Indischer Ozean Verknallt in Mauritius: Die Honeymoon-Insel jenseits der Resortmauern

Von Harald Willenbrock
Indischer Ozean: Verknallt in Mauritius: Die Honeymoon-Insel jenseits der Resortmauern
© mauritius images / Westend61 / Martin Moxter
Mauritius gilt als eine Art XXL-Club für Frischverliebte und Flitterwöchler. Dabei wartet abseits der Luxushotels erst der wahre Honeymoon. Selbst Hardcore-Singles verlieben sich hier garantiert neu – und zwar in die Insel selbst

Im Pampelmousses Botanical Garden hat es uns dann doch erwischt. Gerade noch hatte uns der beflissene Parkführer den Unterschied zwischen Fächer- und Talipotpalme ("Blüht nur einmal in 40 Jahren!") erklärt, als er uns kurzerhand zwischen zwei Palmen bugsierte und aufforderte, zwei Zweige so zusammenzubiegen, dass sie ein Herz bilden. "And now: kiss!", befahl er und zückte sein Handy, genau so, wie er es vermutlich tagtäglich mit Dutzenden Urlauberpaaren anstellte. Widerstand: zwecklos. Motiv: superkitschig. Unser Foto-Gesichtsausdruck: Etwa so, als hätten wir uns beim mittäglichen Fishcurry übel den Magen verrenkt.

Genau deswegen waren wir nicht hergekommen. Meine Frau und ich sind bereits eine wunderbare Ewigkeit zusammen und waren nicht zum Honeymoon-Hotspot gereist, um jeden Urlaubstag mit einem Candle-Light-Dinner zu beschließen. Wir waren auch nicht auf der Flucht vor einer Hochzeitsgesellschaft, sondern lediglich vor dem deutschen Winter. Und nachdem wir mit unseren Kindern viele Ferien in Klubs und anderen Bespaßungseinrichtungen verbracht hatten, die überaus praktisch sind, wenn man eine vielköpfige Familie in Schach und bei Laune halten muss, sehnten wir uns jetzt nach einem entdeckungsreichen, entspannten Ziel in der wärmeren Hälfte der Erde, das wir auf eigene Faust erkunden konnten. Unser Plan: Mauritius, ganz ohne Resort, Reiseleiter und Romantikduselei. Was natürlich in etwa so ist wie Venedig ohne Markusplatz, Dogenpalast und Gondelfahrt.

Wie ist die Lage? Normalerweise bestens! Mauritius’ Standortvorteil ist immer glasklar gewesen: türkisfarbenes Wasser, das an eine rund 330 Kilometer lange Traumküste schwappt, etwa bei Le Morne im Südwesten oder Centre de Flacq im Osten. Im August aber zerbrach ein Ölfrachter ausgerechnet in diesem Paradies. Ein Desaster, von dem sich Korallen, Mangroven und Seepferdchen bis heute erholen
Wie ist die Lage? Normalerweise bestens! Mauritius’ Standortvorteil ist immer glasklar gewesen: türkisfarbenes Wasser, das an eine rund 330 Kilometer lange Traumküste schwappt, etwa bei Le Morne im Südwesten oder Centre de Flacq im Osten. Im August aber zerbrach ein Ölfrachter ausgerechnet in diesem Paradies. Ein Desaster, von dem sich Korallen, Mangroven und Seepferdchen bis heute erholen
© mauritius images / Artem Firsov / Alamy / Alamy Stock Photos

Es war, wie sich herausstellen sollte, eine der besten Entscheidungen seit unserer Eheschließung. Das wurde uns wieder einmal bewusst, als wir bei Roger de Spéville auf den Hof rollten. Obwohl das, zugegeben, nicht ganz einfach ist: Um zu Rogers Öko-Lodge "La Vieille Cheminée" im wilden Südwesten der Insel zu gelangen, muss der Gast nach einer kilometerlangen Kurvenfahrt durch den Black River Gorges National Park ein sich surrend öffnendes Farmgatter passieren und weitere Serpentinengurkerei über steile Feldwege hinter sich bringen, bis unser schlammbespritzter Mietwagen schließlich vor einem verwitterten Holzschild mit der Aufschrift "Rezeption" zum Stehen kam.

