnungen und Wellblechhütten, in matchboxhouses, flach gedrückten Backsteinhäusern mit Metalldächern, und in Mietskasernen. Es war das erklärte Ziel der Apartheid-Regierung, Soweto so unwirtlich wie möglich zu gestalten. Und anstelle eines Namens mit einem papieren anmutenden Akronym aus SOuth WEstern TOwnship. Und doch wurde die Schlafstadt schwarzer Arbeiter, die nie zur Heimat werden sollte, zum Geburtsort des unabhängigen schwarzen Südafrika. Auch heute noch, 13 Jahre nach der Abschaffung der Apartheid, ist Soweto das Synonym für Südafrikas schwarze Seele. Soweto, das sind 32 verschiedene Stadtteile. Sie reichen von Orlando West, wo einst die ANC-Prominenz lebte, über die Wellblechslums von Klipville und die flamingofarbenen Villen von Diepkloof Extension bis hin zu no-go-areas wie White City - wohin selbst der Bestatter Kupane jr. keinen Fuß setzen würde. Aber weil der optimistische Totengräber alles Schlechte mit dem Guten zu balancieren weiß, fragt er: Waren Sie schon in einem der Parks, in denen sich Brautpaare im Abendlicht für den Fotografen aufstellen und in denen samstags gegrillt wird? Haben Sie das neue Jabulani-Einkaufszentrum gesehen? Auch viele Sowetans, die längst in die luxuriösen weißen Vororte gezogen sind, wollen vom Ort ihrer Geburt nicht lassen.
Beerdigungen gibt es im Akkord
Am Wochenende wird in Soweto im Akkord beerdigt, der Verkehr auf der Straße zum Avalon-Friedhof steht im Stau, und in der Gegenrichtung jagen die Stretch-Limousinen und silbernen Cadillacs von Kupane Funerals vorbei. Totenfeiern sind hier Gesellschaftsereignisse. Beerdigungen werden nicht begangen, sondern gefeiert, auf den Straßen stehen Zelte für die "After-Tears-Parties" bereit. Wenn die Tränen getrocknet sind, wird getrunken und getanzt. Du bist nur ein Mensch durch andere Menschen, sagt ein Zulu-Sprichwort. Kupane jr. kontrolliert am Computer, wie viele Beerdigungen an diesem Wochenende stattfinden werden – 272. Avalon, dem größten der vier Friedhöfe, droht die Schließung wegen Platzmangels. Denn in Soweto wird man für immer beigesetzt – kein Grab wird aufgelöst, und wöchentlich kommen 300 bis 400 Gräber hinzu. Der Konkurrenzkampf sei inzwischen so ausgeartet, dass manche Bestatter wegen des Werbeeffekts Prominenten sogar Gratis-Begräbnisse anböten. Oft entstehe so ein unwürdiges Gezerre um die Leiche.
Der Tod ist ein Lufthauch
Am nächsten Morgen fährt Kupanes weißer Cadillac vor einem kleinen, verklinkerten Haus in Dobsonville vor, um den Sarg von Yvonne Chaka-Chakas Mutter abzuholen. Wie in Soweto üblich, wurde die Tote in der Nacht vor der Beerdigung im offenen Sarg zu Hause aufgebahrt, damit die Angehörigen Abschied nehmen konnten. Meti Sophie Machaka ist im Alter von 71 Jahren entschlafen – passed away, was klingt, als sei der Tod ein Lufthauch. Meine Mutter war meine Heldin, sagt Yvonne Chaka-Chaka. In ganz Afrika wird die Sängerin wie eine Heilige verehrt, bei Mandelas 85. Geburtstag gehörte sie zu den Ehrengästen.
