Fake Rescues Inszenierte Rettungen auf Social Media: Wie Tiere für Likes leiden

Die A-R-E-Methode: So erkennen Sie Fake Rescues im Internet
© SMACC, Screenshot aus einem Social-Media-Video
Foto: SMACC, Screenshot aus einem Social-Media-Video
Katzen, die von Bahngleisen oder vor dem Ertrinken gerettet werden, Affenbabys, die in letzter Sekunde dem Würgegriff einer Schlange entkommen: In den sozialen Netzwerken kursieren Hunderte Videos vermeintlich heldenhafter Tierrettungsaktionen. Ein Report zeigt: Viele sind inszeniert, die Tiere werden für die Aufnahmen gequält

Ganz allein liegt das Kätzchen mit dem beigefarbenen Fell auf den Bahngleisen im Schotter des Gleisbetts. Die Beine zu schwach, um den Körper zu tragen, die Pupillen geweitet, die Muskeln bewegungslos. Es ist offensichtlich: Der Katze in dem in sozialen Medien verbreiteten Video geht es schlecht. So schlecht, dass sie sich nicht aus eigener Kraft befreien kann aus ihrer lebensbedrohlichen Lage. Denn jede Sekunde droht ein Zug heranzudonnern und sie zu überrollen. 

Doch in letzter Minute naht Rettung. Ein Mensch wird auf die Katze aufmerksam, streicht ihr beruhigend über das Fell, hebt sie aus dem Gleisbett, lässt sie sogar medizinisch versorgen und päppelt sie wieder auf. Zum Schluss zeigt das Video eine wohlgenährte und putzmuntere Katze. Ende gut, alles gut.

Wären da nicht einige Dinge, die stutzig machen. Da ist die Hand der Person, die die Katze aus dem Gleisbett rettet, die exakt derselbe Ring ziert wie die Hand der vermeintlichen Tierärztin. Da ist das zunächst lethargische Tier ohne Reflexe, das dann mit zitterndem Kopf zu erwachen scheint und plötzlich zu einer munteren Katze mutiert – was Veterinären zufolge darauf hindeuten könnte, dass die Katze zu Beginn betäubt war. Und untersucht man das Profil der Person, die das Video gepostet hat, fällt auf, dass sie auffallend häufig auf in Not geratene Katzen trifft – die vor der Rettung stets ausgiebig gefilmt werden. 

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Der Verdacht liegt nahe: Die herzerwärmende Rettung ist nicht echt. Sie wurde eigens inszeniert, um Klicks oder gar Spenden zu sammeln. Dass das Tier dafür leiden musste: scheinbar nebensächlich. Mehr als 600 solcher inszenierten Rettungen hat das Bündnis "Social Media Animal Cruelty Coalition" (SMACC), ein Zusammenschluss mehrerer Tierschutzorganisationen, online gefunden. Dafür haben Freiwillige drei Monate lang das Netz nach Rettungsvideos durchforstet und sie auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft. Das nun in einem Bericht veröffentlichte Ergebnis: Vor allem auf Facebook werden Videos von Fake Rescues veröffentlicht, aber auch auf Tiktok, Youtube und Instagram sind sie zu finden. Insgesamt haben Nutzer die Filme mehr als eine halbe Milliarde Mal angeklickt. 

Tiere werden bei Fake Rescues traumatisiert und verletzt – oder sterben gar 

"Fake Rescues sind eine besonders perfide Form von Tierleid in den sozialen Netzwerken, weil Tiere massiv gequält werden, damit eine Rettung inszeniert werden kann", sagt Wiebke Plasse von der an dem Bericht beteiligten Welttierschutzgesellschaft. "Der akute Stress, der damit einhergeht, birgt nicht nur das Risiko schwerer Verletzungen oder gar des Todes, sondern kann auch die geistige und körperliche Gesundheit der Tiere unmittelbar oder langfristig stark beeinträchtigen", schreiben die Autorinnen und Autoren des Berichts. Sie vermuten, dass für einen umgekehrten Vorher-Nachher-Vergleich zunächst gesunde Tiere gefilmt und dann misshandelt werden, um sie "retten" zu können. 

Je flauschiger und putziger ein Tier ist, desto eher läuft es offenbar Gefahr, für eine inszenierte Rettung gequält zu werden. 92 Prozent der Tiere in den Videos sind Säugetiere; besonders häufig sind Katzen darunter, aber auch Hunde und Primaten – sogar fünf vom Aussterben bedrohte Arten. 

Meist sieht man die Tiere in akuten Gefahrensituationen: Sie stecken in Plastiktüten fest, werden auf Bahngleisen und Müllhalden gefunden oder vor dem Ertrinken bewahrt. Sie werden vor dem Angriff eines anderen Tiers beschützt oder unprofessionell medizinisch behandelt, vermeintlich wiederbelebt, oder ihr Körper wird von unnatürlich vielen Parasiten befreit. Und immer hält die Kamera quälend lange auf die leidenden Geschöpfe.

Wie sich Fake-Videos enttarnen lassen

Anhand einer Checkliste überprüfte das Team der Tierschutzorganisationen, ob es sich um echte Rettungsaktionen oder nur um Inszenierungen handelte: Zeigten die Videos unrealistische Szenarien, etwa dass ein Tier vor dem Angriff eines anderen gerettet wird, dem es in freier Wildbahn nie begegnen würde? Oder wurde das Tier aus einer Situation befreit, in die es ohne menschliches Zutun gar nicht geraten wäre? Wie ein Makake und eine Kröte gemeinsam in das Innere eines Ventilators gelangt sein sollen, ist jedenfalls rätselhaft.   

Auffällig ist auch, wenn ein Profil mehrere Videos von Rettungsaktionen zeigt, ein und dieselbe Person immer wieder "zufällig" auf Tiere in Not trifft oder sogar immer wieder dasselbe Tier "rettet". "Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass dasselbe Tier mehrfach gerettet werden muss", so die Welttierschutzgesellschaft. "Um eine Vielzahl von Videos zu erstellen, setzen die Erstellenden das Tier immer wieder gefährlichen Situationen aus und riskieren dessen Leben für Inhalte in den sozialen Medien."

In 80 Prozent der vermeintlichen Rettungen fehlen außerdem Informationen darüber, was anschließend mit dem Tier passieren soll, ob es gesund gepflegt und wieder ausgewildert wird oder ein neues Zuhause findet. In keinem der analysierten Videos gehören die Retterinnen und Retter einer existierenden Tierschutzorganisation an – was sie nicht unbedingt davon abhält, Spenden für die angeblich geretteten Tiere zu sammeln.

Und dann ist da noch die Kameraführung: Würden echte Tierschützende wirklich eine Minute lang die Kamera auf ein gequältes, von Fressfeinden attackiertes oder ertrinkendes Tier richten, bevor sie sich an dessen Rettung machen – einhändig, versteht sich, um mit der anderen Hand weiter zu filmen?

Viele der Videos sind so bei genauerem Hinschauen leicht als Inszenierung zu erkennen. Doch sowohl die angeblichen Retter als auch die Künstliche Intelligenz werden immer geschickter, und es wird schwieriger werden, gefälschte Videos als solche zu entlarven. Die Welttierschutzgesellschaft appelliert dennoch, die Videos nicht durch Liken, Kommentieren oder Teilen weiterzuverbreiten und ihnen so ihre enorme Reichweite zu nehmen – um die neue Form des Tierleids in den sozialen Medien nicht zu befeuern.