GEOkompakt: Herr Professor Sommer, Sie bezeichnen sich selbst als "Menschenaffe". Machen Sie also keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier?
Volker Sommer: Evolutionsbiologen unterscheiden nicht zwischen Mensch und Tier, sondern bestenfalls zwischen Menschen und anderen Tieren. Und zoologisch betrachtet gehören wir mit unseren allernächsten Verwandten nun einmal in dieselbe Gruppierung, also die Menschenaffen. Das mag uns ehrenrührig erscheinen, ist aber einfach nur zoologisch korrekt. Es gilt das Prinzip der abgestuften Ähnlichkeit.
Dann hätten ja vielleicht sogar simple Kreaturen viel mit den Menschen gemein, könnten ähnlich wie wir denken und fühlen.
Zunächst einmal gefällt mir das Wort "simpel" nicht, weil es abwertend klingt. Betrachten Sie doch beispielsweise einen Frosch. Wie ein Mensch gewinnt dieses Tier Eindrücke aus seiner Umgebung und verarbeitet sie in seinem Hirn. Ich halte es für wahrscheinlich, dass der Frosch dabei in seinem Kopf etwas fühlt und erlebt, also ein Bewusstsein hat.

Sagen Sie damit, dass der Frosch sich - wenn auch in limitierter Form - Gedanken machen kann?
Frosch und Mensch verfügen über eine Hardware, die sich prinzipiell stark ähnelt. Beide besitzen Sinnesorgane, Nervenzellen zur Datenübertragung und ein Gehirn, das Informationen sortiert und bewertet.

Vergleichen Sie da nicht Äpfel mit Birnen? Das menschliche Gehirn gilt immerhin als komplexeste Struktur im Universum.
Ob wir hinsichtlich des Denkvermögens von Fröschen und Menschen Übereinstimmungen oder Unterschiede betonen wollen, ist reine Ansichtssache. Tatsache ist zunächst, dass Frosch und Mensch sich aus gemeinsamen Vorfahren entwickelten und deshalb ähnliche Bauteile aufweisen. So besitzen beide Lebewesen Gliedmaßen, die mit einem Greiforgan abschließen. Im Zuge der Evolution entstanden zwar Unterschiede. Ein Beispiel: Wir haben zehn Finger, darunter zwei bewegliche Daumen. Der gewöhnliche Laubfrosch besitzt acht Finger, die Haftlamellen aufweisen. Statt aber solche Unterschiede als eine scharfe Grenze aufzufassen, ist es doch sinnvoller, von einem Mehr oder Weniger zu reden.
Das sind rein anatomische Abstufungen.
Offenbar fällt es uns schwerer, den graduellen Charakter der Evolution zu akzeptieren, wenn es um Gedanken- und Gefühlswelten geht. Aber alles spricht dafür, dass auch das, was wir traditionell "Geist" nennen, nicht vom Himmel fiel. Emotionales Erleben und kognitives Vermögen haben vielmehr mit dem Körperbau eine Stammesgeschichte durchlaufen. Wäre das nicht so, würde die pharmazeutische Industrie ihre Psychopharmaka nicht an Affen testen. Dieses Geld wird nur investiert, weil man davon ausgeht, dass sich in deren Gehirnen ähnliche subjektive Empfindungen abspielen wie bei uns. Fazit: Wie bei der Anatomie liegt auch hier kein Alles oder Nichts vor, sondern ein Mehr oder Weniger an Menschenähnlichkeit. Wichtig ist dabei, dass diese Abstufung weder gleichzusetzen ist mit einem "Besser oder Schlechter" noch mit einem "Höher oder Niedriger". Alle Organismen sind auf jeweils eigene Art ihrer Umwelt angepasst.
Was genau im Kopf eines Tieres vor sich geht, ist Menschen aber nicht zugänglich.
Nein, aber ich ziehe einen plausiblen Schluss: Je näher ein Lebewesen mit mir verwandt ist, desto wahrscheinlicher ist auch, dass die ähnlichen Strukturen in seinem Kopf ein ähnliches Empfinden ermöglichen.
Das bedeutet umgekehrt: Je schwächer die verwandtschaftlichen Bande zwischen uns und einem Tier sind, desto geringer sind dessen Denkleistungen einzuschätzen.
