Ohne Haus ist eine Schnecke wehrlos? Keineswegs. 5000 bis 6000 Nacktschneckenarten aus der Gruppe der Hinterkiemer (Opisthobranchia) kriechen auf ihrem muskulösen Fuß oder ihren Ciliensohlen fast unbehelligt über den Meeresboden. Denn sie haben sich raffinierte Methoden einfallen lassen, um ihren Feinden zu entgehen. Dafür müssen allerdings
andere Tiere leiden: Wenn die Schnecken sich bewaffnen oder tarnen, ist das Equipment dafür meist gestohlen. Manche Schneckenspezies, wie etwa die Seehasen oder Sternschnecken, nehmen mit der Nahrung das Gift ihrer Beute auf, zerlegen es im Darm und bauen aus diesen geraubten Chemikalien ("Cleptochemicals") ein noch viel giftigeres Toxin - zur Selbstverteidigung. Andere reißen mit ihren Kiefern Stücke aus Nesseltieren und horten deren Nesselkapseln in ihrer weit verzweigten Mitteldarmdrüse: Die Ausstülpungen ragen bis in die skurrilen Rückenanhänge der Schnecken hinein.
Beißt sich ein Feind dort fest, erlebt er eine feurig brennende Überraschung. Doch besonders ein dritter "Kleptomanen"-Typus weckt das Interesse der Bonner Zoologin Heike Wägele, die das Verhalten mariner Nacktschnecken erforscht. Sacoglossen verstehen sich auf Nutzung von Algen. Nicht nur, weil diese Pflanzen nahrhaft sind, sondern auch, weil sie den Schnecken eine grüne Farbe verleihen. Grün auf Grün macht fast unsichtbar. "Da ist es praktisch, den Grünton etwas länger zu erhalten, wenn man im Schneckentempo von Alge zu Alge kriechen muss."
Doch damit nicht genug: Die Chloroplasten, mit denen die Algen Photosynthese betreiben, gelangen über die Mitteldarmdrüse bis unter die Haut der Schnecken - und funktionieren auch dort noch weiter. Bei einigen Spezies produzieren die Algenbestandteile Sauerstoff und Zucker und ernähren die Schnecke. Mit einem so genannten Pulse Amplitude Modulated Fluorometer (PAM) beobachtet Wägele die internalisierte Photosyntheseaktivität im Labor. Schnecken im Wasserbassin werden dafür auf strenge Diät gesetzt und nur mit Licht bestrahlt.
Mehrmals am Tag misst Wägeles Team am lebenden Tier die Fluoreszenz der Chloroplasten. Manche Arten sind so geschickt, dass sich die Chloroplasten in ihrem Körper sogar vermehren, sodass nach Monaten immer noch hohe Werte gemessen werden. Die Art Melibe engeli hielt den Hungerversuch 335 Tage lang durch - diese Art lässt ganze Algenzellen (Zooxanthellen) in sich fortexistieren. Die körperinterne Futterbeschaffung hilft wohl auch bei der langwierigen Partnersuche. Manche Zooxanthellen einlagernde Arten leben auf sehr seltenen Weichkorallen, und der Weg zur nächsten ist weit. "Die haben ihr Butterbrot dabei und können beruhigt losziehen", sagt Heike Wägele.