Übernachten

La Vieille Cheminée

Die 80 Hektar große Öko-Farm hat sechs Selbstversorger-Lodges und eine Handvoll Pferde, die für Ausritte bereitstehen. Wer mag, kann bei der Ananas- und Bananenernte helfen. Chamarel, Black River National Park, lavieillecheminee.com, DZ ab 140 €


The Bay

Direkt am Strand übernachten? Dieses kleine Boutiquehotel an der Westküste macht’s möglich. Zwischen Gästezimmern und Strand liegen nur wenige Meter, ein Outdoor-Restaurant mit Fusion-Küche und ein kleiner Pool. Ideal zum An- und Runterkommen auf der Insel. La Preneuse, Westküste, thebay.mu, DZ ab 120 €


Otentic Eco

In den zwölf Zelten dieses Öko-Camps fühlt sich Glamping richtig nachhaltig an. Zum Frühstück gibt’s Obst aus dem Öko-Garten, die Energie kommt von der Sonne. Deux Fréres, Ostküste, otentic.mu, Zelt ab 150 €


Le Jardin de Beau Vallon

Ehemalige Plantagenverwaltervilla, fünf Autominuten vom Flughafen. Auf der Veranda werden hervorragende vegetarische Currys serviert. Fünf einfache Pavillons für Gäste. Mahebourg, Ostküste, DZ 70 €

In den Bäumen schnatterten Sittiche, eine Handvoll Geckos verdrückte sich raschelnd im Gebälk, als wir die Rezeptionsklingel betätigten, und hinter dem Haus grasten frei laufende Pferde, die uns in den nächsten Tagen in unserer Unterkunft immer wieder einen Besuch abstatten sollten. Die entpuppte sich als eine von einem tropischen Garten umwucherte Remise, geschmackvoll eingerichtet und höchst luxuriös, sofern man selbst gepflückte Bananen zum Frühstück, einen Regenwasserpool in Fußmarschentfernung und ein wild grünes Tal drum herum, das sich zu Fuß oder auf dem Pferderücken durchqueren lässt, als Luxus empfindet. So wie wir. Kurzum: "La Vieille Cheminée" war die denkbar authentische Antithese zur durchorganisierten Welt der Resorts, die sich an Mauritius‘ Nordwestküste aneinanderreihen wie die Korallen eines El-Niño-verschonten Riffs.

Kurioserweise ist der Gastgeber selbst ein Kind dieser Klubwelt. Roger de Spéville – Basecap, verschwitztes T-Shirt, Gummistiefel, Abkömmling einer alteingesessenen mauritischen Familie – war fast vier Jahrzehnte lang Marketingmanager bei der lokalen "Beachcomber"-Resortkette. "Wenn meine Frau und ich privat gereist sind, haben wir aber immer in kleinen Hotels und Pensionen gewohnt", erklärt der mittlerweile pensionierte "Vieille Cheminée"-Chef. Nebenbei legten sich die de Spévilles eine 80 Hektar große verlassene Zuckerrohrfarm zu, auf der sie 2000 Bäume pflanzten, Wander- und Reitwege zogen, Schafe, Hühner und Gänse ansiedelten und sich am Öko-Landbau versuchten. "Das Ganze ist ein großes, fortlaufendes Experiment", sagt der schlaksige Jungfarmer, und als Gast in einer der sechs komfortablen Selbstversorger-Bungalows ist man ein Teil der Versuchsanordnung.

Ein Makake am Viewpoint des Black River Gorges National Park
Ein Makake am Viewpoint des Black River Gorges National Park
© mauritius images / Zoonar GmbH / Alamy

Wer hier nicht selbst kochen mag, kann sich von Frauen aus dem benachbarten Dorf Tabletts mit farmeigener Ananas und "Rougail Saucisses", der kreolischen Schwester der Currywurst, vor die Hüttentür stellen lassen. Meist ist man danach so satt, dass man sich nur mühsam zum Lodge-Pool schleppt, der auf dem höchsten Punkt des Anwesens thront. Wer es schafft, wird dort mit einem spektakulären Ausblick über eine grüne, selten schöne Insel belohnt.