Gehen wir mal von einem Menschen zum Schimpansen, dann zu einem Frosch, von dort zu einem Regenwurm, weiter zu einer Qualle und schließlich zu einem Einzeller. Während wir uns evolutionär immer weiter vom Homo sapiens entfernen, werden die geistigen Fähigkeiten denen von Menschen immer unähnlicher. Ich bezeichne das aber nicht als ein Geringer-Werden, weil eine solche Perspektive uns zum Maßstab macht und das Ergebnis deshalb gar nicht anders ausfallen kann, als uns allein für vollwertig zu halten. Stattdessen würde ich neutraler formulieren und sagen, dass unsere Art des Denkens und bewussten Erlebens bei weiter entfernten Lebewesen irgendwann nicht mehr vorhanden ist.
Wo in der evolutionären Vielfalt verorten Sie dieses Verschwinden?
Genau weiß ich das nicht, aber ich vermute, dass zumindest alle Wirbeltiere denken können und ein Bewusstsein haben. Dass in ihren Köpfen also eine private Wahrnehmung existiert.
Sie als Feldforscher beobachten unter anderem das Verhalten von Affen in der Natur.
Woran erkennen Sie, dass die denken? Da fallen mir viele Anekdoten ein. Bei einem Forschungsprojekt in Indien etwa begleitete ich eine Gruppe von Languren. Zuweilen kletterten die Affen auf Strommasten im Gelände. Dabei kam es vor, dass einer nach der Leitung griff und durch einen Schlag starb. Einmal beobachtete ich, wie eine alte Äffin ihren Enkel vor diesem Schicksal bewahrte. Die Großmutter sah, wie das Kleine dabei war, einen Mast zu erklimmen. Sie rannte los, kletterte hinterher, hielt das Kind am Schwanz fest und trug es nach unten, in Sicherheit. Oder: Ein altes Männchen der Gruppe hatte sich einen Dorn in den Fuß getreten. Es konnte sich deshalb nicht wehren, als ihm jüngere Emporkömmlinge begehrte Schoten streitig machten, die unter den Akazienbäumen lagen. Der alte Kerl stieß nun einen Alarmlaut aus, der vor einem angeblich nahenden Leoparden warnt. Daraufhin flohen seine Konkurrenten voller Panik auf die Bäume. Der Alte hingegen machte sich über die Schoten her. Er hat sich also wahrscheinlich diesen Trick überlegt.
Können Tiere auch trauern? Haben sie eine Vorstellung davon, dass ihr Leben endlich ist?
Wer hier Antworten gibt, muss wissen, dass die umstritten sind. Ich persönlich zweifele nicht, dass Tiere trauern können. Wie soll man sonst erklären, dass ein Schimpansenkind in Tansania, das sich selbstständig ernähren kann, nach dem Tod seiner Mutter plötzlich einsiedlerisch wird, um kurz darauf zu sterben? Hinzu kommen Berichte, dass Menschenaffen lange und wie versonnen vor dem Leichnam eines toten Artgenossen verharren, ihn vorsichtig berühren und schubsen, als wollten sie ihn aufwecken. Das ist von Orang-Utans auf Sumatra ebenso bekannt wie von Gorillas in Ostafrika. Oder: Schimpansen einer Auffangstation in Kamerun wurden Zeuge, wie Pfleger eine verstorbene Äffin auf einer Schubkarre abtransportierten. Die Hinterbliebenen umarmten einander. Müssen wir daraus schließen, dass diese Menschenaffen verstehen, dass jemand unwiederbringlich von ihnen gegangen ist? Wir müssen nicht. Aber wir können.
Wie schätzen Sie die zeitlichen Dimensionen ein, die Menschenaffen mental erfassen können?
Ein prominenter Verhaltensforscher meint, Menschenaffen könnten vielleicht lernen, ein Lagerfeuer zu entfachen - aber sie würden nie begreifen, dass man Holz nachlegen muss, um es zu unterhalten. Weil ihnen dafür die zukunftsweisende Fantasie fehle. Das Experiment hat allerdings noch niemand gemacht. Deshalb hindert mich wenig daran, umgekehrt zu spekulieren. Warum sollten Menschenaffen sich nicht an das erinnern, was vor 20 Jahren war? Oder ihr Dasein in die Zukunft projizieren? Vielleicht haben sie sogar eine Art Lebensentwurf - etwa, dass sie in der Rangordnung aufsteigen wollen.
