Im Jahr 2009 wurden in Deutschland fast 60 Millionen Schweine und Rinder getötet. Und etwa 500 Millionen Masthühnchen. Fast alle von ihnen stammten aus der industriellen Fleischproduktion. Der Markt für Fleisch aus artgerechter Haltung macht in Deutschland dagegen nur zwei Prozent aus. Und nur 1,6 Prozent der Deutschen bezeichneten sich 2008 als Vegetarier. Und doch gibt es Anzeichen für eine Trendwende.
Mehr Menschen denn je denken über eine ethisch vertretbare, gesunde und nachhaltige Ernährung nach - auch öffentlich. Bücher über die industrielle Tierproduktion, wie jüngst "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer, finden reißenden Absatz, werden in allen Medien lebhaft diskutiert. Promis outen sich als Vegetarier. Tierrechtsorganisationen wie PETA ärgern die Agrarlobby. McDonalds bietet Vegiburger an. Und einer Studie der Universtät Göttingen zufolge wären immerhin 20 Prozent der Konsumenten bereit, für "gutes" Fleisch mehr Geld auszugeben.
Offensichtlich ist etwas in Bewegung gekommen. Das ist kein Wunder. Denn das Nachdenken über Fleisch ist kein Luxusproblem. Es gibt dafür mindestens drei gewichtige Gründe.
Grund 1: Massentierhaltung und -tötung ist Tierquälerei

Beispiel Masthühnchen: Die Tiere sind auf Leistung getrimmt. Ihr Schlachtgewicht steigt ständig, gleichzeitig wachsen sie in immer kürzerer Zeit bei stetig reduziertem Futterverbrauch. Zwischen 1970 und 2000 hat sich in Deutschland die Zeit, in der sich ein Masthühnchen bis zu zwei Kilogramm anfrisst, fast halbiert - ein Ergebnis gezielter genetischer "Optimierung".
Man muss kein Tierarzt sein, um zu verstehen, dass dabei die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere auf der Strecke bleiben. Fast ein Drittel aller Masthühnchen kann nicht richtig laufen oder bricht unter seinem eigenen Gewicht zusammen. Bis zu vier Prozent sterben während der Mast einen "Plötzlichen Herztod" (sudden death syndrome) - als Opfer von Enge (am Ende der Mastzeit drängen sich etwa 22 Tiere pro Quadratmeter), Aggression unter Leidensgenossen, ammoniakverseuchter Luft, um nur wenige Stressfaktoren zu nennen.
Das ist schlecht für den Mäster, der in einem erbarmungslosen Preiskampf bestehen muss. Aber gut für das Huhn. So bleibt ihm der Rest der Quälerei erspart. (Wie auch den 40 Millionen männlichen Küken, die jedes Jahr in Deutschland als "Ausschuss" der Legehennenproduktion vergast oder lebendig geschreddert werden.)
Die überlebenden Hühnchen werden am Ende der Mästzeit, also nach fünf bis sechs Wochen, von "Hühnerstopfern" für den Transport verpackt. Hühnerstopfer arbeiten meist im Akkord und schaffen bis zu 1500 Tiere pro Stunde. Verletzungen der Tiere sind dabei nicht selten. In modernen Betrieben übernimmt den Job eine Maschine. Zeit ist Geld. Der Transport zum Schlachthof darf laut Gesetz allerdings bis zu zwölf Stunden dauern - ohne Wasser und Futter.
Endstation Geflügelschlachthof: Europas größter und modernster entsteht zurzeit in Wietze, nördlich von Hannover. Hier werden künftig wöchentlich fast 2,6 Millionen Hühnchen im Halsschnittautomaten sterben - zwischen sieben und acht pro Sekunde. Zuvor werden sie zwar kopfüber im elektrischen Bad betäubt. Aber wer will die vorschriftsmäßige Betäubung bei solchen Bandgeschwindigkeiten kontrollieren?
Nun ist nicht jeder überzeugt, dass Tiere Angst haben und Schmerzen empfinden können. Oder dass das schon ein Grund wäre, unseren hohen Fleischkonsum und die Massentierhaltung als solche in Frage zu stellen. Für diese Indifferenten gibt es seit einigen Jahren weitere stichhaltige Argumente - eines davon aus der Klimaforschung.
Grund 2: Fleisch essen beschleunigt den Klimawandel
Unser Fleischkonsum ist einer der Hauptmotoren des Klimawandels, wie eine FAO-Studie aus dem Jahr 2006 belegt. Demnach ist die weltweite Tierhaltung und -produktion, umgerechnet in CO2-Äquivalente, für 18 Prozent der vom Menschen zu verantwortenden Klimagas-Emissionen verantwortlich. Und damit klimaschädlicher als das gesamte weltweite Verkehrsaufkommen. Besonders schädlich (23 mal schädlicher als CO2) ist das in den Mägen von Wiederkäuern entstehende Methan. Bis zu 280 Liter täglich bilden sich im Magen einer einzigen Kuh. Daneben ist das weitaus größte Problem die Abholzung von Wäldern für Weideland.
