Havarie der "Slavonia" Schon der erste SOS-Notruf rettete hunderte Leben

Ein Passagierdampfer ist 1909 auf Klippen aufgelaufen
Mit dem Bug voran hängt der Dampfer "Slavonia" der Cunard-Line im Juni 1909 auf den Klippen südlich der Azoreninsel Flores. Dass bei der Havarie niemand ums Leben gekommen ist, verdanken die 410 Passagiere und die Besatzung der drahtlosen Telegrafie mit Morse-Zeichen und dem internationalen Notrufsignal SOS, das hier zum ersten Mal zum Einsatz gekommen ist
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Anfang des 20. Jahrhunderts einigten sich rund 30 Staaten auf ein einheitliches Notrufsignal. Am 10. Juni 1909 kam es zum ersten Mal zum Einsatz: vor der Küste der Azoren

Am 3. Juni 1909 verlässt die "Slavonia" der Reederei Cunard planmäßig New York Richtung Mittelmeer. An Bord: 410 Passagiere und 150 Besatzungsmitglieder. Als einige US-amerikanische First-Class-Passagiere nach wenigen Tagen auf See erfahren, dass die Route weit an den Azoren vorbeiführt und sie die pittoresken Inseln vermutlich kaum zu sehen bekommen, bitten sie Kapitän Arthur George Dunning, den Kurs zu ändern. Und tatsächlich ordnet dieser am 9. Juni 1909 an, die Inselgruppe südlich des Eilands Flores zu umfahren, um seinen Gästen den Gefallen zu tun.

Dann aber kommt dichter Nebel auf. Dunning lässt die Geschwindigkeit reduzieren. Die Bordwachen werden beauftragt, besonders aufmerksam zu sein. Doch vergebens. In der Nacht zum 10. Juni 1909 läuft die "Slavonia" auf Klippen südlich von Flores auf. Das Schiff war vom neuen Kurs abgekommen. Später wird der Kapitän sagen, eine besonders starke Strömung sei der Grund gewesen. Knirschend bohren sich die Felsen in den vorderen Laderaum des Schiffes, halten es fest.

Drei kurz, drei lang, drei kurz

Und während einige Passagiere verwundert und schlaftrunken aus ihren Kabinen treten, um zu fragen, was passiert sei, setzt der Funker an Bord ein Morse-Signal ab, auf das man sich erst in den Jahren zuvor auf der Internationalen Funktelegrafiekonferenz in Berlin 1906 geeinigt hatte: drei kurz, drei lang, drei kurz. SOS.

Das erste Mal in der Geschichte morst ein Funker in Not das SOS in den Äther. Und wird erhört: Zwei Schiffe fangen den Notruf auf, fahren zum Ort der Havarie und nehmen die Passagiere an Bord. Kapitän und Crew verlassen das Schiff erst, nachdem die Ladung gelöscht und ein Bergungsversuch gescheitert ist.

Dieser glücklichen Rettung waren Jahrzehnte der technischen Entwicklung vorausgegangen. Der Amerikaner Samuel Morse baute in den 1830er Jahren den ersten elektromagnetischen Schreibtelegrafen und entwickelte gemeinsam mit Alfred Lewis Vail den ersten "Morse-Code", der Buchstaben in Signale zerlegte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Technologien dafür entwickelt, die Morsezeichen drahtlos zu senden und zu empfangen. 1899 gelang es dem italienischen Funk- und Radiopionier Guglielmo Marconi, die erste drahtlose Verbindung über den Ärmelkanal hinweg aufzubauen. Bald konkurrierten mehrere Firmen im Wettlauf um diese Kommunikationstechnologie miteinander, vor allem in der Seefahrt, wo jeder Schiffsverlust nicht nur ein Verlust von Menschen, sondern auch von wertvollem Material und oft kostbarer Ladung war.

Ein junger Mann in Uniform sitzt mit Kopfhörern an der Morsestation an Bord der "RMS Titanic" und schreibt in ein Heft
Funkstation der "RMS Titanic": Bis zuletzt funkte der Diensthabende am Morseapparat nach der verhängnisvollen Kollision des Schiffes mit einem Eisberg am 14. April 1912 Notsignale
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Und auch auf ein einheitliches Notrufsignal konnte man sich lange nicht einigen. Im englischsprachigen Raum und von Marconi wurde die Zeichenfolge CQD als Notsignal favorisiert (laut ausgesprochen als "Seek you" und "Distress", also "Suche Dich" und "Not"). Auch der Funker der "Slavonia" setzte es wohl neben dem international vereinbarten Code ab. In der deutschen Marine war man eher für SOS, aus dem einfachen Grund, dass man das einprägsame Signal leicht ausmachen konnte, etwa bei schlechten Verbindungen, aber auch, wenn ungeübte Funker Dienst hatten.

Dabei wurde das SOS tatsächlich nicht einzeln gesendet, sondern als Dauerschleife.

Einen inhaltlichen Sinn ergibt die Buchstabenfolge, die bis heute Leben rettet, allerdings nicht. Ausdeutungen wie "Save our Souls" ("Rettet unsere Seelen"), "Sure of sinking" ("Sicheres Sinken") oder "Save our Ship" ("Rettet unser Schiff") hat sich der Volksmund erst später zurechtgelegt.

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