Singend begleiten sie die Tote auf ihrem letzten Weg
Im Schritttempo und mit heulender Sirene fährt Kupanes Cadillac Richtung Kirche, neben ihm laufen die Nachbarinnen: Klageweiber mit Rüschenschürzen und Wollmützen, Klageweiber, die sich seit Stunden im zementierten Vorgarten die Trauer aus dem Leib gesungen haben und nun immer zahlreicher werden. Singend, klatschend und frohlockend begleiten sie die Tote auf ihrem letzten Weg – die gewaltigen Hüften im Rhythmus schwingend, bis selbst Passanten bewegt schlucken und sich wünschen, eines Tages auch so betrauert zu werden. Keine Straßenkreuzung, die ohne das "Wir können nicht so weitersterben"-Banner der Baptisten oder das "Jesus ist unser Herr" der Unitarier auskommt. Am Gotteshaus fahren martialische Hummer-Geländewagen vor, Range Rover, Porsche-Cayenne und die neuesten BMW-Modelle: die Autos der "Bees" – jener schwarzen Aufsteiger, die dem "Black Economic Empowerment"-Programm entsprungen sind, der Politik zur Förderung schwarzer Geschäftsgründungen. Frauen entsteigen ihnen, die aussehen, als seien sie zum Pferderennen in Ascot unterwegs. Neben ihnen stehen Greise, deren Augen hinter dicken, milchigen Brillengläsern trüb geworden sind. Und eine alte Frau in Wollmütze, Schürze und Söckchen, auf denen ganz klein das Wort "free" zu lesen steht: frei.
Kinder werden wegen des Kindergelds gezeugt
Manche der Bees sind zu mächtigen ANC-Oligarchen angeschwollen, sie tragen Kaschmiranzüge und englische Schuhe: Männer, die aussehen, als hätten sie es nicht mehr nötig, zu gehen; als schöbe sich der Boden unter ihren Füßen zurück und brächte sie so zum Ziel. Dali Tambo, Sohn des verstorbenen ANC-Präsidenten Oliver Tambo, Mandelas engstem Mitstreiter, fährt in einem weißen Jaguar mit weißen Ledersitzen vor. Wie viele Oligarchen verdankt Dali Tambo seinen Reichtum den nützlichen ANC-Verbindungen, sie haben den ehemaligen Fernsehproduzenten an die Spitze einer Bergwerksgesellschaft katapultiert, die in Angola Diamanten abbaut. Die Bees können mir gestohlen bleiben und der ANC dazu, sagt Jack Moche, Vorsitzender der Nachbarschaftshilfe des 26. Bezirks von Soweto: "Real politics is on the ground" – wirkliche Politik ist die Arbeit vor Ort in Soweto. Dort, wo es ums Überleben geht, wo die Hälfte der Menschen arbeitslos ist, wo Kinder wegen des Kindergelds gezeugt werden. Früher habe der ANC gesagt: Ihr müsst das Land unregierbar machen, behaltet die Miete ein! Und heute sollen wir Grundsteuern bezahlen, weil es heißt: Schluss mit der Boykott-Mentalität! Aber wir waren früher arm und sind heute noch arm! Wer kein ANC-Mitglied ist, bekommt keinen Job, so einfach ist das, sagt Jack Moche.
Die Hälfte aller Menschen in Soweto stirbt an Aids
Pinky Tiro läuft mit einem Glas Erdnussbutter in der Hand durch ihr Büro in Orlando West, schiebt einen Löffel davon einem Kranken in den Mund, weil man die Aids-Medikamente nicht auf leeren Magen einnehmen darf. Pinky Tiro ist seit 16 Jahren HIV-positiv, sie hat einen Sozialdienst für Frauen und Kinder ins Leben gerufen, das "Youth and Women Empowerment Program", wie es in jenem sozialpädagogisch-missionarischen Duktus heißt, mit dem man in Soweto gegen den Tod und die Hoffnungslosigkeit der Kranken zu Felde zieht. Die Hälfte aller Menschen in Soweto stirbt an Aids, sagt Pinky. Wenn sie bei den Bestattungsunternehmern auftaucht, dann verstecken sie sich, weil Pinky wieder einen Sarg kostenlos haben will. Und das, obwohl sie in ihrem Perlenpullover und der violetten Brille wie ein Fernsehstar aussieht und nicht wie eine Getriebene, die den Siechen die Hand hält. Oft benachrichtigt man sie zu spät. Wenn der Sterbende sagt: Ruft Pinky, dann wissen die Verwandten Bescheid – und bitten sie, nicht auf der Beerdigung zu erscheinen.
