Rom, Santa Maria Maggiore, 25. Dezember 800, Mitternacht. Die ersten Stunden des Geburtstags Christi verbringt der Papst im Gebet, wie es die Tradition verlangt. Hymnen wehen durch die Basilika auf dem Esquilin, einem der legendären sieben Hügel der Tiberstadt. Kerzen flackern, kostbare Lichtspender in einer Welt der Düsternis. Ihr rötlicher Glanz umspielt Seine Heiligkeit Leo III. vor dem Altar. Im Kirchenschiff knien Bischöfe und Grafen, Mönche, Gelehrte, Handwerker, Diener, Pöbel, das Volk von Rom. Die Gläubigen werden, auch wenn das keiner so überliefert hat, aufmerksam aus dem Dämmer starren, vielleicht sensationslüstern, vielleicht in stummer Scheu – doch nicht auf den Papst, nicht auf das Kreuz. Sondern auf den geheimnisvollen, schrecklichen Fremden.
Der Mann überragt die Römer und selbst die Angehörigen seines eigenen Gefolges um Haupteslänge. Graue Haare, auffallend große Augen, Stiernacken; die geschmeidigen Bewegungen eines Schwertkämpfers und der Gang eines Mannes, der die meisten seiner 52 Jahre im Sattel verbracht hat. Der Frankenkönig Karl aus dem Geschlecht der Karolinger, der übermächtige Verbündete des Papstes, ist mit Prinzen, Beratern und einem Heer seiner Panzerreiter aus dem Norden gekommen, und er wird Weihnachten in Rom feiern.
Jede seiner Gesten werden die Gestalten im Kirchendämmer beobachten. Spürt Karl die tausend Blicke?