Mauritius ist ja bekannt für Dinge, die selten (Mauritiusfalke), sehr selten (Briefmarken mit Fehldruck) oder sogar komplett verschwunden sind wie der flugunfähige Dodo, der gar nicht so schnell wegwatscheln konnte, wie ihm ausgehungerte holländische Seefahrer im 17. Jahrhundert den Vogelhals umdrehten. Und auch wir lernen das einsame Eiland für einiges schätzen, das hier Seltenheitswert genießt: Der sonst unvermeidliche Plastikteppich im Meer und an Land, Malariamücken oder andere fiese Viecher, vor denen man sich in Acht nehmen müsste, fliegende Händler, die einem permanent etwas ab- oder aufschwatzen wollen, offensichtliche Armut und damit das ebenso ungute wie berechtigte Gefühl, als europäischer Reisender irgendwie fehl am Platz zu sein: Fehlanzeige. Im Wohlstandsindex der Vereinten Nationen belegt Mauritius nach den Seychellen den höchsten Rang aller afrikanischen Staaten; die Lebenserwartung der 1,2 Millionen Mauritier ist die höchste aller Länder südlich der Sahara, die Geburtenrate die niedrigste. Zu seiner Natur wie zu seinen Menschen, so unser Eindruck, verhält sich der Inselstaat ausgesprochen freundlich.

Essen

Cabane de la prisedu pecheur

In einer Hütte am Strand von Trou aux Biches kochen zwei Freundinnen lokale Spezialitäten wie Garnelen mit kreolischer Soße. Gegessen wird auf Klappstühlen im Schatten eines Baumes, der ebenso groß ist wie die Kochkunst der Inhaberinnen. Strand von Trou aux Biches, Nordwestküste


Wapalapam

Klingt wie ein Witz: Eröffnet ein slowenischer Ex-Snowboard-Profi zu Füßen des Le Morne ein lässiges Bar-Restaurant mit kreolisch-indischer Küche. Spezialität: Thunfisch-Salat mit Seesternrogen. Köstlich! Kein Witz. La Gaulette, Südwestküste

Für Besucher wie uns bedeutet das, dass sie sich voll und ganz auf das Besuchen konzentrieren können. Die sympathische Entspanntheit der Insulaner hatten wir schon auf dem Weg zu Roger kennengelernt, als wir bei unserer Serpentinenfahrt durch den Black River Gorges National Park plötzlich Flughunde in den Bäumen ausmachten. Während ich unseren Mietwagen Richtung Flughunde lenkte, setzte sein Chassis plötzlich mit verdächtigem Knurks auf dem hohen Fahrbahnrand auf. Mit frei drehendem Vorderrad hingen wir bewegungsunfähig fest wie eine auf den Rücken gedrehte Schildkröte. Viel Zeit für Vorwürfe zwischen Fahrer und Ehepartnerin blieb allerdings nicht, denn bereits wenig später parkte eine Handvoll vorbeikommender Bus- und Taxifahrer ihre Wagen neben unserem und machte sich mit Wagenhebern und leisen Kommandos an ihm zu schaffen. Alles ebenso selbstverständlich wie fachkundig (offensichtlich war ich nicht der Erste, der sich so dämlich anstellte). Abweisend wurden unsere Helfer nur ein einziges Mal, als ich nach geglückter Befreiung unseres Wagens das Portemonnaie zücken wollte. "Mauritische Gastfreundschaft!", wehrten sie ab, stiegen in ihre Autos und verschwanden freundlich lächelnd hinter der nächsten Serpentine.

Eine Woche Mauritius kann leicht so viel wie ein Kleinwagen kosten. Muss aber nicht. Im "Angsana Balaclava" und erst recht jenseits der Resorts liegt man deutlich darunter
Eine Woche Mauritius kann leicht so viel wie ein Kleinwagen kosten. Muss aber nicht. Im "Angsana Balaclava" und erst recht jenseits der Resorts liegt man deutlich darunter
© mauritius images / Hemis.fr / MONTICO Lionel

