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Milchwirtschaft Acht von zehn Milchkühen sehen nie eine Weide

83 Prozent aller Milchkühe in Deutschland verbringen ihr Leben im Stall
83 Prozent aller Milchkühe in Deutschland verbringen ihr Leben im Stall
© IMAGO / Winfried Rothermel
Ein neues Rechtsgutachten im Auftrag von Greenpeace zeigt: Die meisten Milchkühe werden heute ganzjährig im Stall gehalten – viele von ihnen unter tierschutzwidrigen Bedingungen

Auf Milchpackungen wird oft mit Zusätzen wie "Weide" oder "Glück" und bunten Bildern von glücklichen Rindern geworben. Doch Begriffe wie "Weidemilch" sind rechtlich nicht geschützt; Verbraucherzentralen sehen hier ein hohes Täuschungspotenzial – denn die Realität sieht für die Tiere meist anders aus, als es die Produktnamen und schön bedruckten Milchpackungen vermuten lassen: Immer weniger Milchkühe stehen je in ihrem Leben auf einer Weide, sondern fristen die wenigen Jahre bis zur Schlachtung in einem Stall. Viele von ihnen sind sogar das ganze Jahr über angebunden und können sich kaum bewegen. Das zeigt ein aktuelles, von Greenpeace in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten.

Deutschland ist mit fast 32 Millionen Tonnen Rohmilch im Jahr 2021 der größte Milcherzeuger in der EU. Von den etwa 3,8 Millionen Milchkühen stehen die meisten in Bayern, gefolgt von Niedersachsen. Beide Bundesländer zusammen verfügen über fast die Hälfte des gesamten deutschen Milchviehbestands.

Doch nicht einmal ein Drittel (31 Prozent) der Milchkühe in Deutschland hat noch Zugang zu einer Weide. Und der Trend ist weiter rückläufig. Laut Gutachten waren es im Jahr 2010 immerhin noch 42 von hundert Milchkühen, die sich die Beine vertreten, ungestört grasen, wiederkäuen und mit Artgenossen kommunizieren konnten.

83 Prozent der deutschen Milchkühe stehen im Stall

Trauriger Spitzenreiter bei diesem Trend ist Bayern. Obwohl das Land mit 22 Prozent der gesamtdeutschen Grünlandflächen im Ländervergleich vorne liegt und damit über reichlich Wiesen verfügt, auf denen Kühe grasen könnten, hat nur jede fünfte Milchkuh (18 Prozent) Zugang zu einer Weide. Während in Schleswig-Holstein immerhin mehr als die Hälfte aller Milchkühe zumindest zeitweise Zugang zu einer Weide hat, standen deutschlandweit im Jahr 2020 rund 83 Prozent aller Rinder (einschließlich der Milchkühe) das ganze Jahr über im Stall, wie das Statistische Bundesamt mitteilt.

Ein Teil dieser Tiere kann sich nicht einmal im Stall frei bewegen: Bei der so genannten Anbindehaltung sind die Tiere permanent durch Ketten oder andere Vorrichtungen an ihren Platz gefesselt. Ihr Leben beschränkt sich auf Nahrungsaufnahme, Stehen und Liegen. Etwa zehn Prozent aller Rinder mussten im Jahr 2020 so leben.

Anbindehaltung verhindert die Befriedigung fast aller natürlichen Bedürfnisse

Laut Rechtsgutachten können die Tiere in der Anbindehaltung praktisch keine ihrer natürlichen Verhaltensweisen ausüben, von der Nahrungsaufnahme über die Körperpflege bis hin zu Sozialkontakten, von der Mutter-Kind-Beziehung zu schweigen.

Der Deutsche Tierschutzbund fordert ein Verbot der Anbindehaltung, und auch die Autorinnen und Autoren des aktuellen Rechtsgutachtens beklagen, die Praxis verstoße gegen das Tierschutzgesetz. In Paragraf 2 heißt es hier: "Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen [und] darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden [...]." Auch die sogenannte Nutztierhaltungsverordnung, die die Mindeststandards in der Tierproduktion festlegt, hilft Milchkühen wenig: Sie werden gar nicht erwähnt.

Eigentlich sieht der Koalitionsvertrag von 2021 vor "spätestens in zehn Jahren" die Anbindehaltung zu beenden und Gesetzeslücken bei der Tierhaltung zu schließen. Doch bislang ist nichts passiert. Auch unter dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bewegt sich wenig, wie der Tierschutzbund beklagt.

Nicht nur die Haltungsform ist problematisch

Doch das Problem ist nicht nur die Haltungsform. Auch die Qualifizierung der Zucht immer leistungsfähigerer Rassen als "Qualzucht" ist laut dem Rechtsgutachten überfällig. Denn die auf "Milchleistung" getrimmten Tiere leiden überdurchschnittlich oft unter Krankheiten wie Klauen- und Euterentzündungen. Und sie werden immer größer – mit der Folge, dass in der Anbindehaltung oft der Platz nicht reicht, dass alle Tiere gleichzeitig liegen.

"Kühe sind von Natur aus Lauftiere, die Gras fressen", sagt Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter. "Wir haben aus ihnen überzüchtete Turbokühe gemacht, die ganzjährig im Stall stehen und mit immer mehr Kraftfuttereinsatz dazu gebracht werden, maximal viel Milch zu geben."

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