Hand in Hand stehen Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl am 22. September 1984 auf dem einstigen Schlachtfeld von Verdun. Dort, wo 1916 während des Ersten Weltkriegs Hunderttausende Franzosen und Deutsche ihr Leben im Kampf gegeneinander ließen. Minutenlang verharren sie so, schweigend.
Das Foto geht um die Welt. Doch ist es tatsächlich ein Zeichen der Eintracht, oder steckt mehr dahinter?
Keine vier Monate zuvor, am 6. Juni 1984, hatten in Frankreich große Feierlichkeiten anlässlich des 40. Jahrestages des "D-Days" stattgefunden. Die Landung der Alliierten in der Normandie hatte einst maßgeblich zum Ende des Zweiten Weltkriegs und zum Sieg über das "Dritte Reich" beigetragen.
Eine Reise in die eigene Vergangenheit
Helmut Kohl aber war nicht eingeladen worden. Ein Affront? Jahre später wird der Bundeskanzler zu Protokoll geben, dass er eine deutsche Teilnahme an diesen Feierlichkeiten ohnehin "nicht angebracht" gefunden hätte. Dennoch hatte François Mitterand schnell signalisiert, dass ihm an einer Art Wiedergutmachung für die Nichteinladung gelegen sei. Kohl witterte die Gelegenheit sofort und schlug einen gemeinsamen Besuch in Verdun vor. Dort sei "der Irrsinn der Kriege am deutlichsten zutage getreten." Noch am selben Tag informierte Mitterand die Presse. Kohl und er würden sich Ende September treffen, "um unserer Toten an einem Ort zu gedenken, der geschichtlich geprägt ist."
Als Mitterand mit seinem deutschen Gast am 22. September 1984 in Verdun eintrifft, ist es für ihn auch eine Reise in die eigene Vergangenheit. Als Soldat hatte er im Zweiten Weltkrieg hier gegen die vorrückende Wehrmacht gekämpft und war von Tieffliegern verwundet worden. Doch auch der 14 Jahre jüngere Kohl verbindet eine persönliche Beziehung mit dem Schlachtfeld von Verdun: Sein Vater war hier 1916 eingesetzt.
Mitterand streckt die Hand aus
Der Höhepunkt des Besuches ist das gemeinsame Schlusszeremoniell vor dem "Ossuaire", dem Beinhaus, dessen Turm wie eine riesige steinerne Granate in den wolkenverhangenen Himmel ragt. Regen fällt, Militärmusiker spielen auf, Trompeten erklingen. Da geschieht es: Mitterand streckt seine Hand aus – und Kohl ergreift sie. Dem deutschen Journalisten Ulrich Wickert wird der Staatspräsident später anvertrauen, er habe plötzlich das Bedürfnis gespürt, aus seiner Vereinsamung herauszutreten und mit einer Geste Helmut Kohl zu erreichen. Der Bundeskanzler hat diese Version der Geschichte bestätigt. Schaut man sich das Bild genau an, dann meint man in Kohls Gesicht fast so etwas wie Erleichterung zu erkennen.
Nachdem der historische Moment verflogen war, blühten die Diskussionen. War es eine spontane Aktion oder von langer Hand geplant? War es wirklich der richtige Ort? Hat Kohl versucht, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen? Heute, 40 Jahre später, die beiden Protagonisten sind längst tot, bleibt von diesem Septembertag vor allem ein eindrückliches Bild: eine Ikone der Versöhnung.