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1842 Wie der große Brand Hamburg fast zerstört hätte

Großbrand Hamburg
Auf breiter Front brennt die Hamburger Innenstadt im Mai 1842. Das Feuer, angefacht vom Wind, wütet über Tage, findet immer wieder Nahrung in Speichern und hölzernen Bauten.
© mauritius images / Artefact / Alamy
In einer Mainacht des Jahres 1842 bricht in einem Fachwerkspeicher in der Hamburger Deichstraße ein Feuer aus. Sofort rücken erste Löschmannschaften an. Doch sie bekommen den Brand nicht unter Kontrolle. Haus um Haus wird nun ein Raub der Flammen

Der 5. Mai des Jahres 1842 ist gerade eine Stunde alt, als der Ruf eines Nachtwächters durch die schlafende Hamburger Altstadt gellt: „Füer! Füer in de Diekstrat!“ Feuer in der Deichstraße, nicht weit vom Rathaus entfernt. Ein Speicher brennt! Der Wachmann lässt seine Alarmrassel knattern.

Lärm zerreißt die Nacht: Andere Wächter schwingen ihre Rasseln, verstärken den Alarm, vom Turm der Kirche St. Jacobi schallen die Sturmglocke und das Feuersignal der Trompete, Notschüsse donnern von den Wällen. Binnen Minuten poltert die erste Feuerspritze Richtung Deichstraße, gezogen von den Löschmannschaften.

Nur wenige Hamburger sind beunruhigt. Immer wieder brechen in den Lagerhäusern Brände aus; die Stadt ist für solche Fälle gerüstet. Routiniert rollen die Löschmänner ihre ledernen Spritzenschläuche aus und beginnen zu pumpen. Doch vermutlich hat diesmal die Glut allzu lange unentdeckt in dem Speicher in einer großen Charge Lumpen geschwelt, findet nun in Tausenden Kilogramm Altpapier, geteerten Tauen und Kabelgarn Nahrung. Zudem ist der Fachwerkbau aus dem 17. Jahrhundert, dessen Rückseite bis an ein Fleet heranreicht, von einem ungewöhnlich trockenen Frühsommer ausgedörrt, und der Kanal führt kaum noch Wasser. Die Männer bekommen den Brand jedenfalls nicht unter Kontrolle.

Schellack, Spirituosen, Gummi wirken wie Brandbeschleuniger

Schon züngeln Flammen an den benachbarten Holzbauten empor. Weitere Spritzenwagen treffen ein. Die Besatzungen bilden Ketten, schöpfen mit Eimern aus Segeltuch oder Leder Wasser aus den Fleeten und kippen es in die Pumpentanks. Karren mit riesigen Löschwasserfässern rücken an, „Zubringerspritzen“ pumpen Wasser direkt durch Ansaugschläuche herbei. Über die Kanäle kommen nun Boote mit eigenen Spritzen. Eine wasserspeiende Armee, die das Feuer von den dicht an dicht stehenden Lagerhäusern fernhalten soll.

Dann aber setzt die Hitze einen weiteren Speicher in Brand, in dem Schellack, Spirituosen, Gummi lagern. Gewaltig auflodernd, greift das Feuer über das nur wenige Meter breite Fleet zwischen Deichstraße und Rödingsmarkt, mehrere Gebäude auf der anderen Seite gehen fast gleichzeitig in Flammen auf. Rasend springt der Brand die Gasse hinab. Als der Morgen graut, sind annähernd 1000 Spritzenleute im Einsatz. Selbst der Kräftigste hält kaum eine halbe Stunde an der Pumpe durch, ehe er abgelöst werden muss.

Die Brandmeister begreifen, dass nun das Viertel um den rathausnahen Rödingsmarkt so gut wie verloren ist – und zudem die gesamte Innenstadt bedroht. Sie lassen Schwarzpulver herbeischaffen, um Häuserzeilen zu sprengen und so eine Schneise zu schaffen, die das Feuer nicht überspringen kann. Doch Vertreter des Rats lehnen ab. Sie fürchten Regressansprüche. Stattdessen werden weitere Löschzüge aus den Vorstädten und dem Umland angefordert. Haus um Haus müssen die Männer aufgeben, Straße um Straße weichen sie vor der verzehrenden Hitze und dem erstickenden Rauch zurück.