Das klingt, als wären zumindest die Großen Menschenaffen - also Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans und Gorillas - nicht sonderlich weit von Homo sapiens entfernt.
Der Glaube an die vermeintliche Einzigartigkeit des Menschen ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich erodiert. Vor 50 Jahren noch galt als ausgemacht, dass allein Menschen Werkzeuge benutzen können. Doch dann beobachtete die Primatologin Jane Goodall in Tansania, wie wild lebende Schimpansen mit Zweigen und Halmen Termiten aus ihren Bauten angelten und verzehrten. Und erst vor ein paar Jahren stellte sich heraus, dass Schimpansen im Kongo sogar zwei verschiedene Geräte hintereinander benutzen, also gewissermaßen über einen Werkzeugkasten verfügen. Die Schimpansen rammen zunächst stabile Stöcke in den Boden und suchen so nach Hohlräumen, die einen Termitenbau anzeigen. Haben sie eine Kammer gefunden, oft nach Dutzenden solcher Sondierungen, setzen sie ein dünnes Stockwerkzeug ein, um an die Termiten zu gelangen. Im afrikanischen Guinea wiederum leben Schimpansen, die Steine benutzen, um damit wie mit Hammer und Amboss Nüsse zu zerschlagen. Wackelt der Amboss, stabilisieren sie ihn durch Unterschieben von Steinen.
Es mag ja noch einleuchten, dass sich die menschliche Einzigartigkeit nicht allein am Werkzeuggebrauch festmachen lässt. Doch wo im Tierreich findet sich eine solche kulturelle Vielfalt wie beim Menschen?
Ihre Fragestrategie entspricht jenen eingefleischten Anthropozentrikern, die einfach die Latte höher legen, wenn eines ihrer Argumente für die wesensmäßige Sonderstellung der Menschen entkräftet wurde - weil sich irgend- wo ein Affe fand, der genau das tat, was angeblich allein Menschen können. Aber wir können gern noch ein wenig weiterfeilschen. Zumal kulturelle Buntheit in der Tat als weiteres Standardargument für die Alleinstellung des Menschen herhält. Die neuere Verhaltensforschung hat aber dieses Bild ebenfalls gründlich revidiert. Denn auch innerhalb zahlreicher Tierarten können sich Gewohnheiten, Techniken und soziale Normen von Ort zu Ort unterscheiden.
Können Sie ein Beispiel für solche unterschiedlichen "Gebräuche" nennen?
Kalifornische Seeotter etwa verfügen über eine Gerätekultur. Die Otter fressen gern Seeigel. Einige Clans haben einen Trick entwickelt: Um an das Fleisch zu gelangen, bringen sie die Schalenwesen zusammen mit einem Stein vom Meeresgrund an die Oberfläche. Dort angekommen, drehen sie ihre Unterseite himmelwärts, platzieren den Felsbrocken auf ihrem Bauch und schlagen den Seeigel gegen den Stein. Diese Technik verwenden aber nur Otter, die nördlich eines bestimmten Breitengrades leben. Nur dort wird die Tradition gepflegt, während sie weiter südlich unbekannt ist. Ähnlich ist es mit den Delfinen der flachen Gewässer von Monkey Mia vor Australien. Mit ihren spitzen Kiefern spießen die Delfine Meeresschwämme auf und durchkämmen so den sandigen Untergrund nach Nahrung. Das "Schwammfischen" findet sich nur bei dieser Population. Bei Schimpansen, die ich gerade in Nigeria erforsche, stoße ich ebenfalls auf Hinweise für ganz eigenes Brauchtum: Die Affen nahe unserer Urwaldstation essen jeden Tag Ameisen, aber niemals Termiten - obwohl die dort ebenfalls verbreitet sind. Das ist an Kotproben nachweisbar. Anderswo in Afrika zeigt sich das umgekehrte Bild. Dort verzehren die Schimpansen zwar Termiten, aber keine einzige Ameise. Das ist gut mit kulturellen Praktiken bei unserer eigenen Art vergleichbar.
Wenn Menschen so handelten, würde man sagen, dass sie ein Nahrungstabu befolgen.
