Bevor der Strommarkt in Deutschland 1998 liberalisiert wurde, war alles genau festgelegt: Welcher Versorger welches Gebiet mit Strom belieferte, und zu welchem Preis. So existierten zwar Verträge zwischen Stromversorgern und Endkunden, aber kein Stromhandel. Seit der Liberalisierung haben sich neue Handelsformen entwickelt, wie die Strombörse in Leipzig, eine Aktiengesellschaft, entstanden durch die Fusion der deutschen Strombörsen Frankfurt und Leipzig 2002.
Sie ist der deutsche Großhandelsmarktplatz für Strom und hält zudem 50 Prozent an einer gemeinsamen Gesellschaft mit der französischen Strombörse. Diese Gesellschaft betreibt den kurzfristigen Stromhandel für Deutschland, Frankreich, Österreich und die Schweiz. Außerdem arbeitet die Leipziger Börse mit einem weiteren europäischen Handelsplatz für Strom zusammen, der niederländischen Börse. Solche Kooperationen sind möglich, wenn die Leitungen vernetzt sind und es zulassen, Strom von einem Land ins andere zu schicken. Auch Skandinavien hat eine eigene Strombörse mit Hauptsitz in Oslo.
Strom kann im Unterschied zu Gold, Kohle oder Öl nicht gelagert werden und muss direkt verbraucht werden. Produzieren Versorger mehr Strom als sie benötigen, bieten sie den Überschuss an der Börse an. Erzeugen sie zu wenig, kaufen sie dort Strom dazu. Die Börse soll den Preis regulieren, indem sie Angebot und Nachfrage zusammenbringt.
Die Märkte an der Strombörse
In Leipzig wird Handel auf zwei verschiedene Arten betrieben, die weitgehend unabhängig von einander sind. Auf dem Terminmarkt der Strombörse wird Strom bis zu sechs Jahre im Voraus gehandelt. Beispielsweise versuchen Industriebetriebe, sich so gegen steigende Strompreise abzusichern. Auch manche Stromanbieter kaufen im Voraus Strom in der Menge, von der sie annehmen, dass ihre Kunden sie verbrauchen werden. Außerdem wetten, wie an jeder Börse, Spekulanten auf die Entwicklung der Strompreise.
Auf dem Spotmarkt wird dagegen der Strom für den jeweils folgenden Tag gehandelt. Dafür geben die Händler täglich bis 12 Uhr für jede Stunde des kommenden Tages Gebote für Kauf und Verkauf ab und es wird ein Preis ermittelt. Hier handeln vor allem die großen und kleinen Energieversorger, um kurzfristige Schwankungen auszugleichen. Kraftwerke können ausfallen, auch die Nachfrage schwankt: Bei wichtigen Fußballspielen steigt beispielsweise oft der Stromverbrauch. Private Kunden können ihren Strom nicht an der Börse kaufen.
Der Börsenpreis für Strom
An der Strombörse wird immer der am günstigsten produzierte Strom zuerst verkauft. Gemessen wird das an den sogenannten Grenzkosten. Diese zusätzlichen Kosten entstehen, wenn ein Kraftwerk eine weitere Einheit Strom produziert, beispielsweise indem es mehr Brennstoffe einsetzt. Am billigsten ist in Deutschland noch immer Atomstrom, dann folgt Strom aus Braun- und aus Steinkohle, schließlich Strom, der aus Gas erzeugt wird. Das letzte – und teuerste – Kraftwerk, das benötigt wird, um den Bedarf zu decken, bestimmt den Preis. Der Stromhandel funktioniert wie die Tierwelt. Die Herde ist nur so schnell, wie das langsamste Tier. Alle anderen Kraftwerke erhalten den identischen Betrag.
Wird französischer Strom an der Börse gehandelt, kann der kurzfristig günstiger oder teurer als deutscher Strom sein. Derzeit produziert Frankreich deutlich mehr Atomstrom als Deutschland, das nach der Katastrophe in Fukushima sieben Atomkraftwerke abgeschaltet hat. Der französiche Atomstrom ist also billiger und wird von Deutschland importiert. Langfristig werden sich die Preise vermutlich wieder angleichen.
Ökostrom hat Vorrang
Für Strom aus erneuerbaren Energien hat die Bundesregierung die Preise im Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) festgelegt. Produzenten von Ökostrom bekommen für Strom aus Biomasse bis zu 11,67 Cent pro Kilowattstunde, für Strom aus Wind an Land bis zu 9,20 Cent und auf See bis zu 13 Cent pro Kilowattstunde, für Solarstrom sogar bis zu 28,74 Cent pro Kilowattstunde (wenn die Solarzellen an oder auf Gebäuden angebracht sind). "Dieser Strom wird also nicht im eigentlichen Sinn an der Börse gehandelt, sondern einfach ins Netz gedrückt", sagt Alfred Müller, Professor der Forschungsgruppe Statistik, Risikoanalyse und Computing an der Universität Siegen.