Mord, Folterung und Entführung
In Soweto stirbt man nicht an Aids, hier stirbt man an Lungenentzündung oder an Tuberkulose. Und manche sehen im Tod auf Raten den einzigen Ausweg: Weil HIV-Infizierte erst ab einem bestimmten Anteil von Viren im Blut in den Genuss einer Behindertenrente kommen, tun sie alles dafür, um die Zahl der Viren zu erhöhen. Die Rente beträgt 850 Rand, das sind 85 Euro. Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer, sagt Pinky Tiro, Wilhelmina Mbele zum Beispiel, die HIV-positive Mutter zweier HIV-positiver Töchter. Sie lebt in einem der üblichen Streichholzschachtel-Häuser, vier Zimmer für acht Personen. Darunter Wilhelminas Sohn, der gesund ist und neuerdings eine Arbeit im Jabulani-Einkaufszentrum hat. Wilhelmina sagt von ihm, er sei "too much intelligent". Ihre Mutter lebt auch bei ihr, dazu die Schwester mit Mann und der trunksüchtige Vater, von dem die Mutter geschieden ist, den rauszuwerfen aber niemand in der Familie das Herz hat. Er darf nicht wissen, dass Wilhemina jeden Abend um neun und jeden Morgen um halb sieben ihren Töchtern die HIV-Medikamente verabreicht.
Mord, Folterung und Entführung
Der Trauergottesdienst in der Pfingstkirche dauert bereits mehr als eine halbe Stunde, als Winnie Mandela im Eingang erscheint, um sie herum vier Bodyguards und ein Kreis von Stille. In ihrem schwarzen Seidenkostüm sieht sie aus wie die Witwe eines mächtigen Herrschers, der noch immer alle Ehren ihres Ehemannes gebühren. Regungslos wie ein Monument steht sie da, eine Königin mit glatt gezogenen Haaren, die so lange im Eingangsportal wartet, bis man auf sie zukommt und sie auffordert, in der ersten Reihe neben den Ehrengästen Platz zu nehmen. Der Pastor dankt für die Anwesenheit von "Mama Mandela". Lächelnd erhebt sie sich und winkt der Trauergemeinde zu. Ein Halleluja geht durch die Reihen. Hier in Soweto hat man Winnie Mandela längst vergeben: Wir haben den Buren verziehen, warum sollen wir dann nicht auch Winnie verzeihen?, heißt es. 1991 stand die Exfrau des ersten schwarzen Präsidenten des Landes, Nelson Mandela, vor Gericht: wegen Morden und Folterungen, Entführungen und Vergewaltigungen, die von ihren Leibwächtern begangen worden waren, Mitgliedern des von ihr gegründeten "Mandela United Football Club".
Dorah Mtetwa glaubt nicht an den ANC, sie glaubt an sich. Und an die katholische Kirche. Als Dorah einmal in Soweto überfallen wurde und man ihr eine Pistole an die Schläfe hielt, da hat sie einen Rosenkranz gebetet. Getauft wurde sie als Methodistin, aber als sie zehn Jahre alt war, beschloss sie, zu konvertieren – nicht, weil ihr die Katholiken gottesfürchtiger erschienen, sondern weil diese, anders als die Methodisten, nicht von ihr verlangten, zum Gottesdienst im Rock zu erscheinen. Dorah ist 22 Jahre alt und wohnt mit ihrer Mutter in einer Mietskaserne, zwei Zimmer, Küche, Bad. Es ist nicht weit bis zur Jabulani-Shoppingmall – einer Straße, die einst als Kriegszone galt und die heute so aussieht, als befände sie sich in der amerikanischen Provinz, wo die Welt aus großen Parkplätzen, Kentucky-Fried-Chicken-Restaurants und Mimmo’s Pizza Place besteht. Sie ist ein filigranes Mädchen mit einem Körper in Modelmaßen, der bei vier verschiedenen Misswahlen prämiert wurde: bei Miss Südafrika, Miss Teen, Miss Soweto, zuletzt bei den Wahlen zur Miss-Five-Roses, veranstaltet von einem Teehersteller, der Dorah mit dem vierten Platz und 4000 Rand belohnte. 400 Euro, die sie umgehend auf ihr Sparbuch einzahlte. Dorah studiert Steuerrecht an der Soweto University, und ihr Traumziel ist es, Steuerberaterin zu werden.