Genau, das illustrieren zahlreiche Beispiele aus der Menschenwelt. In dem Gebiet in Nigeria etwa, in dem ich arbeite, würden die Leute niemals Hunde essen. Eine Tagesreise entfernt stehen Hunde regelmäßig auf dem Speiseplan. Hier zeigt sich also das gleiche Phänomen wie bei den Schimpansen.
Was ist der evolutionäre Hintergrund für dieses - eigentlich irrationale - Verhalten?
Wer einen speziellen Brauch ausübt, gehört zu einer sozialen Gemeinschaft, er konstruiert sich eine soziale Identität. Und das geschieht eben auch im Tierreich. Wenn ein Affe ausschließlich Ameisen isst, hingegen Termiten verschmäht, signalisiert er der Gruppe der Ameisenliebhaber: Das ist einer von uns, der ist uns ähnlich, der verhält sich ordentlich, mit dem kann ich kooperieren, ihm vertrauen. Wer dagegen Termiten verspeist und meine Ameisen ablehnt, mit dem will ich als Ameisenesser lieber nichts zu tun haben.
Und je mehr daran teilhaben, desto größer wird der Druck zur Vereinheitlichung der Gebräuche.
Ja, und je unsinniger die sind, desto effektiver wirken sie gewöhnlich. In der Kulturgeschichte von Menschen stiftet besonders das eine ausgeprägte soziale Identität, was unangenehm oder schmerzhaft ist, also etwa Tätowieren, Hautritzen, Beschneiden, Zähnefeilen oder der Verzehr von Dingen, die schlecht schmecken oder giftig sind. Es ist nämlich wichtig, dass dieses Verhalten etwas kostet oder gar schadet. Denn dies verdeutlicht, dass man es ehrlich meint mit seiner Gruppenzugehörigkeit. Bezogen auf meine Schimpansen in Nigeria bedeutet das: Die Affen essen Ameisen, die heftig beißen und vermutlich keinerlei Nährwert haben.
Man könnte daraus schließen, dass der Verweigerung, Termiten zu essen, fast eine Art Glaube zugrunde liegt. "Glauben" die Schimpansen, Termiten seien tabu?
Ich sehe eine deutliche Verbindung zur Religionsausübung bei Menschen. Denn da geht es ja ebenfalls darum, sich konform zu verhalten und mit anderen quasi irrational gemeinsam zu handeln. Als Gläubige tun wir etwas oder lassen es sein, obwohl es dafür keinen vernünftigen Grund gibt. Oder besser: Gerade weil es an sich unsinnig ist. Das ist ein wichtiger psychologischer Mechanismus, der bei der Konkurrenz unter Gruppen und Völkern zum Tragen kommt. Das dürfte auch für Schimpansen gelten, weil kriegerische Konflikte zwischen Nachbarn hier ebenfalls zur Tagesordnung gehören.
Zusammengefasst heißt das: Kulturelle Vielfalt, mithin Sitten und Gebräuche, sind aus Ihrer Sicht ebenfalls kein prinzipielles Unterscheidungsmerkmal zwischen Tier und Mensch.
Ja, auch in der Tierwelt ist kulturelle Vielfalt weit verbreitet, denn auch dort werden lokale Traditionen von Generation zu Generation weitergegeben.
Viele Wissenschaftler und Philosophen halten dennoch die ungeheuer komplexe Sprache für ein spezifisch menschliches Wesensmerkmal. Wie sehen Sie das?
Kommt darauf an, was Sie mit Sprachvermögen meinen. Manche Bonobos sind so begabt, dass sie beinahe alles verstehen, was ihre Trainer ihnen auf Englisch mitteilen. Zum Beispiel: "Schneide die Zwiebeln mit dem Messer." "Trag den Kiefernzweig in den Kühlschrank." "Gieß das Mineralwasser auf die Marmelade." Die Anweisungen sind teilweise bewusst absurd, um auszuschließen, dass die Affen einfach vorhersagen, was sie tun sollen, ohne die Semantik zu verstehen. Manche Menschenaffen wiederum können sich mit Forschern mithilfe von Gebärden verständigen oder über die Symbole auf einer Computertastatur. Gewiss, ein Werk von Shakespeare kommt dabei nicht heraus - doch ein solches Opus zu erschaffen vermögen die allermeisten Menschen ebenfalls nicht. Sind sie deshalb der Sprache nicht mächtig?
