Ornithologie Für immer weg: Dieser Vogel ist die erste auf europäischem Festland ausgestorbene Art

Wurde 1995 zuletzt zweifelsfrei gesehen: der Dünnschnabel-Brachvogel, ein naher Verwandter des Großen Brachvogels, hier in einer Illustration aus dem Jahr 1830
Wurde 1995 zuletzt zweifelsfrei gesehen: der Dünnschnabel-Brachvogel, ein naher Verwandter des Großen Brachvogels, hier in einer Illustration aus dem Jahr 1830
© Courtesy Biodiversity Heritage Library / public domain
Der Dünnschnabel-Brachvogel wurde seit 1995 nicht mehr gesichtet. Nun haben Fachleute ihn für ausgestorben erklärt. Und warnen vor einer "Aussterbewelle, die die Kontinente überspült"

Noch vor wenigen Jahrzehnten zeigten sich die Vögel an den norddeutschen Küsten in Scharen. Jetzt fehlen sie. Und nicht nur hier: Der Dünnschnabel-Brachvogel, ein eleganter Watvogel mit charakteristisch gebogenem Schnabel, ist einer aktuellen Studie zufolge ausgestorben. Die Art ist damit die erste in der Neuzeit ausgestorbene Vogelart Europas, die auf dem Festland lebt. Oder lebte.

Als verschollen gilt die Art schon seit 1995 – aus diesem Jahr stammt die letzte zweifelsfreie Sichtung. Dokumentiert wurde der wanderfreudige Zugvogel zwar in Zentralasien, Osteuropa, im Nahen Osten, am Mittelmeer und an der nordwestafrikanischen Küste. Wo er aber das Frühjahr und den Sommer verbrachte, ist bis heute unklar. Die Vögel könnten ebenso in den sumpfigen Wäldern Südrusslands wie in den Steppen Kasachstans genistet und ihren Nachwuchs aufgezogen haben.

Der Studie zufolge kommt der Dünnschnabel-Brachvogel mit einer Wahrscheinlichkeit von 96 Prozent nicht mehr vor. Er gilt damit nach den Richtlinien der IUCN als ausgestorben ("extinct"). Als Jahr des Aussterbens nehmen die Forschenden das Jahr der letzten Sichtung an: 1995.

Ebenso unklar wie das Brutgebiet des mysteriösen Vogels sind die Ursachen seines Aussterbens. Doch die Forschenden haben starke Vermutungen: So nehmen sie als eine der Hauptursachen eine großflächige Zerstörung der Brutgebiete des Vogels an. Auch in Westsibirien wurden in den vergangenen Jahrzehnten riesige Moore trockengelegt, um sie landwirtschaftlich zu nutzen. Und durch die Trockenlegung von küstennahen Feuchtgebieten haben die Vögel auf ihren kräftezehrenden Wanderungen immer weniger Nahrung gefunden.

Jäger beschleunigten wohl das Aussterben

Zudem wurde der ohnehin seltene Vogel auch noch gejagt, weil er von Laien leicht mit dem sehr ähnlichen Großen Brachvogel verwechselt werden konnte. Umweltverschmutzung, Fressfeinde, Krankheiten und die Auswirkungen des Klimawandels mögen ein Übriges zum Aussterben des charismatischen Vogels beigetragen haben.

Seit dem Jahr 1500 sind den Expertinnen zufolge weltweit 164 Vogelarten ausgestorben – 90 Prozent davon Arten, die nur auf Inseln vorkamen. Doch während sich die Aussterberate auf Inseln verlangsamt, nimmt sie auf dem Festland zu. "Dies ist eine Folge der Zerstörung und Verschlechterung von Lebensräumen, der Überfischung und anderer Bedrohungen", erklärt Alex Berryman in einer Presseerklärung der Vogelschutzorganisation Birdlife International. "Schnelle Schutzmaßnahmen sind dringend erforderlich, um die Vögel zu retten; andernfalls müssen wir uns auf eine viel größere Aussterbewelle gefasst machen, die die Kontinente überspült."

"Wenn der Klimawandel weitergeht, wird dies das neue Normal sein", ergänzt der Ornithologe und Mitautor der Studie, Alex Bond. "Die Bekämpfung des Klimawandels, der Lebensraumzerstörung und der Umweltverschmutzung ist die beste Chance, die wir haben, um Vögel zu schützen – im In- und Ausland."