GEO.de: Wie sind Sie auf das Thema gekommen? Haben Sie selbst mal ans Aussteigen gedacht?
Isadora Tast: Nein. Ich finde es aber wichtig, sich zu fragen, wie man am liebsten leben möchte. Das Leben muss nicht immer so straight sein, wie wir das kennen. Außerdem interessierten mich die Lebensgeschichten dieser Leute, die alles hinter sich gelassen haben.
Sie stellen in Ihrem Buch 41 Menschen vor. Wie haben Sie sie kennengelernt?
Die Recherche war schwierig - und zeitaufwändig. Insgesamt habe ich auf drei Reisen mehr als ein halbes Jahr in Indien verbracht. Ich bin in die Aussteigerorte gefahren und habe mich durchgefragt, habe mich in die einschlägigen Cafés gesetzt und Leute angesprochen. An jedem Ort war ich acht bis neun Tage.
Sie haben auch ältere Aussteiger porträtiert. Wie passen "aussteigen" und "alt sein" zusammen?
Erstaunlich gut. Ich glaube, dass alt sein in Indien sogar besser funktioniert als hier. Man hat dort mehr Respekt vor dem Alter. Und man ist auch nicht wirklich alt. Man geht auf Konzerte, ist sozial viel besser integriert. Finanziell ist das natürlich schwieriger. Die Älteren hatten in der Regel sehr wenig Geld ...
Außer, sie haben vorgesorgt ...
Ja, Andreas zum Beispiel. Der hat in Deutschland sehr sparsam gelebt und für sein Leben in Indien gespart. Und er zahlt weiterhin seine Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland. Das ist schon sehr deutsch - aber auch legitim. Da finde ich es eher merkwürdig, wenn Leute mit 20 aussteigen, für ihr Land nichts tun und erwarten, dass sie in ihrer alten Heimat kostenlos behandelt werden, wenn sie krank sind.
Welche Menschen haben Sie am meisten beeindruckt?
Am meisten beeindruckt haben mich, vielleicht weil ich kein Aussteiger-Typ bin, die Menschen, die sich auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind. Etwa die Familie der Schweizer Alain und Laurence. Die haben eine harmonische Beziehung, versorgen sich weitgehend selbst, leben sehr sparsam und wissen, dass sie auch etwas leisten müssen. Sie haben sich angepasst und integriert, so gut es geht.
Spannend fand ich auch die Begegnung mit der in Neuseeland geborenen Antoinette, die erst mit über 60 Jahren ausgestiegen ist - eine sehr abenteuerlustige Frau mit einer unglaublichen Vergangenheit. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie in Indien sterben wollte. Ihre Offenheit, Frische und Jugendlichkeit - das war einfach toll.
Ihr persönliches Fazit?
Vielleicht sollten wir ein bisschen furchtloser durchs Leben gehen, mehr darauf achten, was wir selber wollen, ohne dabei auf Kosten anderer zu leben. Und ... ich finde es schade, dass diese Leute keinen Platz bei uns haben. Ich würde mir wünschen, dass es hier ein bisschen bunter, lebendiger und verrückter zugeht.
Interview: Peter Carstens
Sie kommen aus Deutschland, England, Frankreich, Italien, Mexico, Aserbaidschan oder Kanada, die Menschen, die Isadora Tast für diesen Band porträtierte. Sie alle eint die Suche nach einem erfüllteren Leben. Die Fotografin porträtierte sie - und fragte sie, ob sich ihre Wünsche erfüllt haben.
Isadora Tast
Mother India: Searching for a place
Mit einem Essay von Christian Schüle
Peperoni Books, September 2009
144 Seiten, ca. 50 Farbabbildungen
Die Homepage der Fotografin: www.isadoratast.de
Mehr über das Buch auf der Homepage des Verlags: www.peperoni-books.de