Es ist ein feierlicher Akt, der am 6. Dezember 1884 in Washington, D.C., in luftiger Höhe stattfindet: Eine US-amerikanische Flagge flattert im Wind, und eine Reihe hochdekorierter Generäle und Architekten stehen auf einem Holzgerüst und krönen das neue Wahrzeichen der Hauptstadt – das Washington Monument – mit einer schimmernd glänzenden Spitze. Es ist eine 2,83 Kilo schwere Pyramide aus Aluminium.
Aluminium? Ausgerechnet dieses Allerweltselement, das häufigste Metall in der Erdkruste, das Material der Getränkedosen und Joghurtdeckel ziert Washingtons berühmten Obelisken, bei seiner Einweihung mit 169 Metern das höchste Bauwerk der Welt.
Das modernste Metall der Welt für das Washington Monument
Geradezu quälend lang dauerte der Bau des Washington Monuments: Bereits 1848 begannen die Arbeiten an einem Denkmal zur Erinnerung an George Washington, den ersten Präsidenten der USA. Doch Geldnot und der amerikanische Bürgerkrieg verzögerten die Arbeiten um Jahrzehnte: Erst 1884 wurde es fertiggestellt.
Aluminium war in jener Zeit ein recht neues Material; in der Natur kommt es nicht in seiner reinen Form vor. 1825 gelang es dem Dänen Hans Christian Ørsted erstmals, durch eine chemische Reaktion das Leichtmetall herzustellen – allerdings nur in winzigen Mengen. Als durch neue Verfahren ab den 1850er-Jahren Aluminium immerhin brockenweise produziert werden konnte, galt es schnell als neues Wundermetall, als Stoff der Zukunft: leicht, dehnbar, korrosionsbeständig, wärmeleitend.

Was lag im Jahr 1884 für die USA, die aufstrebende Weltmacht, näher, als das Washington Monument mit dem modernsten, vielversprechendsten Metall seiner Zeit zu krönen? Zumal Aluminium damals aufgrund seiner schwierigen Herstellungsprozesse so wertvoll war wie Silber.
Die US-Regierung beauftragte den deutschen Chemiker William Frishmuth, der nach Philadelphia emigriert war. Dieser experimentierte seit mehr als 20 Jahren mit Aluminium und gewann das Metall durch einen chemischen Prozess mit Natriumdampf. Im November 1884 stellte er die Pyramidenspitze für das Washington Monument her – das größte bis dahin gegossene Aluminiumstück der Welt.
Doch statt sein Werk an seinen Bestimmungsort nach Washington zu schicken, ließ Frishmuth es zunächst in New York öffentlichkeitswirksam in einem Juweliergeschäft ausstellen, freilich ohne Erlaubnis. Gut möglich, dass der Chemiker mit der Aktion auf seine Fertigkeiten aufmerksam machen wollte. Jedenfalls drängten sich bald Tausende Schaulustige in das Geschäft, um das wertvolle Objekt zu bewundern, wie Frishmuth zufrieden notierte.
Aus Washington erreichten ihn dagegen erboste Briefe: "Sie sind peinlich und verzögern die Arbeit am Monument. Sie müssen die Metallspitze sofort bringen", schrieben ihm seine Auftraggeber. Am 6. Dezember 1884 schließlich konnte das Monument samt Aluspitze eingeweiht werden.
Plötzlich verlor die Aluminiumpyramide auf dem Washington Monument rasant an Wert
Nur anderthalb Jahre später jedoch brach der Wert von Aluminium massiv ein: Ein neues Verfahren zur Herstellung des Metalls, der sogenannte Hall-Hérould-Prozess, machte die billige Massenproduktion möglich. Die eben noch kostbare Spitze des Washington Monuments war plötzlich nichts Außergewöhnliches mehr.
Und im Jahr 1941 wäre die Pyramide dem Monument fast abhanden gekommen: Das US-Militär sammelte landesweit Aluminium, um es für militärische Zwecke zu recyceln, etwa für den Bau von Flugzeugen. Auch die Spitze des Washington Monuments wurde angeboten – das Militär jedoch lehnte dankend ab.