Eine Studie des Worldwatch-Instituts aus dem Jahr 2009 geht noch weiter als die FAO: Die Autoren kamen auf einen Anteil der Viehhaltung von mindestens 51 Prozent an den weltweiten, durch Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen.
Dass unser Fleischkonsum eine Gefahr für das Klima darstellt, ist seit langem bekannt. Und die Gefahr wächst rasant: Innerhalb von nur 20 Jahren hat sich der weltweite Fleischkonsum fast verdreifacht, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern wie China und Indien - von 47 Millionen Tonnen im Jahr 1980 auf 137 Millionen Tonnen im Jahr 2002. Zur Erinnerung: Die Kosten des Klimawandels könnten sich, wenn nicht entschlossen gehandelt wird, weltweit auf über 20 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts belaufen.
Kein ernst zu nehmender Wissenschaftler leugnet heute noch den Klimawandel. Dennoch ist das Thema für viele Menschen irgendwie abstrakt. Ganz konkret dagegen sind die Folgen des Fleischkonsums für die Gesundheit.
Grund 3: Fleisch essen kann krank machen
Kaum ein Ernährungsexperte, der nicht von hohem Fleischkonsum abrät. Mediziner sehen einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von fetthaltigem Fleisch und Zivilistionskrankheiten wie etwa Herz-Kreislauferkrankungen, Rheuma und Gicht.
Was schlimmer ist: Die Massentierhaltung, da sind sich Experten einig, ist mitverantwortlich für viele ansteckende Krankheiten. Rund drei Viertel aller neu aufkommenden Krankheiten sind Zoonosen, schätzt die World Organization for Animal Health (OIE). Zoonosen sind Krankheiten, die ursprünglich bei Wirbeltieren verbreitet waren und auf den Menschen übertragen wurden. Dazu zählen Salmonellen, SARS, Gelbfieber, aber auch die Vogelgrippe (H5N1). Im Winter 2003/2004 starben an der Vogelgrippe 20 Menschen. Das klingt vergleichsweise harmlos. Doch Seuchenexperten warnen, dass aus dem Kontakt mit dem Erreger der Schweinegrippe (H1N1) ein neuer Supervirus entstehen könnte. Manche Forscher befürchten Szenarios wie bei der Spanischen Grippe. Die forderte zwischen 1918 und 1920 auf der ganzen Welt fast 50 Millionen Todesopfer.

Mikrobiologen konnten die Entstehung einer neuen Form der Schweinegrippe direkt bis zu einer Schweinefarm in North Carolina zurückverfolgen. Der US-Bundestaat hat, neben Iowa, die größte Schweineproduktion in den USA. Auch die Vogelgrippe sehen Forscher im Zusammenhang mit intensiver Tierhaltung. Eine hoch ansteckende Form von H5N1 verbreitete sich ab 1997 in Hongkong und Umgebung - in Geflügelfarmen.
Die Massentierhaltung begünstigt nicht nur die Entstehung neuer Krankheitserreger. Sie sorgt auch gleich dafür, dass viele von ihnen gegen Antibiotika resistent sind. Da das Immunsystem der Tiere geschwächt ist, bekommen sie vorsorglich mit dem Futter große Mengen der antimikrobiellen Mittel. Bakterien sind aber sehr anpassungsfähig und entwickeln Varianten, denen das Medikament nichts anhaben kann. Ein solcher Erreger ist etwa MRSA (Multi-Resistenter Staphylococcus aureus). Das Bakterium tötete in den USA im Jahr 2005 etwa 19.000 Menschen - mehr als im selben Jahr an Aids starben.
Die Nachteile zumal der industriellen Fleischproduktion sind so offenkundig, dass man sich fragt, warum Fleisch aus Massentierhaltung überhaupt noch verkauft werden darf. Doch sollte sich der Vegi-Trend fortsetzten, werden wir vielleicht schon bald Warnhinweise auf den plastikverpackten Fleischbrocken in der Gefriertruhe finden. Einer dieser Hinweise müsste lauten:
"Dieses Fleisch können Sie nur darum so billig kaufen, weil die von der EU subventionierte Agrarindustrie die Leiden der Tiere geringschätzt und die wahren Kosten der industriellen Tierproduktion auf die Allgemeinheit abwälzt. Und weil Sie dieses System mit Ihrem Kauf unterstützen."