Aber ein wesensmäßiger Gegensatz zwischen uns und den Menschenaffen bleibt: Nur wir können uns Gedanken darüber machen, dass wir uns Gedanken machen.
Das ist lediglich eine Meinung. Denn woher wollen Sie wissen, dass ein Orang-Utan das nicht vermag? Oder ein Elefant? Oder ein Kolkrabe? Da bleibe ich lieber bei meiner eigenen Auffassung, wonach es wohl quantitative, aber keine grundsätzlich qualitativen Unterschiede zwischen Menschen und anderen Tieren gibt.
Demnach müssten auch alle Experimente an Menschenaffen beendet werden?
Ja. Dafür plädiere ich im Rahmen des sogenannten "Great Ape Project". Das fordert für Orang-Utans, Gorillas, Bonobos und Schimpansen einige jener Privilegien ein, die bisher nur für Menschen gelten: ein Recht auf Leben und Freiheit und ein Verbot der Folter. Augenmaß ist dabei gewahrt, denn niemand fordert ein Recht auf Bildung für Bonobos oder ein Wahlrecht für Gorillas.
Wenn Sie die Gesetze ändern könnten, was würden Sie tun?
Es würde als strafbares Unrecht gelten, Menschenaffen in medizinischen Experimenten zu schädigen, sie in Gefangenschaft unter unwürdigen Bedingungen zu halten, zu Tode zu richten oder ihren Lebensraum zu zerstören. Die natürliche Heimat dieser Tiere wäre damit ebenso schützenswert wie die Heimat eines indigenen Menschenvolkes. Menschenaffen sollten eben kein Eigentum mehr sein dürfen, sondern ihnen sollte der Personenstatus zuerkannt werden. Wie im Falle "unmündiger" Menschen, etwa Kleinkindern oder Koma-Patienten, die nicht für sich selbst sprechen können, müssten die Rechtsansprüche von Menschenaffen durch Sachwalter vertreten werden. Das ist durchaus praktikabel. Ich meine, dass der historische Moment gekommen ist, um nach Nationalismus, Rassismus und Sexismus auch die Schranke des "Speziesismus" zu überwinden, der die Diskriminierung von Lebewesen lediglich aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt.
Wie stehen Sie zu Zoologischen Gärten?
Es gibt große Unterschiede in der Qualität solcher Einrichtungen. Noch immer sind viele von ihnen grauenhafte, enge Tierknäste. In modernen, weitläufigen Gehegen und Aquarien mag es zumindest kleineren Tieren gut gehen - Marmosetten-Affen und Tamarinen etwa, Beutelmullen, manchen Schlangen und Echsen. Aber ich habe starke Zweifel, dass Zootiere mit großem Raumbedürfnis sich je richtig wohlfühlen können, also beispielsweise Wölfe, Luchse, Elefanten, Löwen, Eisbären, Uhus oder Adler.
Aber animieren diese Einrichtungen nicht die Besucher, sich den Tieren anzunähern, offener für Naturschutzprojekte zu sein?
Machen wir uns nichts vor: Zoologische Gärten gibt es, weil wir uns an gefangen gehaltenen Kreaturen ergötzen wollen. Zoos sind Schauveranstaltungen auf Kosten der Zwangsdarsteller. Natürlich engagieren sich Zoos auch für den Naturschutz. Aber das ist eine nachgeschobene Rechtfertigung, die nicht zuletzt das schlechte Gewissen der Besucher erleichtern soll. Gleichwohl lassen sich Forscher wie ich trotzdem gern von Zoos bei ihrer Arbeit in der Wildnis unterstützen.
Gibt es denn keine artgerechte Haltung?
Um möglichst natürliche - in diesem Sinne artgerechte - Bedingungen zu schaffen, müsste es einem Löwen im Zoo auch ermöglicht werden, Zebras zu jagen, Rivalen zu bekämpfen, ein Rudel zu erobern oder gar zu hungern. Ebenso wäre zuzulassen, dass Tiere an Krankheiten sterben, wie es in der Natur geschieht. Also den artgerechten Tod in Kauf zu nehmen. All das findet in Zoos nicht statt. Umgekehrt betrachtet, impliziert der Begriff "artgerecht", dass es einen bestimmten Zustand gibt, der Tieren gerecht wird. Dabei wird übersehen, dass sich viele Arten flexibel den unterschiedlichsten Bedingungen anpassen können. In dem Sinne wäre sogar jede Tierhaltung artgerecht. Deshalb ist der Begriff "artgerecht" ziemlich untauglich. Wir sollten besser überlegen, ob es Tieren im Zoo gut gehen kann.
