Es sind Szenen, die jedem Tierfreund das Blut in den Adern gefrieren lassen: In wackeligen Bildern mit schummriger Belichtung sehen wir kranke, tote, verletzte Tiere, meist Hühner oder Schweine, die apathisch neben Artgenossen in ihren eigenen Exkrementen liegen. Solche Szenen gibt es im Internet zuhauf, auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen zeigt sie hin und wieder. Bilder, aufgenommen von Tierschützern, die bei Nacht und Nebel in Ställe einbrechen, um Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zu dokumentieren.
Fast regelmäßig rufen solche Videos öffentliche Empörung hervor; und manche Aufnahmen führen auch zu Ermittlungen gegen die Halter. Gut so. Kaum je allerdings ist die Rede davon, mit welchen Konsequenzen illegalen Filmer rechnen müssen. Nicht selten flattert ihnen eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs ins Haus.
So geschehen im Jahr 2013: Drei Tierschützer der Organisation Animals Rights Watch waren in eine Mega-Mastanlage im Norden Sachsen-Anhalts eingedrungen. 60.000 Schweine vegetieren dort ihrer Schlachtreife entgegen. Viele von ihnen, das zeigten die Filmaufnahmen, eingepfercht in viel zu kleine, verdreckte Metallbuchten. Auf einem Haufen lagen tote Ferkel.Die Konsequenz war nicht etwa die Schließung des Skandalbetriebs - sondern eine Klage des Halters.
Fünf Jahre dauerte das richterliche Gezerre um die Legitimität und Legalität der Aufnahmen.
Aber jetzt jubeln Tierschützer. Denn das Oberlandesgericht Naumburg hat in nie dagewesener Weise für die "Einbrecher" Stellung bezogen. Das Tierwohl sei im vorliegenden Fall höher zu bewerten als das des Hausrechts, sagte ein Gerichtssprecher. Das Gericht bestätigte damit die Einschätzung der ersten Instanz. Es habe sich um einen "rechtfertigenden Notstand" gehandelt. Denn ohne die illegalen Filmaufnahmen hätte die systematische Tierquälerei nicht aufgedeckt werden können. Es wäre nie zu Ermittlungen gekommen.
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Die Tierschützer können jetzt nicht nur als unbescholtene Bürger nach Hause gehen. Richter Gerd Henss schickte ihnen sogar noch den Dank des Gerichts hinterher. "Wir alle sollten froh sein", sagte er, "dass die Angeklagten die Missstände aufgedeckt haben." Es ist wohl das erste Mal, dass ein Oberlandesgericht so deutlich für den Tierschutz Stellung bezieht.
Und es ist ein Armutszeugnis für Züchter und überforderte Veterinärämter, die es offenbar nicht schaffen, wenigstens die ohnehin schon erbärmlichen gesetzlichen Mindeststandards zu garantieren.
Das Urteil, so schränkte das Gericht vorsichtshalber ein, sei kein Freibrief, nach Belieben in Tierzuchtanlagen einzusteigen. Es müssten vorab ausreichende Hinweise vorliegen. Aber mal ehrlich: Brauchen wir eigentlich noch Filmaufnahmen, wenn wir wissen, dass jedes Jahr allein in Deutschland 13 Millionen Schweine weggeworfen werden? Und dass 40 Prozent der Tiere, die im Schlachthof enden, krank oder verletzt sind?