Eigentlich ist das Ziel klar: Bis 2030 sollen 30 Prozent der weltweiten Land- und Wasserflächen unter Schutz gestellt werden, so hat es die Staatengemeinschaft vor zwei Jahren beschlossen. Doch bis zur laufenden UN-Biodiversitätskonferenz (COP16) im kolumbianischen Cali haben nur wenige der 196 Vertragsstaaten ihre Hausaufgaben gemacht und eine nationale Biodiversitätsstrategie vorgelegt. Und: Ein bestimmtes Gebiet als Schutzgebiet auszuweisen reicht offenbar nicht aus, um die biologische Vielfalt dort tatsächlich zu wahren und zu schützen.
Eine Analyse des Natural History Museum in London zeigt, dass der derzeitige "30 by 30"-Ansatz, der jeweils 30 Prozent der Land- und Ozeanfläche als Schutzgebiete vorsieht, die Gebiete an Land, die die wichtigsten Ökosystemleistungen für den Menschen erbringen, nicht ausreichend schützt. Mehr noch: Innerhalb der Schutzgebiete nimmt die biologische Vielfalt sogar schneller ab als in ungeschützten Gebieten. Der von dem Museum entwickelte Biodiversity Intactness Index (BII) zeigt, dass die Biodiversität in Schutzgebieten zwischen 2000 und 2020 um 2,1 Prozent abnahm, außerhalb dieser Gebiete nur um 1,9 Prozent. Der Index misst den Wandel der Biodiversität anhand der Häufigkeit von Pflanzen, Pilzen und Tieren weltweit und zeigt, wie die biologische Vielfalt an einem bestimmten Ort auf menschliche Einflüsse reagiert.
Statt des ganzen Ökosystems wird nur eine Art geschützt
Die Schutzgebiete leisten also offensichtlich nicht das, wofür sie eingerichtet wurden: die Natur zu schützen. Ein Grund dafür könnte sein, dass viele von ihnen darauf ausgerichtet sind, eine bestimmte Tier- oder Pflanzenart von besonderem öffentlichen Interesse zu schützen – nicht aber das Ökosystem als Ganzes. Oder dass Landschaften gerade deshalb unter Schutz gestellt wurden, weil sie bereits von fortschreitender Zerstörung betroffen sind.
Insgesamt ist die biologische Vielfalt in Schutzgebieten zwar noch deutlich höher als außerhalb. Doch nur 22 Prozent der Flächen, die die wichtigsten Ökosystemleistungen für den Planeten erbringen, stehen unter Schutz. Sinkt ihre Biodiversität, bedeute dies, "dass die derzeitigen Bemühungen nicht ausreichen, um diese wichtigen Ökosystemleistungen zu erhalten, und dass wir Gefahr laufen, sie zu verlieren", warnen die Forschenden. Diese Leistungen umfassen die Bereitstellung von Nahrung, Energie und Rohstoffen, die Regulierung der Wasserqualität und die Speicherung von Kohlenstoff. Mehr als sechs Milliarden Menschen weltweit sind davon abhängig.
Die Forschenden fordern deshalb neue Grundsätze bei der Ausweisung von Schutzgebieten und bei der Umsetzung der "30 by 30"-Strategie: "Wir müssen über die statische Ausweisung von Gebieten hinausgehen, die lediglich Mindestanforderungen erfüllen oder sich auf bestimmte Arten oder Ergebnisse konzentrieren", schreiben sie. Und empfehlen stattdessen einen dynamischeren, gut überwachten Prozess, um Gebiete tatsächlich – und nicht nur auf dem Papier – widerstandsfähiger zu machen. Neben dem Artenschutz müsse auch der Erhalt der wichtigsten Ökosystemleistungen für den Menschen stärker in den Fokus rücken.