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Neue Medien #AlwaysOn: Jugend im digitalen Zeitalter

Beim Essen, beim Fernsehen, bei Treffen mit Freunden und sogar in intimen Momenten: Kaum einem Teenager gelingt es, länger als ein paar Minuten von seinem Smartphone zu lassen. Binnen Kurzem haben die Mini-Computer die Kommunikation von Jugendlichen revolutioniert. Die Folgen beginnen Forscher gerade erst zu ergründen
Neue Medien: Schon morgens vor dem Aufstehen Nachrichten lesen, bis spät in die Nacht Social-Media-Seiten anschauen: Für viele Heranwachsende ist das Alltag
Schon morgens vor dem Aufstehen Nachrichten lesen, bis spät in die Nacht Social-Media-Seiten anschauen: Für viele Heranwachsende ist das Alltag
© Jessica Forde

So undenkbar es noch vor wenigen Jahren war, so selbstverständlich kommt uns das Phänomen heute vor: Die meisten Erwachsenen – ob in den USA, in Japan oder hierzulande – verbringen nicht einen einzigen Tag, ohne nicht mehrfach auf ihr Mobiltelefon zu schauen. Vibriert das Gerät, blicken sie unweigerlich auf das Display. Hat ein Freund oder Bekannter eine Nachricht gesendet, antworten sie in der Regel nach kurzer Zeit. Nicht ungewöhnlich, dass Erwachsene zumindest einmal pro Stunde auf das Gerät schauen und einige Hundert Nachrichten im Monat erhalten. Und doch: Im Vergleich zu Jugendlichen nutzen Menschen über 18 die Geräte geradezu selten. Teenager in den USA verschickten bereits 2010 im Mittel mehr als 3000 Messages pro Monat. Inzwischen, da Smartphones und Messaging-Dienste wie WhatsApp fast überall verbreitet sind, dürfte die Zahl noch weit höher liegen – auch in Deutschland. Eine 16-Jährige aus Hamburg etwa brachte es auf über 100.000 empfangene und gesendete Nachrichten in neun Monaten – das sind mehr als 370 am Tag. Experten kennen Schüler, auf deren Geräten gar bis zu 100 Nachrichten pro Stunde eintreffen.

Etwa drei Stunden täglich verbringen Jugendliche durchschnittlich mit dem Lesen und Verschicken von Nachrichten, gut ein Viertel ihrer wachen Zeit sind sie mit dem Telefon insgesamt beschäftigt. Rund 85 Prozent der 13-Jährigen besitzen hierzulande ein eigenes Smartphone. Meist nehmen Teenager das Gerät morgens direkt nach dem Aufwachen zum ersten Mal in die Hand. Noch vor Unterrichtsbeginn lesen und schreiben viele die ersten Nachrichten und besuchen soziale Netzwerke. Zur Seite legen sie ihr Telefon erst wieder vor dem Einschlafen. Doch selbst danach lassen sie es nicht unbeachtet. Vielmehr bleibt das Smartphone bei vielen Jugendlichen neben dem Bett liegen, wachen sie nachts auf, gilt der erste Blick dem Display.

Jede Nachricht ist eine Bestätigung, dass man aneinander denkt; sie vermittelt emotionale Verbundenheit und zeigt dem anderen, dass er von Bedeutung ist.

Mag der Inhalt auch noch so banal wirken.

Mehr noch als Erwachsene scheint die moderne Technik Teenager in permanente Rastlosigkeit zu versetzen – immer noch eine Nachricht, eine E-Mail, ein Status-Update mehr, immer bereit, sich ablenken zu lassen von den Stimuli der digitalen Welt. Heranwachsenden fällt es zunehmend schwer, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, sich für längere Zeit auf einen einzelnen Menschen, eine bestimmte Situation einzulassen – so zumindest der Befund vieler Erwachsener. Da sitzen sie dann beisammen, zu fünft, zu sechst, still, jeder vertieft in die Botschaften seines Telefons. Oder unterbrechen immer wieder ein Gespräch, um neu eintreffende Kurznachrichten zu lesen und zu beantworten. Umfragen zeigen, dass viele es selbst in intimen Momenten nicht ertragen, ihr Telefon aus dem Blick zu verlieren, sogar beim Sex. Verabredungen treffen Teenager zunehmend vage. Sie vereinbaren keinen festen Treffpunkt, keine feste Zeit. Per Telefon kann man ja jederzeit spontan ausmachen, wo und wann genau man zueinander findet (Soziologen sprechen von „Mikrokoordination“) – oder auch nicht, weil kurzfristig umdisponiert wird. Auf Väter und Mütter wirkt es oft einfach so, als hätten es junge Menschen verlernt, Pläne zu schmieden und sich an eine einmal gefasste Abmachung zu halten. Auch scheinen ihre pubertären Töchter und Söhne kaum mehr gewillt, sich an einen festen Freund, eine feste Freundin zu binden. Eher bleiben sie flexibel, im Ungefähren. Wer weiß schon, was morgen ist? Wozu sich festlegen?