Statt Kondome schützt Duschbad vor der Ansteckung
In diesem Moment hält vor der Kirche die gepanzerte Limousine von Jacob Zuma, jenem skandalumwitterten und zugleich höchst populären ANC-Politiker, der wegen Korruption vor Gericht stand – und wegen Vergewaltigung einer Bekannten, die HIV-positiv ist. Den Richtern erklärte Zuma, dass er sich mithilfe eines Duschbads statt eines Kondoms vor Ansteckung geschützt habe. Der Pastor ruft in die Kirche: Wir begrüßen das ANC-Mitglied Jacob Zuma, unseren zukünftigen Präsidenten!, und der schreitet lächelnd und Hände schüttelnd durch die Kirche zum Rednerpult. Zuma spricht auf Zulu, sehr kurze, sehr einfache Sätze – Sätze, die sich eignen, am nächsten Tag vom "Sowetan" zitiert zu werden. Die gesamte Nation, samt ANC, beweint diese Mutter, sagt Zuma. Die Frau, die vor euch liegt, hat Früchte hervorgebracht, um die man uns in der ganzen Welt beneidet! Jeder in Afrika kennt Yvonne Chaka-Chakas Musik! Seid stolz auf eure Familie! Seid stolz auf eure Nation!
Mit einem Bein im Grab stehen
Silence Dube ist ein stattlicher alter Herr, Freund und Clubkamerad von Jack Moche, dem Vorsitzenden der Nachbarschaftshilfe. Sie sitzen zusammen auf einer Polstergarnitur, die sich wie ein Gebirgszug durch Dubes Wohnzimmer zieht. Anders als Moche, der in einem bescheidenen Haus wohnt, lebt Silence Dube in einer Klinkervilla in Diepkloof Extension, "the rich man’s acre" – die Fluren der Reichen, wie dieser Stadtteil in Soweto genannt wird. Anstelle der winzigen Kastenhäuser stehen hier Backsteinschlösschen mit holzvertäfelten Garagentüren und Barockstatuen in den Vorgärten, futuristische Villen mit grünem Rasen anstelle des gestampften Lehmbodens. Silence Dube wohnt inmitten von Stuck, afrikanischen Masken und Pharaonenbüsten aus Porzellan. 1967 habe ich das letzte Mal für einen weißen Mann gearbeitet, sagt er. Er verkaufte erst Hühner, dann Eis, bis er als Taxi-Betreiber reüssierte; all das in jenen Zeiten, als nicht nur die Apartheid schwarzen Unternehmern das Leben schwer machte, sondern auch Radikale sie bedrohten, die jeden erfolgreichen schwarzen Geschäftsmann als Büttel der Weißen brandmarkten.
