Forschung Tiertaxi: Würmer trampen auf Hummeln

Fadenwürmer lassen sich von elektrostatischen Kräften anziehen, um Hummeln als Taxi zu benutzen
Fadenwürmer lassen sich von elektrostatischen Kräften anziehen, um Hummeln als Taxi zu benutzen
© Rainer Harf
Eine Studie aus Japan zeigt: Fadenwürmer nutzen Hummeln als Taxi. Um auf die Insekten zu gelangen, bedienen sich die Winzlinge eines erstaunlichen Tricks: Sie nutzen elektrostatische Kräfte

Taxifahren ist unter Tieren sehr beliebt: Um bequem von A nach B zu kommen, nutzen etliche Spezies andere Arten als Vehikel. Kommakleine Pseudoskorpione krallen sich an den Beinen von Fliegen fest und lassen sich geschwind durch die Luft transportieren. Faultiermotten sitzen im Fell von: klar, Faultieren. Als heimliche Passagiere gelangen die Schmetterlinge ohne Mühe durch den Regenwald und die Weibchen lassen gezielt ihre Eier auf den Kot der felligen Träger plumpsen, damit die daraus schlüpfenden Larven genug zu naschen haben.

Und manche tropischen Laubfrösche chauffieren kleine Ostrakoden (Muschelkrebse) von einer Bromelie zur nächsten. Auf den Ostrakoden wiederum sitzen noch kleinere Ciliaten: Taxifahrer der Taxifahrer. Phoresis (von griechisch phoras = tragen und phor = Dieb) nennt die Wissenschaft das Phänomen.

Wie von Geisterhand lassen sich die Würmer  emporheben – Tempo: gut 3 km/h

Nun haben Forschende von der Hiroshima University in Japan den Hang zum Trampen bei Fadenwürmern untersucht, mit erstaunlichem Ergebnis. Die Art, Caenorhabditis elegans, ist einer der besterforschten Organismen der Welt: Ein Würmchen, gerade mal einen Millimeter lang und hauchdünn. Um auf ihr Taxi, zum Beispiel eine Hummel zu gelangen, bedienen sich die Tiere eines außergewöhnlichen Tricks: Die Winzlinge nutzen elektrostatische Felder, um sich – wie mit einem unsichtbaren Lift – flugs zum anvisierten Vehikel emporheben zu lassen.

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In ihrer Publikation, die im Fachjournal Current Biology erschienen ist, schildern die Wissenschaftler*innen, wie sie auf das Phänomen aufmerksam wurden: Wurmlarven, die in Petrischalen geschlüpft waren, tauchten mit einem Mal auf der Unterseite der Gefäßdeckel auf. Aufnahmen von Hochgeschwindigkeitskameras offenbarten, dass die Tiere nicht etwa den Rand der Schalen hochkrochen, sondern dass sie in Sekundenbruchteilen unter den Deckeln auftauchten: Sie sprangen quasi vom Boden zur Decke der Behältnisse. Der Verdacht kam auf, dass die elektrostatische Aufladung der Glasdeckel womöglich treibende Kraft des Lufttransfers war.

Die Forschenden rieben Hummeln an Blüten und luden die Insekten so elektrisch auf

In einem Folgeversuch platzierten die Forschenden eine Glaselektrode über den Larven. Sobald eine gewisse Spannung angelegt wurde, flogen die Würmchen – schwupps – durch die Luft und blieben an der Elektrode kleben. Sogar wenn sich die Larven zu einer Art Klumpen aus Dutzenden von Tieren zusammenkringelten, schwebten sie wie von Geisterhand durch die Luft. Im Mittel mit einer Geschwindigkeit von 0,86 Metern pro Sekunde (gut drei km/h, vergleichbar dem menschlichen Gang).

Um herauszufinden, ob die Würmer den elektrostatischen Lift auch in natürlicher Umgebung nutzen, banden die Japaner eine Hummel in ihre Versuchsreihe ein. Lange schon ist bekannt, dass die Fluginsekten sich beim emsigen Bestäuben von Blüten elektrisch aufladen – und dadurch feine Pollenkörner auf ihrem Körper sammeln. Die Wurmforscher rieben also Hummeln an Blüten von Kanadischer Goldrute, luden sie so auf – und hielten die elektrostatischen Insekten mittels einer Apparatur über die Versuchswürmer. Und tatsächlich: Augenblicklich flogen die Winzlinge den Hummeln auf den Leib.

Manche Spinnen nutzen die Elektrostatik in weit größerem Maßstab

Schon Charles Darwin, so schreiben die Japaner, stellte fest, dass die Ausbreitung ein entscheidender Erfolgsfaktor in der Evolution der Arten sei. In seiner letzten Publikation etwa berichtete der große Naturforscher von einer Süßwassermuschel, die am Fuß einer Ente klebte.

Wie viele Tiere in die Riege der Fadenwürmer gehören und sich zum Trampen elektrostatischer Felder bedienen, ist unklar. Manche Spinnen aber, das steht fest, nutzen die unsichtbaren Kräfte in einem deutlich größeren Maßstab: Die Achtbeiner lassen sich – am seidenen Faden hängend – vom elektrostatischen Feld der Erde teils kilometerweit emporheben und mit Winden in ferne Gefilde tragen.