Wie beurteilen Sie die Haltung von Menschenaffen?
Da wird es kompliziert. Es ist durchaus vorstellbar, das manche von ihnen das Leben in einem guten Zoo der Wildnis vorziehen würden, da die natürlich auch kein Zuckerschlecken ist. Hinzu kommt, dass in Afrika und Asien bereits jetzt Tausende sogenannter Buschfleisch-Waisen in oft engen Auffanglagern irgendwie versorgt werden müssen. In ihre zerstörte Heimat können die nie zurück. Es könnte mithin die Situation eintreten, dass es zum Leben in Gefangenschaft - im Zoo, einem eingezäunten Waldstück, einer Insel - einfach keine Alternative mehr gibt. Es sei denn, wir lassen unsere nächsten Verwandten aussterben; das wird ja ohnehin irgendwann passieren.
Nun gehören Wildtiere nicht zu unserem Alltagsleben. Dennoch müssen wir uns jeden Tag entscheiden, wie wir mit Tieren umgehen. Etwa an der Fleischtheke im Supermarkt.
Ja. Und würden wir in der Situation wirklich nachdenken - was sicherlich selten ist -, dann sollten wir Jeremy Bentham folgen, einem der bedeutendsten Philosophen des 19. Jahrhunderts und Begründer der Tierethik. Der meinte, die entscheidende Frage lautete nicht: Können Lebewesen denken? Oder: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden? Dass das so ist, dafür sind jene Tiere millionenfache Zeugen, die unserer industriellen Fleischproduktion massenweise geopfert werden. Wer da lediglich etwas gegen invasive Tierversuche hat, heuchelt herum.
Essen Sie Fleisch?
Ich bin ein halbherziger Vegetarier und damit so wenig perfekt wie die meisten meiner Mitmenschen. Doch sind Vegetarier ohnehin keine besseren Menschen, wenn sie aus der Massentierhaltung stammende Milchprodukte oder Eier verzehren. Denn Milchkühe oder Legehennen leben in der Regel länger als jene, die ausschließlich für die Fleischproduktion gemästet werden - und leiden deshalb vermutlich mehr. Möglicherweise kommen Veganer dem ethischen Ideal am nächsten. Obwohl eben auch vom Sojaschnitzel viel strukturelle Gewalt ausgeht. Denn damit dessen Zutaten heranwachsen können, muss so mancher Affe Heimat und Leben verlieren. Wir sind also in ein Dilemma hereingeboren. Denn unser eigenes Leben können wir immer nur auf Kosten anderer Leben führen.
Wie gehen Sie mit diesem Zwiespalt um?
Ich fühle mich nicht besonders schuldig, dass mein Lebensstil zum Untergang anderer Lebensformen beiträgt. Denn ich bin ja selbst Teil eines evolutiven Prozesses, der eben auch Gehirne wie die unseren hervorgebracht hat, die es ihren Trägern ermöglichen, andere Lebensformen zu verdrängen. Traurig macht mich das allerdings schon. Denn in den Tropen bin ich ja sozusagen an der Frontlinie aktiv, wo die Biodiversität am augenfälligsten hingemetzelt wird.
Wären wir Menschen dann nicht doch einzigartig, weil wir so zerstörerisch sind?
Mitnichten. Als die grünen Pflanzen sich entwickelten, Inbegriff unschuldiger Natur, reicherten sie die Atmosphäre mit Sauerstoff an - mit ihren Ausscheidungen. Die waren aber für Unmengen von Arten reines Gift, und die starben aus. Unsere viel zitierten Verwandten, die Schimpansen, sind auch nicht besser. Die essen gern Palmenherzen, also das produktivste Gewebe dieser Bäume. Auf dem Wipfel sitzend, stößeln sie die Herzen mit einem Holzprügel zu Brei, um den dann zu genießen. Resultat: Die Palmen sterben in ihrem Wohngebiet aus. Dass wir Menschen also - wie so viele denken - etwas Einzigartiges sein sollen, ist für mich eine ziemlich langweilige Philosophie. Ich bin lieber mit Haut und Haaren ein Tier unter anderen.