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Gletscherschmelze Schockierende Chronik des Niedergangs: Ein Fotograf auf der Jagd nach dem letzten Eis

Seit mehr als zwölf Jahren fotografiert James Balog Eisfelder in aller Welt. ­Seine Bilder feiern die Schönheit der ­Gletscher – und dokumentieren das erschreckend schnelle Tempo ihres Abschmelzens.

GEO: Die Erde wird von zig Satelliten umschwirrt, die Gletscher bis auf den Zentimeter genau vermessen können. Sie fotografieren die schwindenden Eisgiganten mit Kleinbildkameras. Warum?

JAMES BALOG: Satelliten sind zweifellos ein wichtiges Instrument der Forschung. Aber sie kreisen in ein paar Hundert Kilometer Höhe. Das ist nicht die Perspektive des Menschen. Ich sehe das Eis mit den Augen eines Porträtfotografen und möchte Gletscher so in den Blick des Betrachters rücken; gewissermaßen auf Augenhöhe bringen, nahbar machen. Nur so wird der Niedergang verständlich.

Bridge-Gletscher, Kanada


Gerade einmal acht Jahre liegen zwischen diesen Luftaufnahmen des Bridge-Gletschers in British Columbia im Südwesten Kanadas. Das rechte Bild schoss James Balog im August 2017. Im Durchschnitt um 130 Meter jährlich verkürzt sich die Zunge des Gletschers, deren Länge vom Ursprung bis zur Abbruchkante heute noch 17 Kilometer beträgt. Ausgedehnt hat sich allein der Gletschersee.

Was ist denn am Schwund der Gletscher schwer zu begreifen?

Das Ozonloch ist sehr spezifisch, die Menschen stellten es sich wie ein Loch in einem Donut vor. Für die Gletscher gibt es keine visuelle Metapher. Das Tauen ist, wie so viele Vorgänge des Klimawandels, für die meisten Menschen zu komplex, zu abstrakt und zu weit weg. Außerdem existieren Gletscher ja noch. Ihr Verschwinden vollzieht sich in winzigen Schritten, von denen jeder, für sich genommen, wenig aussagt. Das gilt für alle globalen Veränderungen des Klimas: Sie sind für viele Menschen so unzugänglich wie höhere Mathematik. Manche wollen sie auch nicht verstehen oder sind nicht intelligent genug.

Der Fotograf im Interview

Weitere Bilder sowie ein großes Interview mit James Balog finden Sie im GEO Magazin. Darin erklärt der Fotograf James Balog, war­um sein Gletscher-Fotoprojekt so aufwendig und gefährlich ist – und warum er weitermachen will, obwohl die zahlreichen Expeditionen an seinem Körper schmerzhafte Spuren hinterlassen haben.

Viele Laien denken, dass die Erderwärmung ähnlich langsam vonstattengeht wie viele ­geologische Prozesse...

...und dass sie irgendwann in der Zukunft ein Thema sein wird. Aber das stimmt beides nicht – die Welt verändert sich genau jetzt, und dieser Prozess nimmt jetzt Fahrt auf. Ich versuche, den dramatischen Wandel verständlich zu machen – und eben nicht aus der Distanz eines Satelliten zu zeigen, der die Erde überfliegt. Weil wir es mit ­Extremen zu tun haben, nannten wir das Projekt „EIS“, „Extreme Ice Survey“, also extreme Eisüberwachung.

Steingletscher, Schweiz


Nicht immer ist der Verlust offensichtlich: Wer im Jahr 2006 (linkes Bild) und elf Jahre später (rechtes Bild) am Steingletscher im Schweizer Kanton Bern vorbeigewandert wäre, hätte den Rückzug des Gletschers in den Urner Alpen vermutlich kaum bemerkt. Erst im fotografischen Vergleich wird deutlich, wie weit sich die Gletscherzunge vom See mittlerweile entfernt hat.

Rhonegletscher, Schweiz


Seit 1880 hat der Rhone­gletscher im schweizerischen Kanton Wallis mehr als 1200 Meter an Länge eingebüßt, was sich aus historischen Quellen rekonstruieren lässt – heute misst die Zunge, die ein Tal im Quellgebiet der Rhone ausfüllt, weniger als acht Kilometer. Glaziologen prognostizieren die völlige Auflösung des Gletschers bis zum Jahr 2100.

Mendenhall-Gletscher, Alaska


James Balogs Bilder vom Mendenhall-Gletscher in Alaska zeigen auf eindrückliche Weise den kontinuierlichen Verlust an Eis. Um aus der immer gleichen Position Bilder erhalten zu können, hat James Balogs Crew Kameras auf Stativen und teils mit Schrauben im Fels fixiert. Bis zu 48 Fotoapparate waren zeitgleich im Einsatz, lichteten über Jahre diverse Gletscher in Grönland, Island, Alaska, den Anden und den Alpen ab und lieferten so Hunderttausende Fotos.

Triftgletscher, Schweiz


Vor rund zwölf Jahren füllte der Triftgletscher dieses Trogtal im Schweizerischen Kanton Bern noch mit bläulichem Eis (linkes Bild). Im September 2017 ist an gleicher Stelle von der einstigen Pracht fast nichts mehr zu sehen (rechtes Bild). Anhand von Daten aus den 1940er Jahren können Glaziologen die Gesamtbilanz des Verlusts berechnen: Um dreieinhalb Kilometer Länge schrumpfte der Gigant in gut 70 Jahren, wobei der Schwund sich im vergangenen Jahrzehnt deutlich beschleunigte – eine Folge der Erderwärmung.

GEO Nr. 02/2019 - Fokus: Weniger Ablenkung, mehr Klarheit

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