Afrikaans soll keine Unterrichtssprache werden
Silence Dubes Tochter verschwand an jenem Tag im Jahr 1976, an dem die Schüler von Soweto gegen die Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache demonstrierten – und der Schüler Hector Pieterson dafür mit dem Leben bezahlte. Soweto brannte, erzählt Dube, jeder fragte sich nur: Wo ist mein Kind? Als er nach Hause kam, stand seine jüngste Tochter weinend im Hof, sie hatte gesehen, wie ihre Schwester Kleider in eine Tasche gepackt hatte und verschwunden war. Ich wusste doch gar nicht, dass meine Tochter politisch aktiv war, sagt Dube. Die Buren hielten das für eine Lüge, schlugen ihn während der Verhöre zusammen und boten ihm Geld an, wenn er mit ihnen kollaborierte. Der Vater sollte seine Tochter erst drei Jahre später wiedersehen, in Botswana – wo sie wie viele andere ANC-Kämpfer im Exil lebte; später dann in Mosambik, Swasiland, in der Sowjetunion und in Kanada. Heute arbeitet die Tochter in Pretoria im Transportministerium.
Mit einem Bein im Grab stehen
Nichts sei den Menschen mehr heilig, sagt der Dominikanerpater Sikhosiphi Mgoza, der Pfarrer jener Gemeinde, in der die filigrane Dorah jeden Sonntag ihre Gebete singt. Beerdigungen seien für viele Sowetans nichts anderes als eine willkommene Gelegenheit, kostenlos reichlich zu essen und zu trinken. Sie fragen mich: Wo gibt es morgen ein Frühstück? Und meinen damit eine frühe Beerdigung. Eine späte Beerdigung bedeutet ein frühes Mittagessen. Und von den Friedhöfen werde alles gestohlen, was sich nur wegtragen ließe, Grabsteine, sogar Särge, alles würde weiterverkauft. Lebensweisheit fehle in Südafrika. Sicher, heute stünden den Menschen alle Möglichkeiten offen – junge Leute zum Beispiel könnten studieren, aber jetzt wollten alle alles auf einmal haben: den Führerschein und den Porsche und das prächtige Haus, vielleicht noch 15 Mädchen, mit denen sie abwechselndausgehen könnten. Mädchen auf dem Trip zum schnellen Reichtum, Mädchen, die bereit sind, alles zu tun. Doch, auch er predige Enthaltsamkeit, von der Kanzel. So verlange es der Vatikan. Aber wir befinden uns hier am anderen Ende der Welt, fährt Pater Sikhosiphi fort. Wir stehen mit einem Bein im Grab. Was soll ich denn sagen, wenn Mädchen schwanger werden, bevor sie 18 Jahre alt sind? Und was soll ich der Mutter sagen, die in den vergangenen zwei Jahren alle sechs Töchter begraben hat? Wie soll ich sie trösten? Soll ich ihr sagen: Gott liebt dich?
Meti Sophie Machaka, die Mutter der Sängerin, wird nicht neben den Helden von Avalon begraben, sondern auf dem feinen Friedhof von Roodepoort, der früher Weißen vorbehalten war. Vor dem offenen Grab steht ein Sonnenzelt mit der Aufschrift "Kupane Funerals"; unter ihm sitzen die Familienmitglieder wie eine Königsfamilie auf zierlichen Stühlen, die drei Töchter einander umarmend in der Mitte. Unbeeindruckt von der Sonne singen die alten Frauen. Die Bees, die neuen Reichen, drängen sich unter großen Schirmen zusammen wie scheue Vögel. Man blickt auf die Uhr, während Bleistiftabsätze langsam in der weichen Erde versinken. Als Wind aufkommt, kontrollieren die Frauen den Sitz ihrer Straußenfederhüte. Dann wird das Grab, wie in Südafrika üblich, von den Trauergästen zugeschaufelt. Junge Männer reißen sich ihre Jacketts vom Leib und drängen sich auf dem Erdhügel vor dem Grab. Totengräber, die sich gegenseitig die Schaufeln aus der Hand zerren, als gelte es, einen Rekord aufzustellen. Yvonne Chaka-Chaka hält die Hände ihrer Schwestern und blickt auf den Sarg ihrer Mutter. Die jungen Männer wirbeln Staub auf, gelblich rot steht er im Gegenlicht und steigt wie ein zitterndes Fähnchen aus dem Grab auf. Als der Staub in den Himmel steigt, machen die Bees einen Schritt beiseite.