Natur verstehen Sexbetrüger: Warum diese Orchidee Bienen dazu verleitet, mit den Blüten zu kopulieren

Hummel-Ragwurz
Die Blüten der Hummel-Ragwurz sehen nicht nur wunderschön aus: Sie duften auch betörend. Zumindest für manche Insektenmännchen, die derart in Wallung geraten, dass sie mit den Blüten zu kopulieren beginnen
© Friedhelm Adam / imageBROKER / mauritius images
Viele Blüten bergen süßen Nektar: Damit locken sie Insekten an, die wiederum als umherschwirrende Boten die Pflanzen bestäuben. Die Blüten mancher Orchideen enthalten keinen Tropfen Nektar, und doch fliegen bestimmte Sechsbeiner förmlich auf sie. Warum? 

Ob Buschwindröschen, Fingerhut oder Rittersporn: Viele Pflanzen bilden betörend schöne Blüten. Mit ihnen locken die Gewächse Insekten an: Die Krabbeltiere sind auf süßen Blütennektar aus und nehmen im Gegenzug männlichen Pollen der Pflanzen mit. Den tragen sie zu anderen Blüten und bestäuben sie so. Ein Geschäft zu wechselseitigem Nutzen. 

Einen anderen, eher einseitigen Weg schlagen Orchideen der Gattung Ophrys (Ragwurz) ein. Auch ihre Blüten muten bezaubernd an. Und auch auf sie fliegen Insekten: Zum Beispiel steuern bestimmte Bienen der Art Eucera longicornis die Schauorgane der Hummel-Ragwurz an, die sich im Mai und Juni öffnen. 

Doch etwas ist auffällig: Es sind nur männliche Bienen, die Interesse an der Blütenpracht zu haben scheinen. Und: Die Insekten zeigen ein eigentümliches Gebaren. Sie setzen sich auf die reich ornamentierte, bräunliche und mit feinen Härchen besetzte Unterlippe der Blüte – und versuchen mit ihr zu kopulieren. 

Was die Insekten in Wallung bringt? Die Blüte verströmt ein Bukett bienenspezifischer Sexualhormone. Und die Unterlippe ähnelt, betrachtet durch die Augen des Insektenmännchens, einem Eucera-Weibchen. Ja, selbst die Pflanzenhärchen fühlen sich insektenartig an. 

Nach einiger Zeit vergeblicher Liebesmüh schwirren die düpierten Insektenmännchen ab. Für die Orchidee ist der Pseudoakt jedoch alles andere als vergebens. Ein raffinierter Mechanismus bewirkt, dass dem im Sexrausch befindlichen Männchen Pollenpakete auf den Rücken geklebt werden. Und wenn sich die Biene bald wieder täuschen lässt, bestäubt sie damit eine andere Ragwurz-Pflanze. 

Der ausgefeilte Trickbetrug hat sich evolutionär wohl – wie so viele jener verblüffenden Naturphänomene, die uns allenthalben bei Pflanzen, Tieren, Pilzen begegnen – durch eine Kette genetischer Mutationen entwickelt. Und durch die stete Kraft der Auslese: Je besser die florale Insektenimitation gelang, desto wahrscheinlich war es, dass die Erbanlagen der entsprechenden Pflanze verbreitetet wurden und sich Schritt für Schritt weiterentwickeln konnten.

Und schließlich war und ist der Trick für die Orchidee von zweifachem Nutzen: Einerseits wird sie von den liebestollen Bienen bestäubt. Andererseits spart sie die kostspielige Produktion energiereichen Nektars.