Fast alles, was wir Menschen produzieren, gelangt auf dem einen oder anderen Weg in die Umwelt, in die Ökosysteme – und damit in den Körper unzähliger Lebewesen. Die Weltmeere sind wie ein gigantisches Sammelbecken für menschliche Hinterlassenschaften. So findet sich Mikroplastik in Fischen, Robben, Walen. Auch vor Drogen sind die Tiere nicht sicher. Kokain wurde bereits in Muscheln und kürzlich in Haien entdeckt. Und nun haben Forschende aus den USA erstmals Arzneimittel in lebenden, freischwimmenden Meeressäugern nachgewiesen.
In Delfinen aus dem Golf von Mexiko fand ein Team um Dara Orbach von der Texas A&M University, Corpus Christi, gleich mehrere Pharmazeutika. Darunter das Medikament Meprobamat, ein Beruhigungsmittel, sowie Carisoprodol, ein Muskelrelaxans, das etwa bei Verspannungen und Verstauchungen verschrieben wird. Ebenfalls detektierten die Forschenden Spuren von Fentanyl. Das synthetische Opioid gilt als eines der stärksten Betäubungsmittel überhaupt, ist hundertfach potenter als Morphin. Und zeichnet im Zuge der Opioid-Krise in den Vereinigten Staaten – als Droge missbraucht – für Abertausende Todesfälle verantwortlich.
Delfine sind Bioindikatoren für die Gesundheit des Ökosystems
Auf die Stoffe stießen die Wissenschaftlerinnen, als sie den Blubber – ein spezielles Fettgewebe – von Großen Tümmlern unter anderem mittels Massenspektroskopie untersuchten. "Delfine sind Bioindikatoren für die Gesundheit von Ökosystemen", sagt Dara Orbach. "Denn ihr lipidreicher Blubber kann Schadstoffe speichern." Von 89 analysierten Tieren waren 30 mit den Pharmazeutika versetzt. Der Speck von 18 der Zahnwale war mit Fentanyl kontaminiert.
Ein alarmierender Befund: "Pharmazeutika haben sich zu neuen Mikroverunreinigungen entwickelt und stellen ein wachsendes globales Problem dar", sagt Dara Orbach. Weltweit wurden Arzneimittel in Süßwasserlebensräumen, in Flüssen und Ozeanen festgestellt.
In der Baffin Bay im Süden von Texas fanden die Forschenden vor einigen Jahren einen toten Delfin. "Ein Jahr nach der größten Sicherstellung von flüssigen Fentanyl-Drogen in der Geschichte der USA im angrenzenden Bezirk", so Dara Orbach. Die Forscherin vermutet, dass die marine Umwelt in der Gegend bereits seit Langem unter den menschengemachten Substanzen leidet.
Doch wie genau sich der Eintrag von Pharmazeutika auf die Meere auswirkt, wo und in welchen Dosen sich die Stoffe finden und wie sie das fein austarierte Beziehungsnetz verändern, das sich zwischen sämtlichen Lebewesen der ozeanischen Ökosysteme spannt: Darüber ist bislang erschreckend wenig bekannt. Weitere Studien sind nötig. Und, das fordert Dara Orbach: eine Überwachung neu auftretender Schadstoffe, insbesondere in dicht besiedelten Regionen mit bedeutender Fischerei- oder Aquakulturindustrie.