Bewegender Moment Wal-Experte filmt erstmals einen sterbenden Orca

Der Orca-Bulle "Hunchy" kämpft um sein Leben
Der Orca-Bulle "Hunchy" kämpft um sein Leben
© Pierre Robert de Latour
Eigentlich sollte es eine ganz normale Whalewatching-Tour werden. Doch dann wurde Pierre Robert de Latour Zeuge der letzten Momente im Leben eines Orcas. Er kannte das Tier seit Jahren

Orcas, auch Killerwale genannt, kennen die meisten Menschen als schlaue Kraftpakete. Sie erbeuten Robben, die am Strand oder auf Eisschollen liegen, greifen Wale an, die um ein Vielfaches größer sind als sie selbst – und auch Weiße Haie nehmen Reißaus, wenn sie Orcas in der Nähe bemerken. Doch auch die vor Vitalität strotzenden Top-Prädatoren der Ozeane werden einmal alt und schwach. Und sterben irgendwann. Beobachtet wurde das allerdings noch nie. Nun ist es einem Wal-Experten erstmals gelungen, die letzten Momente im Leben eines Orcas zu filmen.

Erstmals sterbender Orca gefilmt
Erstmals sterbender Orca gefilmt
© (c) Pierre Robert de Latour

Pierre Robert de Latour beobachtet seit 20 Jahren Orcas vor der nordnorwegischen Küste. Am 6. November wurde er an Bord eines Whalewatching-Boots Zeuge einer ungewöhnlichen Szene: Ein erwachsener Orca schwamm nördlich der Insel Loppa auffällig an der Oberfläche, begleitet von zwei jüngeren Tieren. "Es war offensichtlich, dass er Schwierigkeiten hatte", sagt de Latour. Wie sich herausstellte, handelte es sich um den etwa 35-jährigen Bullen "Hunchy". Der Name bezieht sich auf den gekrümmten Rücken des Tieres (engl. hunch = Buckel). Den Orca-Bullen und seine Gruppe kennt de Latour seit acht Jahren.

Offensichtlich versuchten die Jungtiere, den alten Bullen an der Oberfläche zu halten, damit er atmen konnte, sagt de Latour. Doch nach etwa 50 Minuten gaben die beiden auf und schwammen zu ihrer Gruppe zurück, die sich in der Nähe aufhielt. In einem kleineren Boot näherte sich de Latour der Szene vorsichtig und filmte mit seiner Unterwasserkamera. Das Video zeigt, wie der Bulle versucht, in der Horizontalen zu bleiben und nicht abzusinken.

Doch er sinkt unaufhaltsam. Schließlich scheint er aufzugeben. De Latour berichtet, dass der Wal auf ihn einen abgemagerten Eindruck gemacht habe. Offenbar hatte er schon seit Tagen oder Wochen nichts mehr gefressen. Es sei eine emotionale Situation für ihn gewesen, berichtet de Latour sichtlich bewegt. "Ich sehe immer noch den riesigen Körper in die Tiefe sinken."

Todesursache ist unklar

Orcas können rund 15 Minuten unter Wasser bleiben, ohne zu atmen. Wenn sie ruhen, kommen sie dagegen jede Minute an die Oberfläche. Fehlt einem Tier die Kraft, sich an der Oberfläche zu halten, muss es ertrinken.

Gleichwohl ist nicht klar, ob tatsächlich die letzten Momente im Leben des Orcas zu sehen sind: Eine weitere Gruppe von Whalewatchern, die eine oder zwei Stunden später an derselben Stelle eintraf, fand den Bullen wieder in der Nähe der Oberfläche. Unklar blieb, ob er es aus eigener Kraft noch einmal an die Oberfläche geschafft hatte – oder ob die beiden Helfer zwischenzeitlich noch einmal erschienen waren.

Die bis zu zehn Meter großen männlichen Orcas erreichen im Schnitt ein Lebensalter von 30 Jahren. Die kleineren Weibchen werden in der Regel 50 Jahre alt, in Ausnahmefällen sogar mehr als 90 Jahre. Woran "Hunchy" gestorben ist, muss wohl im Dunkeln bleiben. Zur Feststellung der Todesursache wäre ein Obduktion notwendig.

Dass Orcas versuchen, Artgenossen an der Oberfläche zu halten, ist gut dokumentiert. So stupsen Mütter ihre Neugeborenen an die Wasseroberfläche, damit sie ihren ersten Atemzug tun können. Und offenbar trauern die Tiere auch um tote Artgenossen. Eine Orca-Mutter trug ihr tot geborenes Baby mehr als zwei Wochen lang mit sich herum.