Trotzdem muss Strom aus erneuerbaren Energien an der Börse vorrangig behandelt, also noch vor Atomstrom verkauft werden. Verantwortlich dafür sind die Übertragungsnetzbetreiber, erklärt Holger Krawinkel, Fachbereichsleiter Bauen, Energie und Umwelt beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. "Sie müssen zum Beispiel dem Stromerzeuger für die Einspeisung 25 Cent für eine Kilowattstunde Solarstrom bezahlen und nehmen an der Börse dafür fünf bis sechs Cent ein. Die Differenz wird über die EEG-Umlage an den Endkunden weitergegeben", sagt Krawinkel.
Auf der Stromrechnung, die ein privater Endkunde erhält, macht der Börsenpreis aber nur rund 20 bis 30 Prozent des Rechnungsbetrags aus. Dazu kommen Kosten für Netzentgelte, die Konzessionsabgabe und den Vertrieb, sowie Strom- und Mehrwertsteuer. Und die EEG-Umlage, die in diesem Jahr 3,5 Cent pro Kilowattstunde beträgt. “Die Umlage hat sich seit 2009 mehr als verdreifacht”, sagt Krawinkel.
Ökostrom, der Kostentreiber?
Macht Ökostrom Strom also teurer? Ja, sagen Müller und Krawinkel. Zwar erhöht der Strom aus erneuerbaren Energien das Angebot an der Börse, bei gleichbleibender Nachfrage drückt das den Preis.
Doch die Preistreiber überwiegen: Strom aus Wind und Solarenergie sei äußerst unzuverlässig, sagt Müller. Wie groß die Ersparnis durch das größere Angebot überhaupt ist, sei daher schwer abzuschätzen. Zudem sei der Netzausbau sehr teuer, wenn beispielsweise in Zukunft immer mehr Strom aus Nordsee-Wind nach Süddeutschland transportiert werden soll.
Die Verbraucherzentrale hat den Preisanstieg beim Strom für den Endkunden zwischen 2000 und 2010 dokumentiert: Die Kosten für eine Kilowattstunde verdoppelten sich beinahe von 14 auf 25 Cent. Die großen Preistreiber: die EEG-Umlage, die Mehrwertsteuer und die Stromerzeugung samt Vertrieb und Transport – letztere kostete 2010 rund 60 Prozent mehr. "Die Wohlstandseffekte der Liberalisierung sind bei den Stromerzeugern gelandet", kritisiert Krawinkel. "Ihre Gewinne sind gerade in den letzten Jahren exorbitant angestiegen."
Auf günstige Energiequellen setzen
Durch die im EEG festgelegte Vergütung kostet Solarstrom derzeit rund fünf Mal mehr als er an der Börse erlöst. Insgesamt erzeugt Deutschland aber nur zwei Prozent seines Stroms aus Sonnenenergie. "Photovoltaik wird in Deutschland nie konkurrenzfähig werden, im Gegensatz zu Ländern wie Spanien. Bei uns scheint einfach zu selten die Sonne", sagt Müller.
Auch Krawinkel hält Photovoltaik derzeit für zu teuer. Außerdem kann der Verbraucherschützer Windenergieanlagen auf See wenig abgewinnen: Die Anlagen sollten besser in Süddeutschland ausgebaut werden. Schließlich sei der Strombedarf dort höher, und das Netz müsse dann nicht so stark erweitert werden.
CO2-Zertifikate und der Strompreis
Seit 2005 gibt es in der Europäischen Union auch den Handel mit Emissionen. Unternehmen erhalten CO2-Zertifikate, die sie berechtigen, eine festgelegte Menge an CO2 auszustoßen. Wer mehr Emissionen verursacht, muss Zertifikate dazukaufen, wer den CO2-Ausstoß reduziert, kann Zertifikate zum Verkauf anbieten, beispielsweise an der Strombörse in Leipzig. Der Preis für eine Tonne CO2 liegt dort derzeit bei rund 13 Euro. Noch sind 90 Prozent der Zertifikate für die Unternehmen kostenlos, ab 2013 werden sie für den Strombereich dann vollständig versteigert.
Versorger, die aus Kohle und Gas Strom erzeugen, müssen über genügend CO2-Zertifikate verfügen. Auch dadurch sei Strom am Großhandelsmarkt in den vergangenen Jahren etwas teurer geworden, sagt Müller. Für Strom aus erneuerbaren Energien benötigen Produzenten keine Zertifikate. Die Emissionen, die bei der Herstellung von Solarmodulen und Windkraftanlagen entstehen, würden damit allerdings außer Acht gelassen.
Die Strombörse und der Endkunde
Für den Endkunden hat der direkte Stromhandel keine Auswirkungen. Wie ein Kleinanleger an Aktienbörsen nimmt er nicht selbst, sondern über Händler am Börsengeschehen teil. "Der Endkunde zieht es bislang vor, in seinem Vertrag einen festen Preis stehen zu haben und nicht ein festes Netzentgelt plus die Variable Börsenpreis", sagt Müller.
Ein Modell, das sich aber zumindest indirekt an den Börsenpreisen orientiert, sind Nachttarife, bei denen der Verbraucher weniger bezahlt, wenn er zum Beispiel Wasch- und Spülmaschine erst in den Abendstunden anstellt. Die Börse macht erstmals transparent, zu welcher Uhrzeit Strom wie teuer ist.