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"Es gibt Länder, wo was los ist. Und es gibt: Brandenburg", singt der Kabarettist Rainald Grebe in seiner "Brandenburg-Ode", einem Spottlied, das ich oft im Autoradio gehört habe, wenn ich früher mit Freunden zur Ostsee fuhr. Aber da kannte ich – wie tausende anderer Berliner - das Bundesland noch nicht richtig. Das heißt: Ich kannte es nur vom Festland aus. Dann überredete mich ein Brandenburger Kanute, es vom Wasser aus zu erkunden. Auf einer traditionellen Wasserwanderroute, der "Großen Umfahrt", die von Vereinspaddlern schon vor dem Krieg unter den Kiel genommen wurde, aber lange ein Geheimtipp blieb.

Nun hat der "Tourismusverband Seenland Oder-Spree" sie belebt, ihr den Namen "Märkische Umfahrt" verpasst und eine Website mit Etappenbeschreibungen, Rastplätzen und Unterkünften entlang der Strecke lanciert. Das Verlockende daran: Berliner oder Berlin-Urlauber müssen nicht einmal ins Auto steigen, denn die Umfahrt führt direkt durch den Berliner Speckgürtel – etwa durch die Kleinstadt Erkner.
So steige ich in Berlin in die S-Bahn und stehe 40 Minuten später auf dem Bootssteg von "Kanusport Erkner", wo Neulinge Mietboote und eine Einweisung in die Paddeltechnik erhalten. Ich mache mich in meinem roten Marathon-Kajak auf den Weg, mit dem ich die auf elf Tage ausgelegte Strecke in sieben bewältigen kann. 200 Kilometer auf dem Wasser liegen vor mir, über Flüsse, Kanäle und Seen.
Nach einem sturmumtosten Beginn auf dem Dämeritzsee geht es erst in den Gosener Graben, ein schmales Flüsschen, das sich durch einen Urwald windet. Widerstandslos lässt sich das Paddel durch das moosgrüne Wasser ziehen. Hinter einer Kurve liegt eine Erle quer im Wasser. Da hilft nur eins: auf den Stamm klettern und das voll beladene Boot auf die andere Seite hieven!
Willkommen Märkische Umfahrer!
Auf dem waldumsäumten Seddinsee schwappen bei Windstärke sieben Wellen über den Bug, mit Wucht rüttelt der Wind am Paddel. Erst hinter Schmöckwitz lässt er nach. Am rechten Ufer des Zeuthener Sees reiht sich eine Jahrhundertwende-Villa an die andere, und im Hafen von Königs Wusterhausen ragen Kräne übers Wasser, die Schüttgutfrachter entladen. Es rattert, pocht, summt. Kurz vor der Alten Schleuse wird es still.
Auf einem Pflock am Ufer thront ein Graureiher, ein Ruderachter zieht vorbei, und ein Schild am Wasser spricht uns an: "Märkische Umfahrer, herzlich willkommen!" Das haben die Hotzans aufgestellt. In ihrem Gartenbungalow verbringe ich die erste Nacht - und den Morgen auf der Terrasse mit Blick aufs Wasser.
Die Märkische Umfahrt
Tag zwei steht ganz im Zeichen der Dahme, die breit durch Berlins Osten fließt, aber hier, im Landkreis Dahme-Spree, noch ein verträumtes Flüsschen ist, für Motorboote nicht geeignet. Wir paddeln an Wiesen mit kniehohem Gras vorbei, an lichten Wäldern. Leiser Wind kreppt das Wasser, und das Licht der Abendsonne funkelt darin wie tausend kleine Kristalle. Im Dorfkern von Märkisch Buchholz ist das Kopfsteinpflaster bucklig, in den Gärten blühen die Stockrosen.
Am folgenden Nachmittag erreiche ich Leibsch, das "Tor zum Spreewald." Der ist zwar als Paddelrevier viel berühmter, dafür aber so überfüllt, dass man im Sommer vor lauter Booten kaum noch Wasser sieht. Deswegen bin ich froh, weiter nach Osten zu fahren, über stille Seen und die Spree. In Beeskow mit seiner mittelalterlichen Burg läute ich den Abend mit einem Bier unter den Sonnenschirmen der "Kirchenklause" ein, mit Blick auf die gotische Marienkirche.