Großbrand Hamburg
Während die Löschmannschaften Brandschneisen in das Häusermeer sprengen und sogar das Rathaus opfern, ergreifen Hunderte Bürger die Flucht
© Jüschke/ullstein bild

Auffrischender Wind facht das Feuer weiter an

Nachmittags entzündet sich am Hopfenmarkt der Turm der 1195 geweihten Nikolaikirche, wenig später stürzt die brennende Spitze herab, dann bricht der Bau in einem Funkenwirbel zusammen. In der zweiten Nacht des Feuers erlaubt der Rat nun doch, große Brandschneisen zu sprengen, opfert sogar das ehrwürdige Rathaus an der Trostbrücke. Vergebens. Am folgenden Morgen, dem 6. Mai, facht ein auffrischender Südwestwind das Feuer weiter an, treibt Flammen und Funkenschauer über alle Gegenwehr hinweg weiter in die Altstadt.

Zwar treffen immer neue Löschzüge ein, um die abgekämpften Männer an den Pumpen zu ersetzen, einige gar aus Schwerin und Kiel. Doch nichts vermag die Vernichtung aufzuhalten. Über den Mönkedamm, Alten und Neuen Wall eilt das Feuer in nordöstlicher Richtung auf die Binnenalster zu, im Süden schließt es St. Petri ein.

Zunehmend verzweifelt verteidigen Löschtrupps und Scharen freiwilliger Helfer die Kirche. Selbst die Schiffsspritzen auf den Fleeten müssen permanent mit Wasser übergossen werden, um sie zu kühlen; eine gerät dennoch in Brand und wird aufgegeben. Panik und Anarchie breiten sich aus. Durch Rauchschwaden und Glut, das Krachen der Sprengladungen und der Kanonen preußischer und hannoverscher Truppen, die zu Hilfe geeilt sind und weitere Brandschneisen schießen, irren Ausgebrannte: Eben noch waren sie wohlhabende Bürger, nun sind sie Obdachlose mit ein wenig geretteter Habe.

Wucher und Plünderungen

Fuhrleute fordern von den Verzweifelten das 30-Fache des üblichen Lohns. Plünderer brechen in evakuierte Häuser ein, mancher wird unter den einstürzenden Mauern begraben. Andere verfallen in Raserei und schlagen sinnlos kaputt, was ihnen unter die Hände kommt. Geradezu gespenstisch marschiert eine Kolonne von Kriminellen durch das Inferno – denn auch das Zuchthaus ist niedergebrannt. Petri- und Gertrudenkirche sind vernichtet, nahezu das gesamte West- und Südufer der Binnenalster. Tags darauf ragen am Jungfernstieg die Reihen verkohlter Linden schwarzen Krallen gleich in den Himmel.

Seit drei Tagen steht Hamburg nun schon in Flammen. Mit Handwagen und Karren, zu Fuß oder zu Pferd fliehen die Menschen aus der lodernden Metropole. Der Wind, der sonst die Segler in den Hafen bringt, sowie die eng stehenden Speicher und der in ihnen aufgestapelte Reichtum werden den Hamburgern jetzt zum Verhängnis. Und noch immer ist das Feuer nicht gelöscht. Es ist die größte Katastrophe in der bis dahin gut 1000-jährigen Geschichte der Hansestadt.

Sonntag, 8. Mai 1842. Etwa ein Drittel der Innenstadt ist inzwischen zerstört, das ist eine Fläche von 310 Hektar. Jeder achte Hamburger ist obdachlos, insgesamt rund 20 000 Menschen. Dutzende Männer sind tot; auch zwei Spritzenkommandeure, zwei Rohrführer und ein Spritzenmann kamen ums Leben. Andere Angehörige der Löschmannschaften sind desertiert, um ihre Familien oder ihren Besitz zu retten. Die Übrigen sind bis auf den Tod erschöpft. Der Brand steht kurz davor, in die Vorstadt St. Georg überzuspringen. Da bestimmt noch einmal die Natur Hamburgs Geschick: Der Wind, der die Flammen bis dahin mit Sturmstärke angefacht hat, dreht an diesem Morgen auf Südost. Und drückt so das Feuer zurück in sein eigenes Trümmerfeld, wo es keine Nahrung mehr findet. Es wird erstickt.