Was für eine eigene Welt die abgelegene Exkolonie – 1800 Seekilometer vom afrikanischen Festland, fast ebenso viele von den Seychellen entfernt – bildet, wurde uns ein paar Tage später erneut bewusst. Wir waren inzwischen in den "Jardin de Beau Vallon" umgezogen, eine ehemalige Plantagenverwaltervilla im Südstaaten-Stil, in deren weitläufigem Garten fünf Holzhütten für Übernachtungsgäste bereitstehen. Von hier aus waren wir ein Stück die Küste hochgefahren, um mit einer kleinen Truppe Neugieriger ins Mauritius der vorkolonialen Zeit zurückzukehren. Ein Motorboot der Mauritian Wildlife Foundation brachte uns hinaus auf die Île Aux Aigrettes, die seit 1985 von den Wildhütern der Naturschutzorganisation gepflegt wird. Die hatten zunächst ortsfremde Pflanzen, Ratten und Katzen ausgesiedelt, um die 26 Hektar kleine Insel sodann mit allerlei Pflanzen- und Tierarten zu besiedeln, die auf dem Festland vom Aussterben bedroht sind. Dass ausgerechnet in der Nähe ein japanischer Frachter zerbrach, tonnenweise Öl ins Meer lief – ein größter anzunehmender Unfall. Denn eigentlich ist die Île Aux Aigrettes etwa so, wie man sich Mauritius vorstellen darf, als hier 1598 der erste Europäer ans Ufer stapfte: komplett menschenleer, dafür voller Mauritius-Brillenvögel und Webervögel, Rosentauben und Flughunden. Ältester Inselbewohner ist eine Aldabra-Riesenschildkröte namens George, die deutlich mehr als 100 Jahre auf dem Panzer hat und sich von uns geduldig tätscheln ließ. Für einen 53-Jährigen wie mich höchst erfreulich: Endlich mal jemand, der noch älter und noch langsamer ist – und gerade deshalb von allen bewundert wird. Wenn man mit der Gelassenheit einer Riesenschildkröte auf die Welt blickt, ist man auch gleich viel zuversichtlicher, was die Folgen einer Tankerkatastrophe angeht.

Erleben

Île aux Aigrettes

Auch die Mauritian Wildlife Foundation ist durch den Ölunfall im Großeinsatz. Sie kann durch Spenden unterstützt werden – und organisiert Touren zum Wildlife-Reservat. Startpunkt: der Anleger Pointe Jérome. www.mauritian-wildlife.org


Le Morne

Der charakteristische Fels ist im ganzen Südwesten (und gefühlt auf jeder zweiten Mauritius-Postkarte) zu sehen. Mindestens so eindrucksvoll wie sein An-blick ist der Ausblick. Besteigen kann man den 556 Meter hohen Felsen auf eigene Faust oder in Begleitung der Führer von Yanature. trekkingmauritius.com


Pamplemousses Botanical Garden

Angeblich die beste Grünanlage der Welt nach Kew Gardens, definitiv ein Touristen-Hotspot, dennoch einen Besuch wert. Must-see sind die Amazonas-Riesenseerosen. Da es kaum schriftliche Infos gibt, am besten vor Ort einen Guide buchen.

In den folgenden drei Wochen vollführten wir einen großen Bogen um die Touristenzentren von Grand Baie im Norden und Bel Ombre im Südwesten, ließen Resorts, Rumdestillerien und auch die Hauptstadt Port Louis links liegen. Es gab ja so viel anderes zu tun. Wir schnorchelten in der Lagune von La Preneuse mit Drücker- und Doktorfischen, Muränen und silberglänzenden Nadelfischen, die vor uns in die Korallen abflitzten. Wir aßen die wohl abwechslungsreichsten Currys unseres Lebens. Wir schnauften auf den Le Morne Brabant hinauf, den 556 Meter hohen Hausberg der Insel – und zwar, wie es sich für Touristen gehört, in der Mittagshitze. Die folgenden Tage verbrachten wir daher mit dem Versuch, unsere durchgeschwitzten Klamotten zu trocknen, was bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit und häufigen Regengüssen total aussichtslos war.

Ein schillernder Ornament-Taggecko auf der Île aux Aigrettes
Ein schillernder Ornament-Taggecko auf der Île aux Aigrettes
© mauritius images / Loop Images / Eric Nathan

Die sonnigeren Tage unserer Reise verplemperten wir im "The Bay". Das schneeweiße Boutiquehotel an der Lagune von La Preneuse im Südwesten der Insel erfüllte perfekt unsere Bedingung Nr. 1 an eine Strandunterkunft: Man gelangt barfuß vom Bett ins Meer und zurück. Abends saßen wir hier fachsimpelnd mit den Fischern am Strand, blickten dem Sonnenuntergang hinterher und ließen uns von ihnen erklären, was wir gerade schnorchelnd gesehen, aber nicht erkannt hatten. Als alles gesagt war, liehen wir uns ihr Seekajak für eine Spritztour durch die Lagune.

Im türkisblauen Wasser dümpelnd, fragten wir uns, wieso man sich eigentlich an irgendeinem Resortpool um Liegen rangelt, wenn man doch den weitläufigsten aller Pools vor der Haustür haben kann.

Erschienen in GEO Saison Nr.05 (2021)