Es ist nichts Neues, dass der digitale Wandel das soziale Miteinander grundlegend verändert. Doch wie genau verändern sich Freundschaften und Beziehungen zwischen Jugendlichen? Welchen Einfluss üben Neue Medien und digitale Kommunikation auf die Werte von Teenagern aus? Hat ihre permanente Nutzung Auswirkungen auf den Selbstwert von Heranwachsenden, auf ihr Selbstbild?

Digitale Medien können bei vielen die Angst befeuern, etwas zu verpassen. Denn sie informieren ohne Unterlass darüber, was man gerade versäumt.

Die "fear of missing out" ist für viele Jugendliche ein quälendes Problem.

Weshalb das Smartphone im Leben von Teenagern eine so große Rolle spielt, ist schnell erzählt: Sie benutzen es als Uhr, als Wecker, Taschenlampe, Fotoapparat, Filmkamera, zum Musikhören, Anschauen von Videoclips. Per App oder Webbrowser informieren sie sich über Abfahrtszeiten von Bussen, prüfen den Wetterbericht, lesen Sportnachrichten. Und manchmal nutzen sie die Geräte sogar, um zu telefonieren – wenn auch kurioserweise immer seltener: Offenbar empfinden Jugendliche einen unerwarteten Anruf mehr und mehr als regelrechten Übergriff, als eine unangenehme Situation, die ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert, eine sofortige Reaktion. Lieber will man sich mitteilen, wann es einem passt – bequem per Textmessage. Vor allem brauchen sie die Kleincomputer, um permanent in Kontakt zu stehen. Sie verschicken Texte, Bilder und Videos über Programme wie WhatsApp und Snapchat. Oder sie loggen sich in soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Pinterest ein. Diese Online-Dienste funktionieren meist wie elektronische Pinnwände, auf denen sie Neuigkeiten und Fotos tauschen und kommentieren. Über all diese Kanäle informieren sie sich gegenseitig darüber, wo sie gerade sind, was sie tun, welche Interessen sie haben, was ihnen wichtig ist.

Lernen sich Heranwachsende kennen, ist es üblich, zunächst einmal die Einträge und Fotos des anderen auf den Webseiten der sozialen Netzwerke auszukundschaften. Wird eine Freundschaft enger, halten Jugendliche hauptsächlich über Textnachrichten Kontakt. Per WhatsApp und Facebook pflegen sie also in erster Linie Bekanntschaften, die auch in der realen Welt existieren. Und nur mit wenigen vertiefen sie Beziehungen auf diese Weise: Im Mittel verschicken Teenager die Hälfte ihrer Nachrichten an nur fünf bis sechs Empfänger. Wenn sich die Beziehungsgeflechte heutiger Jugendlicher aber gar nicht fundamental von denen früherer Zeiten unterscheiden, wieso bedarf es dann der Flut an digitalen Kontaktaufnahmen? Kein Zweifel: Jede Nachricht – mag ihr Inhalt auch noch so banal erscheinen – ist eine Bestätigung, dass man aneinander denkt. Sie vermittelt Verbundenheit, zeigt dem anderen, dass er von Bedeutung ist.

So stillen die Tausende Messages eine natürliche Sehnsucht, die tief in jedem von uns verwurzelt ist: danach, seine Isolation zu überwinden, mit anderen in Kontakt zu treten, Nähe und Bindung zu erfahren, akzeptiert zu werden. In dieser Hinsicht kommen die digitalen Kommunikationswege Jugendlichen auf vielerlei Weise entgegen. Wer zum Beispiel schüchtern ist, hat so die Möglichkeit, andere zunächst unverfänglich und vor allem angstfrei zu kontaktieren – ohne befürchten zu müssen, aus Verlegenheit zu erröten oder sich im Gespräch zu verhaspeln. Zudem bietet die digitale Welt neue Rückzugsorte. Schließlich können Jugendliche per Smartphone ihre Kontakte weitgehend frei von elterlicher Einmischung pflegen. Ob im Familienauto unterwegs oder auf der Wohnzimmercouch: Chatten kann man immer, die anderen bekommen ja nicht mit, wem man gerade was schreibt. Und viele Teenager profitieren davon – insbesondere von den sozialen Netzwerken. Die Möglichkeiten, sich selbst zu präsentieren und Kontakte zu pflegen, helfen ihnen, Selbstvertrauen zu gewinnen, Zuspruch zu erfahren und Bestärkung. Bei einer Umfrage unter 13- bis 17-Jährigen in den USA gab rund ein Viertel der Social-Media-Nutzer an, durch die Online-Kontakte aufgeschlossener und selbstsicherer geworden zu sein.

Den ganzen Artikel finden Sie in

GEOkompakt Nr. 45 "Pubertät".

Neue Medien: #AlwaysOn: Jugend im digitalen Zeitalter

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GEO KOMPAKT Nr. 45 - 12/15 - Pubertät

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