Alt-Hamburg: ein ausgebrannter Steinhaufen

Gegen acht Uhr pumpen Spritzentrupps in der Straße Kurze Mühren das letzte Großfeuer nieder. Einzelne Glutherde schwelen indes noch über Monate unter dem ausgebrannten Steinhaufen, der einmal Alt-Hamburg war. Die Katastrophe ist überstanden. Oder, so mögen es die kühler Kalkulierenden sehen: Unverhofft hat sich die einmalige Chance zu einer umfassenden Modernisierung ergeben. Vor dem Dammtor wächst nun ein riesiges Zeltlager empor, aus dem die Menschen nach und nach in hölzerne Baracken umsiedeln. Dann beginnt der Wiederaufbau.

Dieses Mal halten die Planer sich nicht wie bei anderen Gelegenheiten zuvor an den alten Grundriss, ja nicht einmal an die Besitzverhältnisse, passen mithilfe eines von den Grundeigentümern in Bürgerschaft und Rat verabschiedeten Enteignungsgesetzes die Parzellen an. Straßen, Plätze, Fleete, Häuserblöcke werden erweitert, verlegt, beseitigt, neu geschaffen. Die Alsterarkaden entstehen, dazu eine prächtige, geziegelte Postverwaltung, Steinbrücken ersetzen die zerstörten aus Holz. Unter den verbreiterten, frisch gepflasterten Straßen verlaufen nun zeitgemäße Wasser- und Abwasserkanäle. Erstmals legen die Planer Bürgersteige an, Gaslaternen ersetzen die Öllampen und werden von einer modernen Fabrik auf dem Grasbrook gespeist, die hauptsächlich englische Kohle vergast. Der sumpfige Hammerbrook wird entwässert, mitTrümmern aufgeschüttet und als Wohn- und Industriegebiet ausgeschrieben.

Fast scheint es, die Hansestadt habe den Großen Brand gebraucht, um über sich hinauszuwachsen – denn es entsteht eine völlig neue Stadt.

Die Auferstehung

Binnen weniger Jahre wird der Hafen nun zum zweitgrößten Europas (nach London), wächst Hamburg zur Millionenmetropole und bevölkerungsreichsten deutschen Stadt nach Berlin heran, wuchert nach Winterhude, Barmbek, Horn, Billwerder, Veddel und in andere vordem benachbarte Orte aus, verflicht sich mit den gleichfalls florierenden Städten Altona, Wandsbek und Harburg. Hamburgs Speicher, Kais, Werften und wachsende Industrie machen die Hansemetropole zu einer Hochburg der jungen Arbeiterbewegung. Millionen Deutsche und andere Europäer wandern über den Hafen in die USA aus (oft unter erbärmlichen Umständen auf den Schiffen der besonders übel beleumundeten Reederei Sloman). Die Plantagen und Kontore von Hamburger Kaufleuten und Reedern wie Adolph Woermann bereiten den deutschen Kolonialerwerb in Afrika und Ozeanien vor.

Der Wohlstand von Hamburgs wirtschaftlicher Elite ist enorm – die Diners der Begüterten tragen einem Zeitzeugen zufolge „den Charakter spätrömischer Üppigkeit“. Als das neue Rathaus den während des Brandes gesprengten Bau ersetzt, zeigt sich selbst Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg angesichts der Pracht beklommen: Man werde sich an die Eleganz und die vielen großen Räume wohl erst gewöhnen müssen. Zugleich geht die unsentimentale Beseitigung von historischen Bürgerhäusern, Hafenanlagen und von öffentlichen Gebäuden so weit, dass ein erbitterter Kritiker schließlich das Wort von der „Freien und Abrissstadt“ prägt.

Hamburg aber erfindet sich ein weiteres Mal neu, lässt die „Gängeviertel“ auf der Elbinsel südlich des Zentrums abreißen und dort die Speicherstadt entstehen, einen der größten Lagerhauskomplexe der Welt. Der Hafen ist nun hochmodern und hat nichts mehr mit jener primitiven Landestelle gemein, die die Hamburger einst um 810 n. Chr. mithilfe von Reisigbündeln im Uferschlamm eines Mündungsarms der Bille in die Alster befestigt haben. Nichts außer dem Eroberergeist.

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