Später schlendere ich durch die engen Gassen des Fischerkiezes an der Stadtmauer entlang zur Spree. Ich setze mich auf den Steg eines alten Flussbades und schaue zu, wie ein mohnroter Sonnenball ins Wasser taucht. Die nächste Etappe ist schweißtreibend - nicht nur wegen der Hitze, sondern vor allem wegen der Schleuse, die per Hand betrieben werden muss. Eine Handschleusung ist ein Kraftakt: In die Kammer einfahren, das Boot anbinden, über die Leiter an der Spundwand hochkraxeln, das offene Schleusentor mit einem Schwungrad herunterkurbeln und eine Handkurbel drehen, bis Wasser in die Kammer strömt. Ist der Pegelstand angeglichen, stoppt der Zustrom. Ich kurble das hintere Tor wieder hoch, steige die Leiter hinab und ins Boot, das ich mit einem kräftigen Paddelschlag aus der Schleuse befördere.
Mein Nachtquartier, das Forsthaus an der Kersdorfer Schleuse, ist ein Ort mit dunkler Vergangenheit: Hier bereitete die Stasi ab 1980 geflüchtete RAF-Terroristen auf ihr neues Leben als DDR-Bürger vor. Das Backsteingebäude aus dem 18. Jahrhundert übernahm die Stasi 1969, stattete es mit Bunkern, Hundezwinger und Wohnbaracken aus und erklärte den Wald ringsherum zum Sperrgebiet. Die Umbauten überdauerten die Wende. Ihre Geschichte wird heute auf der Speisekarte des Forsthauses erklärt.
Zumindest der Beobachtungsposten hat einen Bedeutungswandel erfahren: Er ist nun ein Romantikspot, wo Pärchen händchenhaltend übers Wasser schauen. Von Hangelsberg, einem Dorf, das zwischen Wald und Fluss in den Sommer döst, geht es am letzten Tag auf die Müggelspree. Die war zu DDR-Zeiten begradigt und reißend schnell, jetzt mäandert sie renaturiert durch die Auen. 26 Kilometer sind es bis Erkner, ein langer Endspurt im Regen. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, muss ich an Rainald Grebes Ode denken. Und daran, wie angenehm es ist, dass es noch ein paar Ecken in Deutschland gibt, wo nicht ständig Trubel herrscht. Und man einfach in die Stille eintauchen kann - mit jedem Schlag des Paddels.
Infos
Märkische Umfahrt
200-Kilometer-Rundkurs über Dahme,Spree und zahlreiche Seen. Geringe Strömung, keine besonderen Schwierigkeiten, nur ein paar Handschleusen.
Start: entweder Erkner (Berliner S-Bahn-Ring) oder Beeskow (www.maerkischeumfahrt.de).
Für Anfänger empfehlen sich Tagesetappen, etwa die Seenroute von Erkner nach Königs Wusterhausen (18 km), von Prieros nach Märkisch-Buchholz auf der Dahme (14 km) oder auf der Müggelspree von Hangelsberg nach Erkner (26 km).
Wasserfeste Karten gibt’s via Internet (www.juebermann.de) oder beim Tourismusverband Seenland Oder-Spree (www.seenland-os.de). Der bietet auch elftägige Pauschaltouren inkl. Boot, Unterkünften und Verpflegung an.
Übernachten
Helga Hotzan: Vermietet einen Bungalow in einem idyllischen Garten in Königs Wusterhausen. Fasanenweg 22, Tel. 03375-29 01 02, www.ferienhaus-hotzan.de; 37 Euro für 2 Personen
Spreepark: Moderne Ferienwohnungen in einer ehemaligen Fabrik in Beeskow nebst bestens ausgestattetem Zeltplatz. Bertholdplatz 6, Tel. 03366-52 06 40, www.spreepark-beeskow.de; FeWo ab 45 Euro
Forsthaus an der Spree: Bei Briesen an der Kersdorfer Schleuse einsam im Wald gelegen. Einfache Zimmer, gute Küche. Am Bunten Schütz 3, Tel. 033607-5 99 15, www.forsthausspree.de; DZ/F 44 Euro
Kanu-Sport-Spree: Apartment, Zeltplatz, Tipi oder Matratzenlager. Kanuvermietung und-transport. Grünheide, Bahnhofsstr.1, Tel. 033632-67 97 14, www. kanu-spree.de; Apt. für 2 Personen ab 50 Euro
Camping am Mühlenfliess: Prieros, Tel. 033768-5 08 99, www.prieros-camping.de
Kanuvermietung
Kanusport Erkner: Friedrichstr.1, Tel. 03362-50 23 16, www.kanusport-erkner.de
Kanusport Dahmeland: Märkisch-Buchholz, Eisenbahnstr.12, Tel. 033765-8 05 07, www.kanusport-dahmeland.de
Albatros Outdoor: Beeskow, Bertholdplatz 6, Tel. 03366-15 33 75, www.albatros-outdoor.de